Beteiligte
Kläger und Revisionskläger |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Ersatz der Aufwendungen hat, die ihm Anfang 1980 durch die Beschaffung der dem Beigeladenen und seiner Ehefrau im Rahmen der Eingliederungshilfe gemäß § 39 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) leihweise überlassenen beiden Schreibtelefone entstanden sind.
Der Beigeladene ist Mitglied der Beklagten. Er und seine Ehefrau sind seit ihrer Geburt gehörlos. Der Kläger ist für mehrere Gehörlosen-Organisationen tätig, seine Ehefrau ist Hausfrau. Im Haushalt lebt eine 1966 geborene hörgesunde Tochter; eine 1970 gehörlos geborene Tochter besucht werkstags eine auswärtige Gehörlosenschule mit Internat, an den Wochenenden lebt sie in der Familie.
Der Beigeladene und seine Ehefrau nutzen die Geräte für Telefonate, die sie untereinander oder mit anderen entsprechend ausgerüsteten Gehörlosen, insbesondere während der Woche auch mit der gehörlosen Tochter von oder nach auswärts führen. Der Beigeladene benutzt das Schreibtelefon auch bei seiner Tätigkeit für die Gehörlosenorganisationen.
Das Sozialgericht (SG) Kassel hat die Beklagte mit Urteil vom 25. November 1981 verurteilt, dem Kläger die Anschaffungskosten für die beiden Schreibtelefone zu erstatten. Hingegen hat das Hessische Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 30. März 1983 die Klage abgewiesen: Das Schreibtelefon sei zwar ein Hilfsmittel, das geeignet sei, die körperliche Funktionsstörung der Gehörlosigkeit teilweise auszugleichen. Es sei aber kein notwendiges medizinisches Hilfsmittel i.S. des § 182 b der Reichsversicherungsordnung (RVO) zur Befriedigung elementarer Lebensbedürfnisse, sondern diene der Erweiterung des Freiraumes und der Betätigung im gesellschaftlichen, privaten und beruflichen Bereich, dem auch die mit Hilfe des Schreibtelefones besser mögliche spontane Fernkommunikation zugehöre. Beim Beigeladenen und seiner Ehefrau lägen auch keine besonderen Umstände vor, die eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten.
Gegen dieses Urteil richten sich die - vom erkennenden Senat zugelassenen - Revisionen des Klägers und des Beigeladenen. Beide machen übereinstimmend geltend, das LSG habe den Hilfsmittelbegriff i.S. des § 182 b RVO bezüglich des Schreibtelefons in Anlehnung an die Rechtsprechung des 3. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) (SozR 2200 § 182 b Nr. 26) zu eng abgegrenzt. Demgegenüber habe der 9. Senat des BSG (BSGE 54, 140) das Schreibtelefon als ein erforderliches Hilfsmittel angesehen. Diese Entscheidung sei zwar zu § 13 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) ergangen, sie lasse aber gleichwohl erkennen, daß beide Vorschriften die gleiche Zielrichtung hätten, so daß das Schreibtelefon auch als Hilfsmittel i.S. des § 182 b RVO anerkannt werden müsse. Zumindest habe das LSG die Notwendigkeit der Verwendung eines Schreibtelefones für den Beigeladenen und seine Ehefrau im Hinblick auf die besonderen Bedingungen in der Familie des Beigeladenen bejahen müssen. Nicht nur die Vermeidung von Kommunikationsproblemen der Ehegatten untereinander, sondern vor allem auch die notwendige Pflege der Eltern-Kind-Beziehungen erfordere die Versorgung des Klägers und seiner Ehefrau mit einem Schreibtelefon.
Der Kläger und der Beigeladene beantragen, das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 30. März 1983 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 25. November 1981 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt hilfsweise, die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, daß die Schreibtelefone Zug um Zug an die Beklagte übereignet werden.
Die Beklagte beantragt, die Revisionen des Klägers und des Beigeladenen zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II
Die Revisionen führen zur Zurückverweisung des Rechtsstreits.
