Verfahrensgang

LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 18.12.2017; Aktenzeichen L 5 SB 38/12)

SG Hannover (Entscheidung vom 22.02.2012; Aktenzeichen S 15 SB 238/08)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 18. Dezember 2017 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Gründe

I

In der Hauptsache begehrt der Kläger noch einen Grad der Behinderung (GdB) von 80 anstelle eines zuerkannten GdB von 50 sowie die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" ab Juli 2007. Mit Urteil vom 18.12.2017 hat das LSG entsprechende Ansprüche des Klägers verneint, weil unter Berücksichtigung der rechtlichen Grundsätze für die Bewertung von Funktionsbeeinträchtigungen nach den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) und den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VG) kein Anspruch auf Feststellung eines Gesamt-GdB von 80 bestehe. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G", es gebe keinen Anhaltspunkt dafür, dass er seit Juli 2007 in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt sei. Dass der Kläger infolge einer Einschränkung des Gehvermögens nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahr für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermöge, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden könnten, sei nicht bewiesen. Der Antrag des Klägers auf Anhörung eines bestimmten Arztes gemäß § 109 SGG werde abgelehnt, weil dieser grob fahrlässig zu spät eingebracht worden sei.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger beim BSG Beschwerde eingelegt und diese mit dem Vorliegen von Verfahrensfehlern (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) sowie mit einer Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) begründet. Das LSG habe seine Hinweispflicht aus § 106 SGG und damit den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs in entscheidungserheblicher Weise dadurch verletzt. Dieser sei in der gerichtlichen Verfügung vom 30.8.2017 nicht darauf hingewiesen worden, dass er im Falle der Benennung mehrerer Gutachter nach § 109 SGG innerhalb der gesetzten Frist eine Reihenfolge festlegen müsse, in welcher die Gutachten eingeholt werden sollten. Auch habe das LSG sich mit den Einwendungen des Klägers gegen das Gutachten des Neurologen und Psychiaters S. erkennbar nicht auseinandergesetzt. Weiter habe das LSG den wesentlichen Vortrag des Klägers zur Zuerkennung des Pflegegrades 2 aufgrund der bei ihm bestehenden psychischen Erkrankungen unbeachtet gelassen. Hierauf beruhe auch die angefochtene Entscheidung des LSG, da dieses bei Berücksichtigung des klägerischen Vortrags anders entschieden hätte. Darüber hinaus weiche das Urteil des LSG in entscheidungserheblicher Weise von dem Urteil des BSG vom 11.8.2015 (B 9 SB 1/14 R) ab, wonach auch eine psychische Erkrankung zur Zuerkennung des Merkzeichens "G" führen könne.

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen. Keiner der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe ist ordnungsgemäß dargetan worden (§ 160a Abs 2 S 3 SGG).

1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels zunächst die diesen (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 34, 36). Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Den sich daraus ergebenden Anforderungen ist die Beschwerdebegründung nicht gerecht geworden.

a) Einen prozessordnungsgemäß gestellten Beweisantrag behauptet die Beschwerdebegründung nicht. Der geltend gemachte Verstoß gegen die Hinweisverpflichtung nach § 106 SGG durch den Vorsitzenden ist nicht ausreichend dargelegt. Die Tatsachengerichte sind nicht verpflichtet, auf die Stellung von Beweisanträgen hinzuwirken oder im Rahmen von Beweisanträgen sonstige Formulierungshilfen zu geben. Hält das Tatsachengericht eine Beweisaufnahme für notwendig, so hat es keinen entsprechenden Beweisantrag herbeizuführen, sondern den Beweis von Amts wegen auch ohne Antrag zu erheben. Lehnt es die Beweiserhebung dagegen ab, so muss es nicht kompensatorisch auf einen Beweisantrag hinwirken und damit helfen, eine Nichtzulassungsbeschwerde vorzubereiten (vgl BSG Beschluss vom 5.5.2010 - B 5 R 26/10 B - Juris RdNr 10 mwN). Insoweit hätte sich die Beschwerdebegründung damit beschäftigen müssen, wieso das Hinwirken auf eine Vervollständigung des Beweisantrags nach § 109 SGG überhaupt Gegenstand einer Hinweispflicht nach § 106 SGG gewesen sein könnte. Sinngemäß rügt der Kläger eine Verletzung der Hinweispflichten nach § 112 Abs 2 S 2 SGG und damit die von ihm direkt behauptete Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG; Art 103 Abs 1 GG). Insoweit reichen jedoch die Darlegungen des Klägers in seiner Beschwerdebegründung ebenfalls nicht aus. Denn tatsächlich rügt der Kläger damit eine falsche Anwendung von § 109 SGG durch das LSG, womit der Kläger nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG von vornherein keine Revisionszulassung erreichen kann. Dieser Ausschluss gilt uneingeschränkt für jede fehlerhafte Anwendung des § 109 SGG (BSG SozR 1500 § 160 Nr 34 S 31) und kann nicht umgangen werden mit der Rüge der Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs oder wegen Verstoßes gegen andere Verfahrensvorschriften (vgl BSG Beschluss vom 12.7.2012 - B 13 R 463/11 B - Juris RdNr 12; BSG Beschluss vom 8.5.2012 - B 5 R 48/12 B - Juris RdNr 8).

