Verfahrensgang

Sächsisches LSG (Urteil vom 29.07.1996; Aktenzeichen L 3 Al 7/95)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 29. Juli 1996 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Klägerin begehrt höheres Arbeitslosengeld (Alg) ab dem 6. August 1993.

Die Klägerin war bis einschließlich Juli 1993 bei der D. … K. … L. … beschäftigt. Ihr Verdienst betrug bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden im Februar 1993 für 15 Tage 1.178,56 DM, im März für 20 Tage 1.540,80 DM, im April 1993 für 20 Tage 1.787,36 DM und im Mai 1993 für 13 Tage 1.025,44 DM. Die beklagte Bundesanstalt für Arbeit zahlte im September 1993 für die Monate Juni und Juli Konkursausfallgeld (Kaug); außerdem wurde der sich aus einer rückwirkenden tariflichen Entgelterhöhung ergebende Nachzahlungsbetrag für Mai 1993 durch Kaug ausgeglichen.

Das Arbeitsamt bewilligte der Klägerin ab 6. August 1993 Alg in Höhe von 154,80 DM wöchentlich nach einem Bemessungsentgelt von 410,00 DM, einer Nettolohnersatzquote von 63 vH und der Leistungsgruppe D. Das wöchentliche gerundete Arbeitsentgelt war nach dem in den Monaten März bis Mai 1993 erzielten Arbeitsentgelt berechnet (Bescheid vom 25. August 1993; Widerspruchsbescheid vom 1. Oktober 1993).

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin Alg auf der Bemessungsgrundlage des Bruttoarbeitsentgelts in Höhe der Lohngruppe 6 des einschlägigen Manteltarifvertrages der Metall- und Elektroindustrie in Sachsen für die Monate Juni und Juli 1993 zu bemessen und auszuzahlen und für den Monat Mai 1993 als Bemessungsgrundlage ein Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 1.656,48 DM heranzuziehen (Urteil vom 17. Mai 1994).

Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 29. Juli 1996). Es hat ausgeführt, daß die Beklagte nicht von einem zu niedrigen Bemessungsentgelt ausgegangen sei. Für das Begehren der Klägerin, bei der Bemessung die Monate Juni und Juli 1993 einzubeziehen, fehle es an einer gesetzlichen Grundlage, weil die Klägerin in diesen Monaten kein „Arbeitsentgelt” iS von § 112 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) erzielt habe. Infolge der Insolvenz des Arbeitgebers seien nämlich der Klägerin zu keinem Zeitpunkt – auch nicht nachträglich – nach den arbeitsvertraglichen und tarifvertraglichen Bestimmungen abgerechnete Entgeltbeträge für die Monate Juni und Juli 1993 zugeflossen. Das für diese beiden Monate gezahlte Kaug stelle kein Arbeitsentgelt, sondern eine Sozialleistung dar, welche bei der Leistungsbemessung nicht berücksichtigt werden könne. Ebenfalls nicht berücksichtigt werden könne die Zahlung für Mai 1993, da sie nicht in der Form von Arbeitsentgelt zugeflossen sei. Das Begehren der Klägerin lasse sich auch nicht auf § 112 Abs 7 AFG stützen. Da es der Klägerin darum gehe, bei der Berechnung ihres Leistungsanspruchs die tarifliche Gehaltsanhebung ab dem 16. April 1993 einzubeziehen, ergebe sich beim maßgeblichen Bemessungsentgelt keine Höhendifferenz, die als unbillige Härte anzusehen sei. Dahingestellt bleiben könne, ob die Beklagte wegen der in den Monaten März bis Mai 1993 angefallenen Kurzarbeit den Bemessungszeitraum auf den Monat Februar 1993 habe ausdehnen müssen, da sich auch dann kein höherer Leistungsanspruch ergebe.

