Leitsatz (redaktionell)
Ein Versicherter, für den Rentenversicherungsbeiträge in der irrtümlichen Annahme der Versicherungspflicht entrichtet worden sind, kann von den selbst getragenen Beitragsanteilen nicht die die jeweiligen Mindestbeiträge übersteigenden Teile zurückfordern.
Normenkette
RVO § 1422 Fassung: 1972-10-16; SGB IV § 26 Abs. 1 Fassung 1976-12-23
Verfahrensgang
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger zu Unrecht entrichtete Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung der Angestellten sich teilweise - bis auf die jeweiligen Mindestbeträge - erstatten und nur die restlichen Beiträge in freiwillige Beiträge umwandeln lassen kann.
Der Kläger war ab April 1977 bei einer Gesellschaft für Öltransporte mbH in Hamburg tätig, ab Mai 1979 war er Gesellschafter und Geschäftsführer der Gesellschaft. Für die Zeit ab April 1977 wurden laufend für ihn Pflichtbeiträge (Höchstbeiträge) zur Angestelltenversicherung entrichtet, und zwar bis einschließlich Dezember 1984. Anläßlich einer Betriebsprüfung stellte die AOK Hamburg als zuständige Beitragseinzugsstelle fest, daß ab Mai 1979 für den Kläger keine Versicherungspflicht mehr bestanden habe. Daraufhin beantragte dieser am 27. November 1985 bei der Beklagten die Rückzahlung desjenigen Teils der Beiträge, der über die jeweiligen Mindestbeiträge zur freiwilligen Versicherung hinausging. Die Beklagte lehnte dies ab (Schreiben vom 29. März 1986, Bescheid vom 26. August 1986 und Widerspruchsbescheid vom 13. Januar 1987).
Die Klage hatte Erfolg (Urteil des Sozialgerichts -SG- Hamburg vom 28. Juli 1987). Nach Ansicht des SG ist auch eine teilweise Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge möglich. So sei, wenn zu hohe Pflichtbeiträge entrichtet worden seien, nur der überzahlte Betrag zu erstatten. Im vorliegenden Falle sei weder dem Wortlaut des § 144 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG), wonach nicht zurückgeforderte Beiträge als Beiträge zur freiwilligen Versicherung gelten, noch dem Wortlaut des § 26 des Sozialgesetzbuches - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB 4), der die Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge regele, eine klare Entscheidung zwischen teilweiser oder vollständiger Erstattung zu entnehmen. § 144 AVG bezwecke, den Versicherten, der irrtümlich Pflichtbeiträge entrichtet habe, von versicherungsrechtlichen Nachteilen freizuhalten. Es handele sich um einen normierten Fall des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs. Unter diesem Gesichtspunkt müsse dem Versicherten, von welchem aufgrund einer falschen Entscheidung der Beitragseinzugsstelle Pflichtbeiträge gefordert wurden, nachträglich die Möglichkeit eingeräumt werden, eine Entscheidung auch über die Höhe seiner Beiträge zu treffen. Von besonderer Bedeutung für die Auslegung des § 144 AVG sei der mit Wirkung vom 1. Januar 1984 eingefügte § 7b des Art 2 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG). Wenn dort zur Aufrechterhaltung der Anwartschaft auf eine Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit die Zahlung von Mindestbeiträgen für ausreichend angesehen werde, so folge daraus, daß auch derjenige, der für die Vergangenheit irrtümlich Pflichtbeiträge entrichtet habe, nachträglich die Möglichkeit haben müsse, die Anwartschaft durch Mindestbeiträge aufrechtzuerhalten. Jedenfalls sei § 144 AVG seit dem 1. Januar 1984 in dieser Weise auszulegen. Demgemäß hat das SG die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide verurteilt, die Pflichtbeiträge des Klägers aus der Zeit von Mai 1979 bis Dezember 1984 zurückzuerstatten mit Ausnahme der jeweiligen Mindestbeiträge und die betreffenden Mindestbeiträge in freiwillige Beiträge umzuwandeln.