Der erkennende Senat hat den vom Kläger erhobenen Anspruch nach der gemäß Art II § 25 des Gesetzes vom 4. November 1982 (BGBl. I 1450) ab 1. Juli 1983 in Kraft befindlichen Vorschrift des § 104 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - (SGB X) zu beurteilen, denn nach der Übergangsvorschrift in Art II § 21 SGB X (3. Kapitel) des Gesetzes vom 4. November 1982 sind Erstattungsstreitigkeiten zwischen mehreren Sozialleistungsträgern nach den Vorschriften des SGB X zu Ende zu führen. Der Große Senat des BSG (Beschluß vom 15. Dezember 1982 - GS 2/80 -; BSGE 54, 223 = SozR 1300 § 44 Nr. 3) hat - allerdings zu Art II § 37 Abs. 1 SGB X (1./2. Kapitel) vom 18. August 1980 (BGBl. I 1469) - entschieden, daß zu den bereits begonnenen Verfahren im Sinne dieser Vorschrift auch die Streitigkeiten gehören, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes in einem gerichtlichen Verfahren anhängig waren. Die vom Großen Senat des BSG (a.a.O.) für diese Abgrenzung angeführten Gründe gelten in gleicher Weise auch für die von der Überleitungsvorschrift in Art II § 21 SGB X des Gesetzes vom 4. November 1982 erfaßten Fälle des 3. Kapitels des SGB X. Der hier streitige Erstattungsfall betraf zunächst einen Erstattungsanspruch i.S. des am 30. Juni 1983 außer Kraft getretenen § 1531 RVO; diese Vorschrift ist durch § 104 SGB X abgelöst worden (Schroeder-Printzen/Engelmann, SGB X, Anm. 1 zu § 104).
Der Kläger hat einen Erstattungsanspruch gegen die Beklagte, wenn diese gemäß § 182 b RVO (i.d.F. des § 21 Nr. 7 des Gesetzes vom 7. August 1974 -BGBl. I 1881-) - die Vorschrift ist gemäß § 14 Abs. 5 der Versicherungsbedingungen der Beklagten in der ab 1. Januar 1980 geltenden Fassung des 22. Nachtrages anzuwenden - verpflichtet war, dem Beigeladenen und seiner Ehefrau Schreibtelefone als Leistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung zur Verfügung zu stellen und die inhaltsgleiche Leistungspflicht des Klägers demgegenüber nachrangig ist. Nachrangig verpflichtet ist ein Leistungsträger, soweit er bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungspflicht eines anderen Leistungsträgers nicht selbst verpflichtet wäre (§ 104 Abs. 1 Satz 2 SGB X). Dies gilt auch für das Rangverhältnis der Leistungspflichten des Klägers und der Beklagten, denn gemäß § 2 Abs. 1 BSHG (i.d.F. der Bekanntmachung vom 13. Februar 1976 - BGBl. I 1150 -) erhält Sozialhilfe nach dem BSHG nur, wer die erforderliche Hilfe u.a. nicht von einem Träger anderer Sozialleistungen erhält.
Die Leistungspflicht der Beklagten setzt u.a. voraus, daß die Schreibtelefone Hilfsmittel sind, die erforderlich sind, um - allein diese Variante des § 182 b RVO kommt nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG hier in Betracht - die Auswirkungen der körperlichen Behinderung der Gehörlosigkeit auszugleichen. In Übereinstimmung mit dem 3. Senat des erkennenden Gerichts (Urteil vom 26. Oktober 1982 - 3 RK 28/82 -, SozR 2200 § 182 b Nr. 26) ist davon auszugehen, daß das Schreibtelefon ein Hilfsmittel i.S. des § 182 b RVO ist, da es im Hinblick auf seine Funktionsweise (s. dazu ausführlich BSG a.a.O. und Urteil vom 27. Oktober 1982 - 9 a RV 16/82 - BSGE 54, 140, 141 = SozR 3100 § 13 Nr. 6) zur sonst nicht möglichen Fernverständigung mehrerer gleich ausgerüsteter Gehörloser untereinander oder mit einem Gehörlosen erforderlich ist, und damit die Auswirkungen der Gehörlosigkeit insoweit entscheidend verringert.