Die Klägerin hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung des § 112 Abs 1 und 2 AFG. Auch das Arbeitsentgelt für die Monate Juni und Juli 1993 sei zur Zeit der Arbeitslosmeldung bereits abgerechnet gewesen. Der Auffassung, das Arbeitsentgelt für diese beiden Monate sei mangels Zufluß nicht „erzielt” worden, sei nicht zu folgen. Dabei sei zu berücksichtigen, daß anstelle des infolge Insolvenz nicht gezahlten Arbeitsentgelts Kaug gewährt worden sei, das den tatsächlich erarbeiteten Lohn ersetze und die Vertragserfüllung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bewirke. Auch sei durch das Arbeitsförderungs-Reformgesetz (AFRG) zugunsten der betroffenen Versicherten klargestellt, daß auch Arbeitsentgelt als erzielt zu betrachten sei, das nur wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht zugeflossen sei.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 29. Juli 1996 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 17. Mai 1994 mit der Maßgabe zurückzuweisen, daß die Beklagte als Bemessungszeitraum die Monate April bis Juli 1993 mit den dafür erstellten Lohnabrechnungen zugrunde zu legen hat.

Die Beklagte beantragt,

die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Klägerin ist nicht begründet.

Die Höhe des der Klägerin dem Grunde nach ab 6. August 1993 zustehenden Anspruchs auf Alg richtet sich nach § 111 Abs 1 Nr 2 AFG in der bis zum 31. Dezember 1993 gültigen Fassung. Danach beträgt das Alg 63 vH des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts (§ 112 AFG). Die AFG-Leistungsverordnung 1993 (vom 18. Dezember 1992, BGBl I 2354), in der für die verschiedenen Arbeitsentgelte (§ 112 AFG) nach Minderung um die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallenden Abzüge unter Berücksichtigung der Nettolohnersatzquote von 63 vH die jeweiligen Leistungssätze ausgewiesen sind, sieht in der Leistungsgruppe D, der die Klägerin gemäß § 111 Abs 2 Satz 2 Nr 1 Buchst d AFG angehört (Steuerklasse V), für ein (wöchentliches) Arbeitsentgelt von 410,00 DM die bewilligten 154,80 DM vor. Ein Anspruch auf höheres Alg wäre der Klägerin nur dann zuzuerkennen, wenn die Leistung nach einem höheren Arbeitsentgelt (Bemessungsentgelt) als 410,00 DM zu zahlen wäre. Dies ist jedoch nicht der Fall.

Bemessungsentgelt iS des § 112 AFG ist das Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum durchschnittlich in der Woche erzielt hat (Abs 1 Satz 1). Der Bemessungszeitraum umfaßt nach § 112 Abs 2 Satz 1 AFG in der bis zum 31. Dezember 1993 geltenden Fassung des Achten AFG-Änderungsgesetzes vom 14. Dezember 1987 (BGBl I 2602) die beim Ausscheiden des Arbeitnehmers abgerechneten Lohnabrechnungszeiträume der letzten drei Monate der die Beitragspflicht begründenden Beschäftigungen vor Entstehung des Anspruchs, in denen der Arbeitslose Arbeitsentgelt erzielt hat. Dies sind hier die Monate März, April und Mai 1993, nicht, wie die Revision erstrebt, die Monate Mai, Juni und Juli 1993. Denn mögen vor dem Ausscheiden der Klägerin aus dem Beschäftigungsverhältnis auch die Löhne für Juni und Juli 1993 schon abgerechnet gewesen sein, iS des § 112 Abs 2 AFG erzielt hat die Klägerin das in diesen beiden Monaten erarbeitete Arbeitsentgelt nicht, das ihr infolge Insolvenz nicht mehr ausgezahlt worden ist. Für die Abgrenzung des Bemessungszeitraums gilt, wie der 7. Senat unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte und den Zweck der Vorschrift ausführlich dargelegt hat (vgl BSGE 76, 162, 165 = SozR 3-4100 § 112 Nr 22; BSGE 77, 244, 247 = SozR 3-4100 § 112 Nr 24), weiterhin das strenge Zuflußprinzip. Daß die Klägerin für Juni und Juli 1993 Kaug erhalten hat, ändert hieran nichts; denn das Kaug ist der Klägerin weder vor dem Ausscheiden noch zeitnah mit dem Ausscheiden zugeflossen, sondern erst im September 1993 bewilligt worden. Die Frage, ob das Kaug, wenn es zB noch im Juli 1993 gezahlt worden wäre, als erzieltes Arbeitsentgelt anzusehen wäre, stellt sich daher nicht.