Mit der vom SG zugelassenen Sprungrevision macht die Beklagte geltend, daß eine "Aufspaltung" der irrtümlich entrichteten Pflichtbeiträge in teilweise zu erstattende und teilweise in freiwillige Beiträge umzuwandelnde nicht zulässig sei. Sie beruft sich hierfür auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 25. September 1969 - 12 RJ 444/68 -, wonach der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmeranteil zur Umwandlung der Pflicht- in freiwillige Beiträge erforderlich sei, daß es also nicht genüge, wenn nur der Arbeitnehmeranteil dem Versicherungsträger verbleibe. Das gleiche müsse gelten, wenn nicht einmal der ganze Arbeitnehmeranteil, sondern nur der jeweilige Mindestbeitrag beim Versicherungsträger bleiben solle. Die Beklagte weist außerdem auf den Wortlaut des § 144 AVG hin; es heiße dort nicht "soweit die Beiträge nicht zurückgefordert wurden" sondern "Beiträge, die .... nicht zurückgefordert werden ...". Es sei auch keine Ausnahme von der wortgetreuen Auslegung der Vorschrift, wenn die Versicherungsträger denjenigen Versicherten, die die Arbeitgeberanteile nicht nach § 26 Abs 2 Satz 2 SGB 4 ablösen könnten, gestatteten, die verbleibenden halben Beiträge zu vollen Beiträgen zusammenzulegen. Es sei auch richtig, daß bei überzahlten Pflichtbeiträgen der zuviel gezahlte Teil erstattet werde. In beiden Fällen bleibe aber "das Prinzip der Unteilbarkeit der Beiträge gewahrt". Dem Gedanken des SG, daß es sich bei § 144 AVG um eine gesetzliche Konkretisierung des Herstellungsanspruchs handele, könne nicht gefolgt werden, da es in der Regel bereits an einer fehlerhaften Entscheidung der Einzugsstelle als erster Voraussetzung eines solchen Anspruchs fehle.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und weist darauf hin, daß sich die Rechtslage seit der Zeit, auf die sich das Urteil des BSG vom 25. September 1969 bezogen habe, wesentlich geändert habe. Im übrigen sei eine Beschränkung der Versicherten auf die Wahl zwischen einer Umwandlung der vollen Pflichtbeiträge in freiwillige Beiträge oder ihrer vollen Rückzahlung mit Art 14 des Grundgesetzes nicht vereinbar. Es sei auch unvertretbar, Versicherte wie ihn vor die Alternative der Aufgabe ihrer Anwartschaft auf eine Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrente und ihrer Erhaltung mit unzumutbar hohen Beiträgen zu stellen, wenn für andere Versicherte nach Art 2 § 7b AnVNG zur Aufrechterhaltung der Anwartschaft die Fortzahlung von Mindestbeiträgen genüge. Auch der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 8. April 1987 zu der genannten Vorschrift zeige, daß höhere Beiträge insoweit nicht zumutbar seien.
Beide Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt, daß der Rechtsstreit durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) entschieden wird.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Entgegen der Ansicht des SG kann der Kläger nicht verlangen, daß die für ihn irrtümlich entrichteten Pflichtbeiträge bis auf Mindestbeiträge erstattet werden.
Sind Sozialversicherungsbeiträge zu Unrecht entrichtet worden, so sind sie nach § 26 SGB 4 (in Kraft seit dem 1. Juli 1977) grundsätzlich zu erstatten (Abs 1). Nach Abs 2 steht der Erstattungsanspruch demjenigen zu, der die Beiträge getragen hat (Satz 1). Soweit dem Arbeitgeber Beiträge, die er getragen hat, von einem Dritten ersetzt worden sind, entfällt sein Erstattungsanspruch (Satz 2). Diese für die Sozialversicherung allgemein getroffene Regelung wird für die gesetzliche Rentenversicherung, hier: für die Rentenversicherung der Angestellten, durch § 144 AVG ergänzt. Danach gelten Beiträge, die in der irrtümlichen Annahme der Versicherungspflicht entrichtet sind und nicht zurückgefordert werden, als für die freiwillige Versicherung entrichtet, wenn das Recht dazu in der Zeit der Entrichtung bestand.
