Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Verfahrensmangel. Gewährung rechtlichen Gehörs. Befangenheitsantrag. Rechtsmissbräuchlichkeit
Orientierungssatz
1. In Fällen eines rechtsmissbräuchlichen Ablehnungsgesuchs kann das LSG in der Besetzung mit den abgelehnten Richtern entscheiden (vgl BSG vom 21.7.2010 - B 7 AL 60/10 B).
2. Insbesondere die Ablehnung des gesamten Senats ist dann missbräuchlich, wenn das Ablehnungsgesuch nicht ausreichend individualisiert ist (vgl BSG vom 26.4.1989 - 11 BAr 33/88 und vom 26.11.1965 - 12 RJ 94/65 = SozR Nr 5 zu § 42 ZPO sowie BVerfG vom 26.2.1986 - 1 BvL 12/85 = BVerfGE 72, 51). Die Beschwerdebegründung muss daher aufzeigen, weshalb und mit welcher Begründung gegen jedes einzelne Mitglied des Senats die Besorgnis der Befangenheit zu befürchten sei.
3. Eine Besorgnis der Befangenheit ist nur dann gegeben, wenn ein objektiv vernünftiger Grund vorliegt, der den Beteiligten von seinem Standpunkt aus vernünftigerweise befürchten lassen kann, der Richter werde nicht unparteiisch entscheiden (vgl BSG vom 29.3.2007 - B 9a SB 18/06 B = SozR 4 1500 § 60 Nr 4). Es müssen mit dem Ablehnungsgesuch Gründe dargetan werden, die dafür sprechen, dass die mögliche Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegen den ablehnenden Beteiligten oder auf Willkür beruht (vgl BSG vom 29.3.2007 - B 9a SB 18/06 B aaO).
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3, § 160a Abs. 2 S. 3, § 62; GG Art. 103 Abs. 1, Art. 101 Abs. 1 S. 2; ZPO § 42
Verfahrensgang
LSG Hamburg (Beschluss vom 24.05.2011; Aktenzeichen L 3 R 13/10) |
SG Hamburg (Urteil vom 10.12.2009; Aktenzeichen S 11 RJ 1096/04) |
Tenor
Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Hamburg vom 24. Mai 2011 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt O. M., , zu bewilligen, wird abgelehnt.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im vorbezeichneten Beschluss wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I. Mit Beschluss vom 24.5.2011, den Prozessbevollmächtigten zugestellt am 30.5.2011, hat das LSG die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Hamburg vom 10.12.2009 als unbegründet zurückgewiesen und entschieden, dass die Beklagte berechtigt ist, auf die Rente des Klägers Einkommen für den Zeitraum Juli bis Oktober 2002 anzurechnen und die Erstattung überzahlter Leistungen in Höhe von 2262,36 Euro zu fordern.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Beschluss hat der Kläger beim BSG Beschwerde eingelegt und zu deren Durchführung Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung von Rechtsanwalt O. M., T., beantragt. Er beruft sich auf Verfahrensmängel.
Mit Schreiben vom 3.11.2011 hat der Berichterstatter darauf hingewiesen, dass dem Kläger für die Begründung des Rechtsmittels gemäß § 66 Abs 2 SGG die Jahresfrist zustehe, da die dem Beschluss des LSG beigefügte Rechtsmittelbelehrung (keine Angabe, dass zu den bei dem BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten auch Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, gehören, § 73 Abs 2 S 1 SGG in der am 28.12.2010 in Kraft getretenen, vom LSG aber noch nicht berücksichtigten Fassung).
Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 16.11.2011 mitgeteilt, auf die Ausschöpfung der Jahresfrist nicht verzichten zu wollen, da noch weitere Ausführungen beabsichtigt seien.
II. Der PKH-Antrag des Klägers ist abzulehnen. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 114 ZPO). Denn die Nichtzulassungsbeschwerde erfüllt bereits nicht die insoweit geltenden formellen Voraussetzungen. Da dem Kläger PKH nicht zu gewähren ist, hat er auch keinen Anspruch auf Beiordnung eines Rechtsanwalts (§ 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).
Die Beschwerde ist unzulässig. Die Beschwerdebegründung des Klägers vom 31.8.2011 genügt den gesetzlichen Anforderungen nicht, weil der allein geltend gemachte Zulassungsgrund des Verfahrensmangels gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG nicht ordnungsgemäß bezeichnet worden ist (§ 160a Abs 2 S 3 SGG). Weiterer Vortrag ist trotz Ankündigung bis zum Ablauf der hier maßgeblichen Jahresfrist (30.5.2012) nicht erfolgt.
