Entscheidungsstichwort (Thema)
Volle Anerkennung von in Polen zurückgelegten Versicherungszeiten
Leitsatz (amtlich)
Widerspruchsbescheide sind nach der seit 01.05.1998 geltenden Fassung des § 85 III 1 SGG nur noch bekannt zu geben und nicht mehr zuzustellen. Zweifel hinsichtlich des Bekanntgabedatums wirken sich gemäß § 37 II letzter Halbsatz SGB 10 zu Lasten der Behörde aus. Artikel 38 RÜG stellt eine Sonderregelung zu den allgemeinen Verfahrensvorschriften über die Aufhebbarkeit von Feststellungsbescheiden dar. Seit dem 01.01.1992 werden gemäß § 22 Abs. 3 FRG bei Beitrags- und Beschäftigungszeiten, die nicht nachgewiesen sind, die ermittelten Entgeltpunkte um 1/6 gekürzt. Grund für diese pauschale Kürzung ist, dass bei einem fehlenden Nachweis von Beitragszeiten in diese Zeiten auch Zeiten einer Arbeitsunfähigkeit oder sonstigen Arbeitsunterbrechung fallen können, für die der Arbeitgeber keine Beiträge zur Rentenversicherung entrichten musste. Die gesetzliche Regelung geht hierbei von der Erfahrung aus, dass Beschäftigungszeiten im Durchschnitt nur zu 5/6 mit Beiträgen belegt sind. Eine Anrechnung zu 6/6 kommt daher nur unter der Voraussetzung in Betracht, dass das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass im Einzelfall eine höhere Beitrags- oder Beschäftigungsdichte erreicht ist. Diese Feststellung lässt sich erst dann treffen, wenn konkrete und glaubwürdige Angaben über den Umfang der Beschäftigungszeiten und die dazwischen liegenden Arbeitsunterbrechungen vorliegen und letztere keinen Umfang von 1/6 erreichen. Der Nachweis der 6/6-Belegung kann nicht durch eine Bescheinigung eines polnischen Arbeitgebers geführt werden, dass der Versicherte in dem streitigen Zeitraum „in vollem Umfang” beschäftigt gewesen sei.
Normenkette
SGG § 85 III 1; SGB X § 37 II letzter HS; RÜG Art. 38; FRG § 22 Abs. 3
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts für das Saarland vom 27.04.2004 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die volle Anerkennung von in Polen zurückgelegten Versicherungszeiten.
Die 1936 geborene Klägerin ist anerkannte Vertriebene. Mit Bescheid vom 08.08.1986 hatte die Beklagte den Versicherungsverlauf der Klägerin für die Zeit ab dem 25.01.1952 festgestellt. Mit Bescheid vom 21.01.1994 wurde der Klägerin eine Erwerbsunfähigkeitsrente ab dem 01.04.1993 bewilligt. Hierbei wurden die Beschäftigungszeiten in Polen vom 25.01.1952 bis 04.01.1975 nur zu 5/6 berücksichtigt. Der Bescheid enthielt insoweit folgenden Hinweis:
„Hinweise zur Berücksichtigung von Zeiten.
Die zu 5/6 angerechneten Beitrags- bzw. Beschäftigungszeiten können nur in diesem Umfang berücksichtigt werden, weil sie nicht nachgewiesen, sondern nur glaubhaft gemacht sind.
Der Versicherungsverlauf enthält Zeiten, die unter Anwendung des Fremdrentengesetzes (FRG) bzw. der Versicherungsunterlagen-Verordnung (VuVO) zu berücksichtigen sind. Diese Vorschriften sind zum 01.07.1990 geändert worden. Wir haben geprüft, wie die Zeiten, für die Versicherungsunterlagen nicht vorliegen, oder die nicht in der bundesdeutschen Rentenversicherung zurückgelegt wurden, nach den jetzt maßgebenden Vorschriften angerechnet werden können.
Der Rentenberechnung wurden diese Zeiten entsprechend der neuen Rechtslage zugrunde gelegt.
Die früher ergangenen Bescheide über die Feststellung dieser Zeiten werden aufgehoben, soweit sie nicht dem ab dem 01.07.1990 geltenden Recht entsprechen.”
Nachdem die Klägerin das am 12.04.1960 ausgestellte polnische Sozialversicherungsbuch vorgelegt hatte, in dem für die Zeit ab dem 12.04.1960 sämtliche Zeiten der Arbeitsunfähigkeit, Krankenhausaufenthalte, stationäre Heilbehandlungsmaßnahmen und Kuraufenthalte aufgeführt waren, korrigierte die Beklagte mit Bescheid vom 05.07.1994 den Rentenbescheid dahingehend, dass die Zeit vom 12.04.1960 bis 04.01.1975 in vollem Umfang (6/6) berücksichtigt wurde; hinsichtlich der davor liegenden Beschäftigungszeiten verblieb es bei der Anrechnung zu 5/6.
Mit Bescheid vom 31.07.2001 wurde der Klägerin anstelle der bis dahin bezogenen Erwerbsunfähigkeitsrente Regelaltersrente ab dem 01.11.2001 bewilligt, wobei die Zeiten vom 25.01.1952 bis 11.04.1960 nach wie vor nur zu 5/6 berücksichtigt wurden.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Widerspruch ein; im Widerspruchsverfahren reichte sie eine Bescheinigung ihres früheren polnischen Arbeitgebers vom 22.10.2001 ein, die eine Beschäftigungszeit vom 25.01.1952 bis 24.12.1965 auswies.
Der eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 09.01.2002 als unbegründet zurückgewiesen.
Gegen den am 11.01.2002 abgesandten Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 15.02.2002 Klage erhoben.
Zur Begründung hat sie u.a. vorgetragen, dass ein nicht unerheblicher Teil ihrer beruflichen Tätigkeit in Polen erfolgt sei, wobei für die Zeit vom 14.04.1960 ein Sozialversicherungsbuch existiert habe; ihre Tätigkeit habe jedoch bereits am 25.01.1...