Der Krankenversicherungsträger ist aber nur dann leistungspflichtig, wenn dieses Hilfsmittel im krankenversicherungsrechtlichen Sinne notwendig ist (§ 182 Abs. 2 RVO). Dazu hat der 3. Senat des BSG in bereits ständiger Rechtsprechung (vgl. das Urteil vom 24. April 1979 - 3 RK 20/78 - SozR 2200 § 182 b Nr. 12) klargestellt, daß es bei der Anwendung des § 182 b RVO auch unter Berücksichtigung der Zielsetzung des Rehabilitationsangleichungsgesetzes (RehaAnglG) vom 7. August 1974 (BGBl. I 1881) darauf ankommt, ob der Einsatz des Hilfsmittels der alltäglichen Lebensbetätigung im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse dient. Soweit es dagegen nur für besondere, dem gesellschaftlichen oder privaten Bereich allein zuzurechnende Tätigkeiten benötigt wird, gehört es nicht zu den nach § 182 Abs. 2 RVO zu gewährenden Leistungen (BSG, 3. Senat, Urteile vom 28. September 1976 - 3 RK 9/76 - BSGE 42, 229, 231 und vom 26. Oktober 1982 a.a.O.; erkennender Senat, Urteil vom 24. November 1983 - 8 RK 6/82 -, SozR 2200 § 182 Nr. 93; Peters, Handbuch der Krankenversicherung, 17. Aufl., Anm. 4 a) zu § 182 b; Krauskopf/Schroeder-Printzen, Soziale Krankenversicherung, Stand 7. Ergänzungslieferung, Anm. 2 zu § 182 b). An dieser Abgrenzung ist auch unter Berücksichtigung des Urteils des 9. Senats des BSG vom 27. Oktober 1982 (a.a.O.) festzuhalten. In dieser Entscheidung ist zwar die Fernverständigung mehrerer Gehörloser untereinander mittels Schreibtelefon den elementaren Grundbedürfnissen und Lebensbetätigungen zugeordnet und die Gewährung eines solchen Gerätes als "Teil der Heilbehandlung" i.S. des BVG angesehen worden, dessen Einsatz als Verständigungsmittel Gehörloser untereinander auch nicht durch die Möglichkeit der schriftlichen Verbindung entbehrlich sei.
Es kann dahingestellt bleiben, ob dieser Begründung für die Abgrenzung der Erforderlichkeit i.S. des § 13 BVG zu folgen ist. Auch der 9. Senat des BSG (a.a.O.) hat zwischen den orthopädischen und anderen Hilfsmitteln unterschieden und auf die inhaltlich engeren Grenzen der Notwendigkeit i.S. des § 182 Abs. 2 RVO gegenüber der Zuordnung zu den orthopädischen Hilfsmitteln i.S. des § 13 BVG hingewiesen (BSGE 54, 140, 144). In gleicher Weise ist ohne Bedeutung, ob das Verwaltungsgericht Wiesbaden in dem zwischen dem Kläger und dem Beigeladenen ergangenen Urteil vom 3. Oktober 1979 - IV/2 E (IV/3) 132/79 - zutreffend entschieden hat, daß die Voraussetzungen des § 9 der Eingliederungshilfe-Verordnung i.d.F. vom 1. Februar 1975 (BGBl. I 433) für die Gewährung je eines Schreibtelefons für den Beigeladenen und seine Ehefrau erfüllt sind. Sowohl aus der Systematik der §§ 39 f. BSHG als auch aus dem Wortlaut des § 40 BSHG i.V.m. § 9 Abs. 1 und Abs. 3 der Eingliederungshilfe-VO ergibt sich, daß mit der Eingliederungshilfe nach dem BSHG nicht nur allgemein gesundheitliche, sondern auch berufliche und gesellschaftliche Belange gefördert werden sollen.