b) Schließlich hat es die Beschwerde insgesamt versäumt, den behaupteten Gehörsverstoß hinreichend substantiiert darzulegen. Der Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör verpflichtet das Prozessgericht grundsätzlich nicht, die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gesichtspunkte vorher mit den Beteiligten zu erörtern (vgl BSG SozR 3-1500 § 112 Nr 2 S 3 mwN). Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen rechtlichen Gesichtspunkt stützt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte (vgl BVerfGE 86, 133, 144 f). Dies ist nach der Beschwerdebegründung nicht anzunehmen.

Ein Beteiligter kann mit seiner Beschwerde zudem nur durchdringen, wenn er vor dem LSG alle prozessualen Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen. Weshalb der Kläger hieran gehindert gewesen sein sollte, legt er nicht dar. Hierzu hätte der Kläger vorbringen müssen, dass er unter keinen Umständen mit der vom LSG getroffenen Sachentscheidung habe rechnen können. Es besteht nämlich insbesondere gegenüber rechtskundig vertretenen Beteiligten weder eine allgemeine Aufklärungspflicht des Gerichts über die Rechtslage noch die Pflicht, bei der Erörterung der Sach- und Rechtslage bereits die endgültige Beweiswürdigung darzulegen, denn das Gericht kann und darf das Ergebnis der Entscheidung, die in seiner nachfolgenden Beratung erst gefunden werden soll, nicht vorwegnehmen. Es gibt keinen allgemeinen Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichten würde, die Beteiligten vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit den Beteiligten zu erörtern (vgl zB BSG Beschlüsse vom 31.8.1993 - 2 BU 61/93 - HVBG-Info 1994, 209; vom 13.10.1993 - 2 BU 79/93 - SozR 3-1500 § 153 Nr 1; BVerfGE 66, 116, 147; 74, 1, 5; 86, 133, 145). Art 103 Abs 1 GG gebietet vielmehr lediglich dann einen Hinweis, wenn das Gericht auf einen Gesichtspunkt abstellen will, mit dem ein gewissenhafter und kundiger Prozessbevollmächtigter nicht zu rechnen brauchte (vgl BVerfGE 84, 188, 190). Der Kläger legt nicht substantiiert dar, dass er nach dem bisherigen Verlauf unter keinen Umständen mit der vom LSG getroffenen Entscheidung habe rechnen können. Schließlich hat der Kläger auch nicht dargelegt, inwiefern er in der mündlichen Verhandlung des LSG alle prozessualen Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 22 S 35), etwa durch prozessordnungsgemäße Beweisanträge zu Protokoll der mündlichen Verhandlung.

Schließlich fehlen auch Ausführungen dazu, weshalb die Entscheidung des LSG auf der vermeintlichen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör beruhen können sollte und welcher konkrete Vortrag des Klägers insoweit unberücksichtigt geblieben ist. Hierzu wäre es insbesondere erforderlich gewesen, darzulegen, weshalb eine Berücksichtigung weiterer funktioneller Einschränkungen die Einzel-GdB-Werte nach der Rechtsauffassung des LSG hätte höher ausfallen lassen mit der Folge, dass der Gesamt-GdB nach der Rechtsauffassung des LSG mit über 50 einzuschätzen gewesen wäre. Insoweit hätte sich die Beschwerdebegründung ua mit den in den VG enthaltenen Bewertungen beschäftigen und hiervon ausgehend die Entscheidungsrelevanz unberücksichtigt gebliebenen Vorbringens aufzeigen und ggf die Feststellungen des LSG mit durchgreifenden Verfahrensrügen infrage stellen müssen. Daran fehlt es auch. Tatsächlich kritisiert der Kläger lediglich die Beweiswürdigung des LSG (vgl § 128 Abs 1 S 1 SGG), womit er gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG eine Revisionszulassung nicht erreichen kann. Entsprechendes gilt, soweit der Kläger eine unzutreffende Rechtsanwendung des LSG rügen wollte (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10).

2. Ebenso wenig hat der Kläger die Voraussetzungen einer Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG dargelegt. Eine solche Divergenz kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Wer eine Rechtsprechungsdivergenz entsprechend den gesetzlichen Anforderungen darlegen will, muss daher entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze in der Entscheidung des Berufungsgerichts einerseits und in der herangezogenen höchstrichterlichen Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG andererseits gegenüberstellen und dazu ausführen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen (vgl zB BSG Beschluss vom 16.2.2017 - B 9 V 48/16 B - RdNr 23 mwN). Daran fehlt es. Denn die Beschwerde nimmt bereits die danach erforderliche Gegenüberstellung unvereinbarer entscheidungserheblicher Rechtssätze nicht vor.

3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

4. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI12112329

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