Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 21. Oktober 1958 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Der Kläger war in der Kraftfahrzeughandlung und -reparaturwerkstatt seines Vaters in Dissen (Bez. Kassel) als Angestellter beschäftigt. Am 24. Juli 1955 nahm er an einer vom Motor-Sport-Club „Eder-Schwalm” veranstalteten Geländegeschicklichkeitsfahrt für Krafträder am Harler Berg (Kreis Melsungen) teil Dabei stürzte er mit einem aus den Verkaufsbeständen des Unternehmens seines Vaters stammenden Motorrad und brach sich den rechten Fuß. Er begehrt Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung, weil er an der Motorsportveranstaltung zur Kundenwerbung für das Unternehmen seines Vaters teilgenommen habe. Die Beklagte lehnte den Entschädigungsanspruch durch Bescheid vom 24. Oktober 1955 mit der Begründung ab, der Kläger habe sich an der Geschicklichkeitsfahrt lediglich aus motorsportlichen und daher rein privaten Gründen beteiligt.

Mit der Klage hiergegen hat der Kläger geltend gemacht, im Jahre 1955 seien im Handel mit Krafträdern Absatzschwierigkeiten aufgetreten, die es erforderlich gemacht hätten, alle sich bietenden Werbemöglichkeiten auszunutzen; dazu sei auch die Teilnahme von Firmenvertretern an Schaufahrten geeignet gewesen. Das Sozialgericht Kassel hat nach Einholung einer Auskunft des Zentralverbandes des Kraftfahrzeughandels und -gewerbes e.V., der das Klagevorbringen im wesentlichen bestätigt, die Beklagte zur Entschädigungsleistung verurteilt. Es ist der Ansicht, in der Eigenart des Kraftfahrzeughandels liege es, daß sich Gelegenheiten zur Anbahnung von Kaufabschlüssen bei motorsportlichen Veranstaltungen bieten; deshalb sei anzunehmen, daß auch der Kläger wesentlich im geschäftlichen Interesse an der Geschicklichkeitsfahrt teilgenommen habe.

Hiergegen hat die Beklagte Berufung eingelegt und vorgebracht, die Teilnahme des Klägers an der Geschicklichkeitsfahrt habe mit dem Unternehmen, in dem er nur mit Reparaturarbeiten befaßt gewesen sei, nicht in unmittelbarer Beziehung gestanden; die Geländesportveranstaltung habe lediglich der Pflege des motorsportlichen Gedankens, nicht aber Werbezwecken für Kraftfahrzeugbetriebe gedient. Das Landessozialgericht (LSG) hat nach Beweiserhebung über Art, Zweck und Durchführung der Geschicklichkeitsfahrt am Harler Berg durch Urteil vom 21. Oktober 1958 die Berufung zurückgewiesen. Es hat zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Der Kläger sei auch in der Verkaufsabteilung des Unternehmens seines Vaters tätig gewesen. Auf der Sportveranstaltung vom 24. Juli 1955 habe er ein Kraftrad der Type benutzt, die in der Fahrzeughandlung seines Vaters zu kaufen war. Daraus sei zu schließen, daß der Kläger die bei der Schaufahrt gebotene Gelegenheit der Kundenwerbung wahrgenommen habe und damit im geschäftlichen Interesse mitgefahren sei. Hierfür spreche auch, daß er fast ausschließlich an motorsportlichen Veranstaltungen teilgenommen habe, die im engeren Absatzgebiet des Unternehmens seines Vaters durchgeführt wurden. Außerdem habe der Betrieb für die Werbetätigkeit insofern gesorgt, als er durch Lehrlinge Fähnchen, Prospekte und sonstiges Reklamematerial habe verteilen und durch Angestellte, die dem Kläger als Juniorchef unterstanden, Verkaufschancen habe wahrnehmen lassen. Dies zeige, daß es dem Unternehmen auch darauf angekommen sei, durch die Teilnahme des Klägers an Geländesportveranstaltungen Kunden zu werben. Demzufolge sei der innere Zusammenhang zwischen der zum Unfall führenden Fahrt des Klägers und seiner versicherten Tätigkeit als Angestellter im Betrieb seines Vaters gegeben. Dem stehe nicht entgegen, daß der Kläger mit seiner Teilnahme an den Motorsportveranstaltungen auch sportliche Zwecke mitverfolgt habe.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Das Urteil ist der Beklagten am 4. November 1958 zugestellt worden. Sie hat am 29. November 1958 Revision eingelegt und diese innerhalb der nach § 164 Abs. 1 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) verlängerten Frist begründet. Sie bringt vor: Das LSG habe die gesetzlichen Grenzen seines Rechts auf freie richterliche Beweiswürdigung überschritten (§ 128 Abs. 1 SGG). Es habe nicht einwandfrei festgestellt, daß auch bei der Geschicklichkeitsfahrt am 24. Juli 1955 Lehrlinge und Angestellte des vom Kläger vertretenen Unternehmens zu geschäftlichen Werbezwecken eingesetzt gewesen seien. In sachlich-rechtlicher Hinsicht sei § 542 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht richtig angewandt. Das LSG habe verkannt, daß die Teilnahme an der Geschicklichkeitsfahrt nur Mitgliedern von Motorsportverbänden möglich gewesen sei und daß daher der Kläger auch nur aus rein sportlichen Gründen an der Veranstaltung mitgewirkt habe. An einer betrieblichen Beziehung fehle es schon deshalb, weil die Fahrt weder zeitlich noch örtlich dem Geschäftsbetrieb habe zugerechnet werden können; der Kläger habe lediglich die Gelegenheit zur privaten motorsportlichen Freizeitgestaltung wahrgenommen. Für eine den Versicherungsschutz begründende Werbetätigkeit habe es jedenfalls an einer genügend engen Beziehung zum Unternehmen gefehlt; die Benutzung eines als Verkaufsmodell dienenden Kraftrades habe hierfür nicht ausgereicht. Außerdem ginge es nicht an, auf derart gefährliche Werbemethoden das Versicherungsrisiko zu erstrecken.

