Rz. 6
Eine der Voraussetzungen der Nichtigkeit ist ein besonders schwerwiegender Fehler, so dass ein schwerwiegender Fehler allein nicht ausreicht. Dieser besonders schwerwiegende Fehler muss dem Bescheid von Beginn an (also schon zum Zeitpunkt der Bekanntgabe) anhaften. Das Gesetz verlangt hier nicht – wie in anderen Vorschriften – die Verletzung von Form-, Verfahrens- oder sonstigen Rechtsvorschriften als Rechtsfehler, sondern stellt lediglich auf Fehler ab. Daher können auch andere als Rechtsfehler die Nichtigkeit begründen.
Rz. 7
Schwerwiegend sind nur solche Fehler, bei denen eine Auslegung oder Umdeutung ausgeschlossen ist. Lässt sich ein Bescheid in einen wenn auch ggf. rechtswidrigen VA umdeuten, ist dieser nicht nichtig. Eine unklare, sachlich falsche oder rechtlich fehlerhafte Begründung stellt jedoch keinen schwerwiegenden Fehler dar, wenn der Verfügungssatz des VA eindeutig ist und als Inhalt eines VA in Betracht kommt.
Rz. 8
Soweit Rechtsfehler als Nichtigkeitsgründe in Betracht kommen, sind damit alle Verstöße gegen formelle oder materielle Rechtsvorschriften möglich. Da aber selbst ein rechtsgrundloser (gesetzloser) VA, für den jegliche materielle Rechtsgrundlage (Ermächtigungs- und Regelungsbefugnis) fehlt, nicht schon an einem zur Nichtigkeit führenden Fehler leidet (vgl. BSG, Urteil v. 9.6.1999, B 6 KA 76/97 R, SozR 3-1300 § 40 Nr. 5, anders aber wohl BSG, Urteil v. 7.9.2006, B 4 RA 43/05 R für den Fall, dass ohne jegliche in Betracht kommende Ermächtigungsgrundlage Pflichten eines Bürgers einseitig festgestellt werden), kommen Verfahrensfehler als besonders schwerwiegende Fehler (Ausnahme Abs. 2) kaum in Betracht.
Rz. 9
Als besonders schwerwiegend werden Fehler angesehen, die unter einem elementaren Verstoß gegen die Rechtsordnung ergangen und unter keinen Umständen mit dieser vereinbar sind (BVerwG, Urteil v. 22.2.1985, 8 C 107/83, NJW 1985 S. 2658, BSG, Urteil v. 7.9.2006, B 4 RA 43/05 R) bzw. der Fehler in einem so gravierenden Widerspruch zur geltenden Rechtsordnung und den hier zugrunde liegenden Wertvorstellungen bzw. den tragenden Verfassungsprinzipien steht, dass es unerträglich erschiene, wenn die beabsichtigten Rechtswirkungen eintreten würden (BSG, Urteil v. 12.9.1995, 12 RK 24/95; vgl. auch SG Gießen, Urteil v. 1.6.2015, S 15 KR 739/12 zu Folgen von Verfahrens- und Formfehlern bei Widerspruchsbescheiden), Entscheidend sind also die Bedeutung und das Gewicht des Fehlers, nicht die Fehlerart (Sächs. LSG, Urteil v. 2.9.2009, L 1 P 1/07). Schwerwiegend ist der Fehler dann, wenn er derart im Widerspruch zur geltenden Rechtsordnung steht, dass es unerträglich wäre, wenn der VA die mit und in ihm enthaltenen Rechtswirkungen hätte. Maßgebend ist nicht so sehr und nicht notwendig der Verstoß gegen bestimmte – unter Umständen zwingende – Rechtsvorschriften, sondern der Verstoß gegen die Rechtsordnung insgesamt oder ihr in bestimmter Hinsicht zugrunde liegende wesentliche Zweck- und Wertvorstellungen, insbesondere auch der Verstoß gegen tragende Verfassungsgrundsätze (Sächs. LSG, a. a. O., unter Hinweis auf Roos, in: v. Wulffen, SGB X, § 40 Rz. 7). Ein einfacher Gesetzesverstoß reicht nicht aus. Stellt ein Leistungsträger ein Versicherungspflichtverhältnis fest, obwohl dieses kraft Gesetzes erloschen ist, reicht dies für die Annahme eines schwerwiegenden Fehlers nicht aus (BSG, Urteil v. 4.12.2014, B 5 AL 2/14 R).
Rz. 9a
Dabei ist das subjektive Verschulden der Behörde an dem Fehler nicht von Bedeutung. Selbst der durch Drohung, Nötigung oder Bestechung durch den Adressaten herbeigeführte rechtswidrige VA leidet, wie sich aus der dann nur rückwirkend möglichen Rücknahme gemäß § 45 Abs. 2 Nr. 1 ergibt, nicht an einem Nichtigkeit begründenden Fehler. Auch ein auf eine als verfassungswidrig erkannte Vorschrift gestützter VA ist nicht als mit schwerwiegendem Fehler belastet nichtig, wie sich aus § 79 Abs. 2 BVerfGG ergibt, der den Bestand und Fortbestand darauf gestützter Entscheidungen ausdrücklich vorsieht. Dies gilt erst recht für auf rechtswidrige oder nichtige Satzungsbestimmungen gestützte Beitragsbescheide (BSG, Urteil v. 28.5.1980, 5 RKn 21/79, USK 80275). Ändern sich Rechtsauffassungen oder die rechtliche Beurteilung tatsächlicher Vorgänge, die die bisherige Rechtsauffassung und Entscheidungen als rechtswidrig erscheinen lassen, liegt kein rückwirkender zur Nichtigkeit führender schwerer Fehler vor, es sei denn, es liegt ein so offensichtliches Unrecht vor, wie bei militärgerichtlichen Todesurteilen (hierzu BSG, Urteil v. 16.5.1995, 9 RV 16/94, BSGE 76 S. 130). VA, die auf solchen Todesurteilen beruhen (z. B. Versagung der Witwenrente) können daher nichtig sein. Denn hier liegt ein so schwerwiegender Widerspruch zur geltenden Rechtsordnung und den ihr zugrunde liegenden Wertvorstellungen vor, dass es unerträglich wäre, wenn diese VA die beabsichtigten Rechtsfolgen zeitigen würden (vgl. BSG, Urteil v. 23.6.1994, 12 RK 82/92 in anderem Zusammenhang).
Rz. 10
Ein besonders schwerwiegender Fe...