Diese Vorschrift bezweckt erkennbar, Versicherte zu schützen, die auf die Wirksamkeit der für sie entrichteten Pflichtbeiträge vertraut und geglaubt haben, mit diesen Beiträgen entsprechende Rentenanwartschaften zu erwerben, die es deshalb häufig unterlassen haben, sich anderweitig zu sichern, insbesondere durch Entrichtung freiwilliger Beiträge. Solche Beiträge nachträglich zu entrichten, etwa in Höhe der erstatteten Pflichtbeiträge, scheitert in der Regel an der kurzen Nachentrichtungsfrist für freiwillige Beiträge, die bis 1979 noch zwei Jahre betrug, seitdem aber auf das laufende Kalenderjahr beschränkt ist (§ 140 Abs 1 AVG). § 144 AVG sieht deshalb eine "automatische" Umwandlung der unwirksam entrichteten Pflichtbeiträge in wirksame freiwillige Beiträge vor, sofern der Versicherte in der Zeit der Beitragsentrichtung zur freiwilligen Versicherung berechtigt war und die Beiträge nicht zurückgefordert werden.
Ob eine Umwandlung von Pflichtbeiträgen, die nicht allein vom Versicherten, sondern auch von einem Dritten (Arbeitgeber) getragen worden sind, nur für volle - den Versicherten- und den Arbeitgeberanteil umfassende - Beiträge zulässig ist, hatte der erkennende Senat, allerdings in anderer Besetzung, in einem schon von der Beklagten zitierten Urteil vom 25. September 1969 (12 RJ 444/68) zu entscheiden. Er hat die Frage damals bejaht und dies vor allem damit begründet, daß der Gesetzgeber dem Versicherten das Recht eingeräumt habe, den Rückforderungsanspruch des Arbeitgebers abzulösen und so eine volle Umwandlung der Beiträge zu erreichen. Ob diese Begründung für sich allein oder zusammen mit anderen Gründen die frühere Entscheidung des Senats rechtfertigt, die im übrigen auf einen Rechtszustand bezogen war, der vom heutigen erheblich abweicht (feste Beitragsklassen, Markenverfahren), läßt der Senat offen. Die Entscheidung konnte vor allem dann zu Härten führen, wenn der Arbeitgeber auf seinen Rückforderungsanspruch nicht verzichten wollte, dem Versicherten jedoch die Mittel fehlten, den Anspruch abzulösen, so daß auch er dann häufig zur Rückforderung seines Beitragsanteils genötigt war.
Die Rentenversicherungsträger sind jedenfalls der früheren Entscheidung des Senats insofern nicht gefolgt, als sie auch dann, wenn nur die Arbeitgeberanteile zurückgefordert werden, eine Umwandlung der beim Versicherungsträger allein verbleibenden Versichertenanteile in freiwillige Beiträge zulassen. Dabei werden allerdings, wie die Beklagte ausgeführt hat, je zwei "halbe" Beitragsanteile der Versicherten zu einem "Vollbeitrag" zusammengelegt. Diese Lösung berücksichtigt die Interessen der Versicherten nicht ausreichend, insbesondere seitdem ab 1. Januar 1984 für die Erhaltung der Anwartschaft auf eine Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsrente nach einer Übergangsvorschrift in Art 2 § 7b Abs 1 Satz 1 AnVNG ua die laufende Entrichtung von (freiwilligen) Beiträgen gefordert wird.