Die Beklagte beantragt,

  • unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen die Klage abzuweisen,
  • hilfsweise, die Sache an das LSG zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er pflichtet im wesentlichen den Ausführungen des angefochtenen Urteils bei.

II

Die Revision ist durch Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG); sie ist in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden, somit zulässig. Das Rechtsmittel hatte jedoch keinen Erfolg.

Die Auffassung des LSG, der Kläger habe bei seiner Teilnahme an der Geländegeschicklichkeitsfahrt für Krafträder vom 24. Juli 1955 am Harler Berg unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden, weil er sich an dieser Veranstaltung nicht nur aus motorsportlichen Gründen, sondern auch wesentlich im geschäftlichen Interesse der Kraftfahrzeughandlung seines Vaters, in der er als Angestellter beschäftigt war, beteiligt habe, ist frei von Rechtsirrtum. Diese Auffassung hat das LSG in tatsächlicher Beziehung u. a. auf folgende Feststellungen gestützt: Der Kläger habe sich mit einer Ausnahme nur an motorsportlichen Veranstaltungen beteiligt, die, wie auch die Geschicklichkeitsfahrt am Harler Berg, im näheren Umkreis des Betriebssitzes seines Vaters und daher im engeren Absatzgebiet des Unternehmens durchgeführt wurden. Dabei habe er ein Kraftrad gefahren, das zu den Verkaufsbeständen des Geschäftes seines Vaters gehörte. Auf der Veranstaltung sei durch Lehrlinge des Betriebs Werbematerial verteilt worden, und außer dem Kläger seien noch andere Angestellte seines Vaters an Ort und Stelle mit der Anbahnung von Verkaufsgeschäften beauftragt gewesen.

Die Beklagte hat diese Feststellungen zum Teil beanstandet; insoweit liegt jedoch kein wirksamer Revisionsangriff vor. Das LSG hat nicht, wie die Revision meint, unterlassen festzustellen, daß das Unternehmen des Vaters des Klägers durch Lehrlinge und Angestellte gerade auch am 24. Juli 1955 die Werbetätigkeit zur Absatzsteigerung im Handel mit Krafträdern entfaltet habe. In diesem Sinne sind jedenfalls die Ausführungen in der Begründung des angefochtenen Urteils zu verstehen, nach denen sich für das Unternehmen bei motorsportlichen Veranstaltungen, vor allem auch in Harle, eine besonders gute Gelegenheit geboten habe, das als Zuschauer anwesende, motorsportlich interessierte Publikum möglichst zahlreich als Käufer von Krafträdern zu gewinnen. Danach ist für eine von der Revision gerügte fehlerhafte Überzeugungsbildung des LSG im Sinne des § 128 Abs. 1 SGG kein Anhalt gegeben. Die angeführten tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils sind sonach für das Revisionsgericht bindend (§ 163 SGG).

