Bezugnahmeklausel: EuGH präzisiert Betriebsübergang

Das Bundesarbeitsgericht hat beim EuGH angefragt, wie bei einem Betriebsübergang mit dynamischen Bezugnahmeklauseln umzugehen sei. Über welchen Sachverhalt das BAG entscheidet und was Arbeitgeber aus Europa erwartet, erklärt der Arbeitsrechtler Dr. Marc Spielberger.

Haufe Online-Redaktion: Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat eine Frage zu Bezugnahmeklauseln an den EuGH weitergegeben. Um was geht es hierbei konkret?

Marc Spielberger: Zunächst geht es grundsätzlich um Bezugnahmeklauseln eines tarifgebundenen Arbeitgebers, die dynamisch auf den jeweils für ihn anwendbaren Tarifvertrag verweisen. Die Frage ist nun, ob sie  ihre Dynamik verlieren können, wenn der Arbeitnehmer im Wege eines Betriebsübergangs auf einen neuen Arbeitgeber übergeht, insbesondere dann, wenn  dieser nicht der Tarifbindung unterliegt wie der bisherige Arbeitgeber. Sie könnten dann gegebenenfalls nur noch statisch fortgelten und die Arbeitsvertragsparteien wären nicht mehr automatisch an die Änderungen des Tarifvertrags gebunden. Das ist ein Riesenunterschied bei einer langen Laufzeit.

Haufe Online-Redaktion: Wie geht das BAG mit solchen Bezugnahmeklauseln um?

Spielberger: Nachdem das BAG seine Rechtsprechung 2005 grundlegend änderte, gilt seitdem: Eine dynamische Bezugnahmeklausel ist auf den für den Arbeitgeber geltenden Tarifvertrag auf Ewigkeit angelegt, es sei denn die Klausel regelt das Ende der Dynamik ausdrücklich. Anders ist das nur bei Altvertragsklauseln vor 2002. Für diese wiederum gilt: Endet die tarifliche Bindung des Arbeitgebers, endet auch eine vereinbarte Dynamik. Im aktuellen Fall des BAG müsste der Pressemitteilung zufolge ein solcher Altfall vorliegen. Da durch Betriebsübergänge zumindest der vorletzte Arbeitgeber nicht tarifgebunden war, wäre die Dynamik an sich beendet. Es mag hier weitere Fallbesonderheiten gegeben haben, jedenfalls war am Ende doch die Frage der Weitergeltung der tariflichen Dynamik nach Betriebsübergängen für das BAG fallentscheidend.  

Haufe Online-Redaktion: Wie steht der EuGH zu dieser ganzen Problematik?

Spielberger: Der EuGH hatte im Jahr 2013 in der Sache "Alemo-Herron" zu einem englischen Fall wie folgt entschieden: Es ist europarechtlich nicht möglich, dass der Erwerber nach einem Betriebsübergang an dynamisch geltende Tarifverträge des Veräußerers gebunden bleibt, wenn er nicht die Möglichkeit hat, an den Tarifverhandlungen über neue Tarifverträge teilzunehmen. Das kann er insbesondere dann nicht, wenn er nicht Mitglied im tarifschließenden Arbeitgeberverband ist.

Haufe Online-Redaktion: Was bedeutet dies für den aktuellen Fall des BAG? Was erwartet nun Arbeitgeber aus Europa?

Spielberger: Jetzt stellt sich die Frage: War die "Alemo-Herron"-Entscheidung quasi ein Ausrutscher, nur den englischen Rechtsbesonderheiten geschuldet oder ist das eine neue ständige Rechtsprechung des EuGH. Die Frage ist auch, wie intensiv muss der Erwerber am Tarifgeschehen teilnehmen, das bedeutet, muss er wirklich selbst für den Arbeitgeberverband mitverhandeln? Das dürfte nur sehr selten der Fall sein. Es geht also in dieser Vorlage des BAG darum, auszuloten, was in welchen konkret definierten Fällen mit der Dynamik einer vertraglichen Bezugnahme auf einen Tarifvertrag passiert, an den der Veräußerer normativ gebunden war und die zeitlich unbegrenzt vereinbart war. Es ist zu erwarten, dass der EuGH die „Alemo-Herron“-Rechtsprechung weiter festigt und präzisiert.  

Haufe Online-Redaktion: Worauf müssen Arbeitgeber bis zu einer Entscheidung des EuGH oder BAG achten?

Spielberger: Wenn ein Betriebsübergang stattfindet, kann es für die Informationsschreiben nach § 613a Abs. 5 BGB wichtig sein, auf diese ungeklärte Rechtsfrage hinzuweisen. Wenn ein Betriebsübergang stattgefunden hat, ist zu klären, ob es dynamische Bezugnahmeklauseln auf den Tarifvertrag des Veräußerers gibt und ob der Erwerber an diesen Tarifvertrag normativ gebunden ist. Ist er das nicht, kann er die Weitergabe einer Dynamik bis auf weiteres ablehnen. Ist er Mitglied im tarifschließenden Arbeitgeberverband, verhandelt aber selbst nicht Tarifverträge mit, kann er bis auf weiteres die Weitergabe der Dynamik ablehnen. Mit anderen Worten: Vor oder nach einem Betriebsübergang ist aktuell ganz besondere arbeitsrechtliche Sorgfalt angebracht und es müssen die jeweiligen Konstellationen überprüft werden. Altfälle sind anders zu behandeln als neuere Sachverhalte ab 2002. Wenn die Bezugnahmeklausel ihrerseits das Ende der Dynamik regelt, zum Beispiel im Falle eines Betriebsübergangs, liegt der Fall auch wieder anders: dann endet die Dynamik, es sei denn die Klausel wäre unwirksam formuliert. Es bleibt also spannend und der EuGH wird hoffentlich Licht ins Dunkel der Praxis bringen. Das könnte am Ende auch dazu führen, dass das BAG seine Rechtsprechung ändern muss.

 

Dr. Marc Spielberger ist Rechtsanwalt , Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei Reed Smith LLP in München.

Das Interview führte Michael Miller.

Schlagworte zum Thema:  Betriebsübergang, Tarifvertrag , Arbeitsvertrag