Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. gemeinsame Pressekonferenz der Krankenkassen über die erstmalige Erhebung von Zusatzbeiträgen gem § 242 SGB 5. Aufsichtsrecht. Rechtsaufsicht des Bundesversicherungsamtes. keine parallele Zuständigkeit des Bundeskartellamts. Krankenkassen sind keine Unternehmen. keine wirtschaftliche Tätigkeit. Verletzung des Selbstverwaltungsrechts. sozialgerichtliches Verfahren. zulässiger Rechtsweg. Klage einer Krankenkasse gegen Auskunftsbeschluss des Bundeskartellamts. Rechtswegzuständigkeit. öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung. Verwaltungsakt
Leitsatz (amtlich)
1. Gem § 87 Abs 1 S 2 SGB 4 und § 90 SGB 4 ist dem Bundesversicherungsamt für bundesunmittelbare Versicherungsträger eine umfassende und ausschließliche Rechtsaufsicht zugewiesen; für eine parallele Zuständigkeit der Kartellaufsicht durch das Bundeskartellamt über Krankenkassen besteht kein Raum.
2. Krankenkassen handeln im "Wettbewerb" um beitragszahlende Mitglieder nicht als Unternehmen iS des Art 101 AEUV oder §§ 1, 130 GWB.
3. Zur Verletzung des Selbstverwaltungsrechts einer Krankenkasse durch einen Auskunftsbeschluss des Bundeskartellamts.
Orientierungssatz
1. Für Streitigkeiten von Krankenkassen gegen Auskunftsbeschlüsse des Bundeskartellamts wegen angeblich abgestimmter Erhebung von Zusatzbeiträgen ist der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit eröffnet (vgl BSG vom 28.9.2010 - B 1 SF 1/10 R = SozR 4-1500 § 51 Nr 9).
2. Bei einem Auskunftsbeschluss des Bundeskartellamts handelt es sich um einen Verwaltungsakt iS des § 31 SGB 10. Selbst eine kartellbehördliche Verfügung nach § 61 GWB erfüllt die Merkmale des Verwaltungsaktsbegriffs.
3. Das Handeln im Wettbewerb der Krankenkassen untereinander und um beitragszahlende Mitglieder ist keine wirtschaftliche Tätigkeit.
Tenor
Der Auskunftsbeschluss der Beklagten vom 17. Februar 2010 (Bundeskartellamt Az.: B 3 - 12/10) wird aufgehoben.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen einen Auskunftsbeschluss des Bundeskartellamtes.
Die Klägerin ist eine gesetzliche Krankenkasse. Am 25. Januar 2010 um 11.00 Uhr fand eine gemeinsame Pressekonferenz von acht gesetzlichen Krankenkassen im Haus der Bundespressekonferenz, Schiffbauer Damm 40 in Berlin, mit dem Titel “Finanzentwicklung in der GKV - Einstieg in den Zusatzbeitrag„ statt. An dieser Veranstaltung nahm auch ein Vertreter der Klägerin teil. Im Rahmen dieser Pressekonferenz informierten die dort vertretenen Krankenkassen die Öffentlichkeit über ihre Planungen, kassenindividuelle Zusatzbeiträge im Sinne des § 242 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) zu erheben.
Der Verwaltungsrat der Klägerin entschied in seiner Sitzung vom 1. Februar 2010 über die Einführung eines Zusatzbeitrages in Höhe von 8,-- € monatlich. Eine entsprechende Satzungsänderung ist erfolgt.
Mit Beschluss vom 17. Februar 2010, der Klägerin zugestellt am 19. Februar 2010, verlangte das Bundeskartellamt von der Klägerin die Erteilung von Auskünften durch Beantwortung nachfolgender Fragen sowie der Vorlage von Unterlagen:
“Beantworten Sie bitte folgende Fragen:
1. Wann hat der Vorstand Ihrer Krankenkasse beschlossen, den Zusatzbeitrag gemäß § 242 SGB V von den Versicherten zu erheben?
2. Wann hat der Verwaltungsrat Ihrer Krankenkasse die Entscheidung über die Einführung des Zusatzbeitrages getroffen bzw. wann wird er sie treffen?
3. Wann und auf welchem Wege haben die anderen an der gemeinsamen Pressekonferenz beteiligten Krankenkassen Ihre Krankenkasse jeweils von ihren Plänen zur Erhebung von Zusatzbeitragen gemäß § 242 SGB V informiert? (…)
4. Wann und auf welchem Wege haben die anderen an der gemeinsamen Pressekonferenz beteiligten Krankenkassen Ihre Krankenkasse jeweils von der konkret geplanten Höhe und dem voraussichtlichen Termin der Einführung der Zusatzbeiträge informiert?
5. Wann und auf welchem Wege hat Ihre Krankenkasse jeweils andere Krankenkassen über die Erhebung eines Zusatzbeitrages, dessen Höhe und das voraussichtliche Einführungsdatum unterrichtet?
6. Wie erfolgte die Auswahl des Veranstalters der gemeinsamen Pressekonferenz?
7. Nach welchen Kriterien wurden die an der Veranstaltung teilnehmenden Krankenkassen sowie die externen Sachverständigen ausgewählt, welche Krankenkassen waren zur Teilnahme an der Veranstaltung eingeladen und wer nahm tatsächlich teil?
8. Wie erfolgte die Abstimmung für Ort und Zeitpunkt der Pressekonferenz?
Übermitteln Sie bitte folgende Unterlagen an das Bundeskartellamt:
9. Sämtliche im Zusammenhang mit der Empfehlung der Einführung eines Zusatzbeitrages an den Verwaltungsrat stehende Dokumente, insbesondere den Vorstandsbeschluss, das Protokoll der Vorstandssitzung, auf der der Beschluss gefasst wurde, Entscheidungsvorlagen aber auch Strategiepapiere und Präsentationen.
10. Den Beschluss des Verwaltungsrates zur Einführung des Zusatzbeitrage...