Bei diesen Abgrenzungskriterien der Notwendigkeit i.S. des § 182 Abs. 2 RVO kann das Schreibtelefon nicht generell als notwendiges Hilfsmittel i.S. § 182 b RVO angesehen werden. Mit dem 9. Senat des BSG (a.a.O.) ist zwar davon auszugehen, daß dieses Gerät zur telefonischen Kommunikation Gehörloser untereinander oder mit anderen in gleicher Weise ausgerüsteten Gesprächspartnern erforderlich ist und daß es damit den einem Gehörlosen zur Verfügung stehenden Freiraum wesentlich erweitert (vgl. dazu auch BSG, Urteil vom 24. August 1978 - 5 RKn 19/77 - SozR 2200 § 182 b Nr. 9). Allein deshalb kann jedoch die Versorgung mit einem Schreibtelefon noch nicht als notwendige Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung i.S. des § 180 Abs. 2 RVO angesehen werden. Das wäre nur dann der Fall, wenn die Benutzung des Telefons den elementaren Lebensbetätigungen zuzurechnen, wenn der Versicherte also für notwendige Verrichtungen des täglichen Lebens auf die telefonische Verständigung angewiesen wäre. Das ist jedoch nicht - jedenfalls derzeit noch nicht - der Fall. In der Bundesrepublik Deutschland verzichten aber noch immer mehrere Millionen Haushalte auf den Telefonanschluß als Mittel der Fernverständigung. Dementsprechend dient das Telefon auch gegenwärtig in der Regel nur den besonderen privaten, beruflichen oder allgemein-gesellschaftlichen Bedürfnissen, aber nicht den elementaren Lebensbetätigungen seiner Benutzer.
Allein entscheidungserheblich ist daher, ob der Beigeladene und seine Ehefrau wegen ihrer Behinderung aufgrund besonderer Umstände auf das Telefonieren mit anderen Schreibtelefonbenutzern unumgänglich angewiesen sind (BSG, Urteil vom 26. Oktober 1982 a.a.O.). Unter welchen Voraussetzungen eine solche Ausnahmesituation gegeben sein kann, hat der 3. Senat des BSG (a.a.O.) bisher nicht näher bestimmt. Die Entscheidung richtet sich nach dem jeweiligen Einzelfall. Das LSG hat eine rechtserhebliche Ausnahmesituation im Fall des Beigeladenen und seiner Ehefrau verneint. Die vom LSG hierzu getroffenen tatsächlichen Feststellungen reichen jedoch für diese Entscheidung nicht aus. Zwar ist es zutreffend davon ausgegangen, daß die Notwendigkeit der Verwendung eines Schreibtelefons nicht schon allein deshalb gegeben ist, weil der Beigeladene, seine Ehefrau und auch noch ein während der Schulzeit auswärts wohnendes minderjähriges Kind gehörlos sind. Denn allein daraus ergibt sich noch nicht, daß die Betroffenen unumgänglich auf die Benutzung eines Telefons angewiesen sind. Erforderlich ist aber die Berücksichtigung der gesamten Lebensverhältnisse des Beigeladenen und seiner Familie. Ergibt sich aus ihnen für den Beigeladenen oder seine Ehefrau die Notwendigkeit, miteinander oder insbesondere mit der gehörlosen Tochter, wenn diese sich in einer auswärtigen Gehörlosenschule aufhält, Telefongespräche zu führen, oder ergeben sich für den Bereich der elementaren Grundbedürfnisse und Lebensbetätigungen sonstige Umstände, die die Benutzung eines Schreibtelefons für den Beigeladenen und seine Ehefrau unumgänglich machen, so ist auch die Versorgung mit dem die Benutzung des Telefons erst ermöglichenden Schreibzusatzgerät erforderlich.
Je nach dem Ergebnis der hiernach notwendigen ergänzenden tatsächlichen Feststellungen wird das LSG auch zu prüfen haben, ob im Einzelfall des Beigeladenen beide Ehegatten notwendigerweise mit einem Schreibtelefon ausgerüstet werden müssen. Ferner wird das LSG zu prüfen haben, ob die Beklagte zur Erstattung der Anschaffungskosten nur Zug um Zug gegen Übereignung der Schreibtelefone verurteilt werden kann, oder ob - falls der Kläger dies nicht anbietet - überhaupt die vollen Anschaffungskosten oder nur die Aufwendungen für die Verzinsung des aufgewendeten Kapitals und die laufenden Betriebs- und Wartungskosten zu erstatten sind.
Das LSG wird auch über die außergerichtlichen Kosten für das Revisionsverfahren zu entscheiden haben.8 RK 45/83
Bundessozialgericht
Verkündet am
22. Mai 1984
Fundstellen