Soweit die Revision auf den am 1. Januar 1998 in Kraft tretenden § 134 Abs 1 Satz 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch ≪SGB III≫ (Art 1 AFRG vom 24. März 1997, BGBl I 594) hinweist, wonach auch das nur wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht zugeflossene Arbeitsentgelt als erzielt gilt, geht dieser Hinweis deshalb fehl, weil es sich bei der Vorschrift um eine Neuregelung zum Bemessungsentgelt nach § 112 Abs 1 AFG, nicht jedoch zur Festlegung des Bemessungszeitraumes handelt. Jedoch führt auch die insoweit einschlägige Bestimmung des § 130 Abs 1 SGB III, nach der der Bemessungszeitraum Entgeltabrechnungszeiträume umfaßt, die beim Ausscheiden aus dem letzten Versicherungspflichtverhältnis vor der Entstehung des Anspruchs abgerechnet sind, nicht zu einer anderen Beurteilung. Bei Erlaß des AFRG hat der Gesetzgeber nämlich keinen Anlaß gesehen, die genannte Regelung auch in die zahlreichen Änderungen des AFG (Art 11 AFRG) einzubeziehen oder ihr gar für die Vergangenheit Rückwirkung beizulegen. Die Regelungen können damit nur ab 1. Januar 1998 Geltung beanspruchen (Art 83 Abs 1 AFRG). Für die Zeit zuvor enthält die Vorschrift indirekt eine Bestätigung der Rechtsprechung, die Arbeitsentgelt iS des § 112 Abs 2 AFG nicht als erzielt ansieht, wenn es zwar erarbeitet, aber dem Arbeitnehmer nicht zugeflossen ist. Die Neuregelung gibt deshalb keine Veranlassung, die bisherige Rechtsprechung zu § 112 Abs 2 AFG in Frage zu stellen.

Scheidet danach die von der Klägerin geforderte Berücksichtigung der Monate Juni und Juli 1993 als Teil des Bemessungszeitraums aus, bilden den Bemessungszeitraum nach § 112 Abs 2 Satz 1 AFG die Monate März, April und Mai 1993. Nach § 112 Abs 2 Satz 3 AFG verlängert sich der Bemessungszeitraum allerdings um weitere Lohnabrechnungszeiträume, bis 60 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt erreicht sind, wenn die Lohnabrechnungszeiträume des § 112 Abs 2 Satz 1 AFG weniger als 60 Tage Anspruch auf Arbeitsentgelt enthalten, wie das infolge Kurzarbeit hier der Fall ist. Denn da Kurzarbeitergeld kein Arbeitsentgelt ist (BSG SozR 3-4100 § 112 Nr 17), sind Tage, für die ausschließlich Kurzarbeitergeld gezahlt worden ist, keine Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt. Zu den Monaten März, April und Mai ist daher auch der Lohnabrechnungszeitraum Februar einzubeziehen, weil erst dann die (ausreichende) Zahl von 68 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt erreicht wird.

Auf der Grundlage des so festgelegten Bemessungszeitraums ergibt sich gegenüber der Berechnung der Beklagten, die lediglich die Lohnabrechnungszeiträume März bis Mai 1993 zugrunde gelegt hatte, kein höherer Anspruch auf Alg. Die Klägerin hat im Bemessungszeitraum ein Bruttoarbeitsentgelt von insgesamt 5.532,16 DM bei insgesamt 544 bezahlten Arbeitsstunden erzielt. Hieraus ergibt sich gerundet (§ 112 Abs 10 AFG) dasselbe wöchentliche Arbeitsentgelt (410,00 DM), das auch im angefochtenen Bescheid zugrunde gelegt wurde (5.532,16 DM: 544 Stunden = 10,16 DM × 40 Stunden = 406,40 DM). Eine Erhöhung des wöchentlichen Arbeitsentgelts ergibt sich auch nicht, wenn zusätzlich der nachträglich durch Kaug ausgeglichene Nachzahlungsbetrag für den Monat Mai einzubeziehen wäre, da sich wiederum ein gerundetes wöchentliches Arbeitsentgelt von 410,00 DM errechnet (5.604,96 DM: 544 Stunden = 10,30 DM × 40 Stunden = 412,00 DM). Deshalb kommt es auf die Frage, ob durch Kaug ausgeglichenes Arbeitsentgelt als in nachträglicher Vertragserfüllung erzieltes Arbeitsentgelt iS des § 112 Abs 1 AFG angesehen werden kann, unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt an.

Die Revision der Klägerin war somit zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz.

 

Fundstellen

SozSi 1997, 439

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