Bei diesem vom LSG festgestellten Sachverhalt liegt es auf der Hand, daß im Kraftfahrzeughandel schon die Teilnahme eines Firmenvertreters mit einem dem Verkaufsmodell entsprechenden Kraftrad an Geschicklichkeitsfahrten im Rahmen öffentlicher Motorsportveranstaltungen geeignet ist, der Kundenwerbung für das Unternehmen zu dienen. Sind, wie im vorliegenden Streitfall, wegen der räumlichen Nähe des Veranstaltungsortes zum Sitz des Unternehmens die am Kraftradsport interessierten Besucher der Wettbewerbsvorführungen zugleich auch das potentielle Käuferpublikum, so bildet dieses einen geschlossenen Interessentenkreis, der es dem vertretenen Unternehmen ermöglicht, eine gezielte erfolgversprechende Werbung für seine Kraftfahrzeuge durchzuführen. Das vom Kläger bei den Motorsportveranstaltungen vertretene Unternehmen seines Vaters konnte daher, wie es auch geschehen ist, mit entsprechend wirksamen Werbemitteln unmittelbar in Erscheinung treten, und zwar nicht nur mit der Verteilung von Fähnchen, Prospekten und dergleichen durch Lehrlinge sowie der individuellen Bearbeitung der als kauflustig erkannten Veranstaltungsbesucher durch Angestellte, sondern auch durch die Teilnahme des Klägers auf einem als Verkaufsmodell dienenden Kraftrad an den Geschicklichkeitsfahrten selbst. Dadurch wurden konkrete unmittelbare Beziehungen zu dem Unternehmen seines Vaters hergestellt. Das LSG ist daher mit Recht zu der Auffassung gelangt, daß durch die Beteiligung des Klägers an der Fahrt die für die Anerkennung des Versicherungsschutzes erforderliche innere Beziehung zu dem Unternehmen seines Vaters begründet wurde (vgl. BSG 1, 258).

Sicherlich hat sich der Kläger an der Geschicklichkeitsfahrt, wie das LSG nicht verkannt hat, auch aus Freude am Kraftfahrsport beteiligt. Daher waren das private und das geschäftliche Interesse des Klägers an der Sportveranstaltung gegeneinander abzuwägen. Das hat das LSG getan; es ist dabei ohne Rechtsirrtum zu dem Ergebnis gelangt, daß der Kläger an der Fahrt wesentlich im geschäftlichen Interesse teilgenommen hat. Ob er, wie die Revision meint, ohne von seinem Vater ausdrücklich beauftragt gewesen zu sein, mitgefahren ist, kann dahingestellt bleiben. Da das Vorfuhren der Leistungsfähigkeit des Verkaufsmodells eines Kraftrades vor einem interessierten Publikum ohne weiteres geeignet ist, absatzsteigernd und damit betriebsförderlich zu wirken, ist unbedenklich anzunehmen, daß der Kläger mindestens im Einverständnis seines Vaters und Arbeitgebers an der Fahrt teilgenommen hat.

Das sonstige Vorbringen der Revision bot keinen Anlaß, den Versicherungsschutz des Klägers bei seiner zum Unfall führenden Fahrt in Frage zu stellen. Soweit die Revision insbesondere geltend macht, mit einer Werbefahrt des Klägers am 24. Juli 1955 sei ein übermäßiges Unfallrisiko verbunden gewesen, hat das LSG zutreffend ausgeführt, daß sich der Kläger durch die Teilnahme an der Geschicklichkeitsfahrt, bei der es auf die Beherrschung des Kraftfahrzeugs in schwierigem Gelände und die Beachtung der Verkehrsregeln ankomme, keiner besonders großen Gefahr ausgesetzt habe. Auch aus dem Revisionsvorbringen ist nicht ersichtlich, daß der Kläger auf dieser Fahrt erheblich größere Gefahren zu bestehen gehabt hatte, als dies der Benutzung von Krafträdern an sich eigen ist. Daß aber ein solches Risiko vom Versicherungsschutz nicht erfaßt werde, will die Revision offensichtlich selbst nicht behaupten.

Hiernach war die Teilnahme des Klägers an der Geschicklichkeitsfahrt am Harler Berg seiner Tätigkeit in dem Kraftfahrzeugunternehmen seines Vaters zuzurechnen. Der Kläger stand daher im Zeitpunkt seines Unfalls unter Versicherungsschutz nach § 542 RVO. Die Beklagte ist deshalb zur Entschädigungsleistung verpflichtet.

Die Revision der Beklagten war somit als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Unterschriften

Brackmann, Dr. Baresel, Demiani

 

Fundstellen

Dokument-Index HI674120

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