Andererseits kann die vom Kläger begehrte Herabsetzung der für ihn entrichteten Pflichtbeiträge auf die jeweiligen Mindestbeiträge ohne eine entsprechende gesetzliche Regelung nicht zugelassen werden. Eine so weitgehende Berücksichtigung individueller Wünsche und Interessen der Versicherten wird durch den Zweck der Umwandlungsregelung weder gefordert noch gedeckt. Auch könnte dadurch der Versichertengemeinschaft empfindlicher Schaden entstehen. So könnten Versicherte die ihnen eingeräumte Befugnis, die Höhe der ihnen teils zu erstattenden, teils umzuwandelnden Beitragsanteile frei zu bestimmen, zum Nachteil der Versichertengemeinschaft nutzen; so könnten sie je nachdem, wie sich bei ihnen seit der Entrichtung der unwirksamen Pflichtbeiträge das Versicherungsrisiko entwickelt hat, einen möglichst hohen oder einen möglichst geringen Teil ihrer Beitragsanteile zurückfordern und dementsprechend die Höhe des umzuwandelnden Restes der Beitragsanteile in freiwillige Beiträge bestimmen, solange die jeweiligen Mindestbeiträge nicht unterschritten werden.
Das Begehren des Klägers auf Gewährung einer solchen Dispositionsfreiheit läßt sich auch nicht damit begründen, daß nach geltendem Recht ein freiwillig Versicherter die Höhe seiner Rentenversicherungsbeiträge innerhalb der Grenzen, die durch die Mindest- und Höchstbeiträge gezogen sind, frei bestimmen kann. Denn diese Befugnis steht ihm nur für die laufende Beitragsentrichtung zu, die im übrigen seit 1980, wie dargelegt, gegenüber früher dadurch eingeschränkt worden ist, daß freiwillige Beiträge nur noch bis zum Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres, für das sie gelten sollen, nachentrichtet werden dürfen (§ 140 Abs 1 AVG nF). Gerade diese Einschränkung zeigt das Bestreben des Gesetzgebers, die Versichertengemeinschaft bei Entrichtung freiwilliger Beiträge vor nachträglichen Manipulationen der Versicherten zu schützen.
Ob in Fällen, in denen die irrtümliche Entrichtung von Pflichtbeiträgen durch das Verhalten eines Versicherungsträgers mindestens mitverursacht worden ist, dem Versicherten nachträglich gestattet werden muß, die Höhe der umzuwandelnden Beitragsanteile in gleicher Weise frei zu bestimmen, wie er dies hätte tun können, wenn er sich von Anfang an entsprechend den gesetzlichen Vorschriften freiwillig versichert hätte, hat der Senat unentschieden gelassen. Denn im Falle des Klägers gibt es keinen Anhalt dafür, daß ein Versicherungsträger sich im Zusammenhang mit der irrtümlichen Entrichtung von Pflichtbeiträgen für den Kläger fehlerhaft verhalten hat. Die Ausführungen des SG zum Herstellungsanspruch haben deshalb für den vorliegenden Fall keine Bedeutung.
Für Fälle wie den des Klägers ist somit nach geltendem Recht daran festzuhalten, daß eine Umwandlung von irrtümlich entrichteten Pflichtbeiträgen jedenfalls nicht in der Weise zulässig ist, daß sich der Versicherte die die jeweiligen Mindestbeiträge übersteigenden Beitragsanteile erstatten läßt. Allenfalls ist zu erwägen, die vom Versicherten getragenen Arbeitnehmeranteile (ohne Aufstockung um die Arbeitgeberanteile) als "volle" Beiträge zu bewerten und in freiwillige Beiträge umzuwandeln. Darüber ist hier jedoch nicht zu entscheiden.
Der Anspruch des Klägers auf Erstattung der Pflichtbeiträge bis auf die jeweiligen Mindestbeiträge ist nach allem unbegründet. Auf die Revision der Beklagten war deshalb das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 60332 |
RegNr, 18434 (BSG-Intern) |
KVRS, A-3500/8 (LT1) |
BR/Meuer SGB 4 § 26, 08-12-88, 12 RK 61/87 (LT1) |
USK, 88148 (LT1) |
EzS, 60/72 (LT1) |
SozR 2200 § 1422, Nr 4 (LT1) |