Wer die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensmangels begehrt, muss in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde die bundesrechtliche Verfahrensnorm, die das Berufungsgericht verletzt haben soll, hinreichend genau bezeichnen. Zudem müssen die tatsächlichen Umstände, welche den Verstoß begründen sollen, substantiiert dargetan und darüber hinaus muss dargestellt werden, inwiefern die angefochtene Entscheidung auf diesem Verfahrensmangel beruhen kann (vgl Senatsbeschluss vom 12.12.2003 - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 4; BSG vom 19.11.2007 - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 4). Dabei ist zu beachten, dass gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109, 128 Abs 1 S 1 SGG gestützt werden kann und dass die Rüge einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht nach § 103 SGG nur statthaft ist, wenn sie sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Die Beschwerdebegründung des Klägers wird diesen Anforderungen nicht gerecht.
Er rügt, die abgelehnten Richter des LSG hätten nicht selbst über den gegen sie gestellten Befangenheitsantrag entscheiden dürfen. Vielmehr hätte vor einer Sachentscheidung erst ein anderer Senat des LSG über diesen Antrag befinden müssen. Da dies nicht geschehen sei, sei ihm der gesetzliche Richter entzogen worden. Dadurch sei zugleich sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden, weil seine Ausführungen nicht hinreichend gewürdigt worden seien.
Mit seinem Vorbringen hat der Kläger jedoch weder einen Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen Richters gemäß Art 101 Abs 1 S 2 GG noch eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG) hinreichend bezeichnet. Denn er hätte substantiiert ausführen müssen, weshalb das LSG nicht in der Besetzung mit den abgelehnten Richtern hätte entscheiden dürfen. Dies ist nämlich nach der Rechtsprechung in Fällen eines rechtsmissbräuchlichen Ablehnungsgesuchs möglich (vgl nur BSG vom 21.7.2010 - B 7 AL 60/10 B - Juris RdNr 12; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 60 RdNr 10c und 10d mwN).
Hierfür genügt nicht der Vortrag, das LSG habe lediglich behauptet, sein (des Klägers) Befangenheitsgesuch sei rechtsmissbräuchlich. Vielmehr hätte der Kläger erläutern müssen, weshalb im Einzelnen unter Berücksichtigung der Rechtsprechung die Annahme des LSG, sein (des Klägers) Ablehnungsgesuch sei missbräuchlich, fehlerhaft gewesen sein soll. Insbesondere die Ablehnung des gesamten Senats ist dann missbräuchlich, wenn das Ablehnungsgesuch nicht ausreichend individualisiert ist (vgl BSG vom 26.4.1989 - 11 BAr 33/88 - Juris RdNr 7; BSG vom 26.11.1965 - SozR Nr 5 zu § 42 ZPO; s auch BVerfG ≪Senat≫ vom 26.2.1986 - BVerfGE 72, 51, 59). Schon deshalb hätte der Kläger in seiner Beschwerdebegründung aufzeigen müssen, weshalb und mit welcher Begründung gegen jedes einzelne Mitglied des Senats die Besorgnis der Befangenheit zu befürchten sei. Eine Besorgnis der Befangenheit ist nur dann gegeben, wenn ein objektiv vernünftiger Grund vorliegt, der den Beteiligten von seinem Standpunkt aus vernünftigerweise befürchten lassen kann, der Richter werde nicht unparteiisch entscheiden (BSG vom 29.3.2007 - SozR 4-1500 § 60 Nr 4 RdNr 13). Es müssen mit dem Ablehnungsgesuch Gründe dargetan werden, die dafür sprechen, dass die mögliche Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegen den ablehnenden Beteiligten oder auf Willkür beruht (BSG vom 29.3.2007, aaO). Hieran fehlt es. Nicht ausreichend ist, dass der LSG-Senat oder einzelne seiner Mitglieder bereits an früheren anderen Verfahren des Klägers mitgewirkt haben (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 60 RdNr 8r) und der Kläger mit der (ursprünglich beabsichtigten) Verfahrensweise des Senats zur Vorbereitung einer Entscheidung (Entscheidung durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin gemäß § 155 Abs 3 iVm Abs 4 SGG) nicht einverstanden war. Ebenso wenig genügt der schlichte Hinweis des Klägers, dass die Sache aus seiner Sicht noch nicht entscheidungsreif gewesen sei. Schließlich zeigt er nicht auf, ob und inwieweit sein Ablehnungsgesuch einen nachvollziehbaren Bezug zum konkreten Rechtsstreit hat. Anhaltspunkte für eine Willkür sind vom Kläger ebenfalls nicht ansatzweise dargetan worden.
Sofern er meint, dass die angefochtene Entscheidung materiell-rechtlich nicht von § 48 SGB X gedeckt sei, wendet er sich gegen deren - vermeintliche - inhaltliche Unrichtigkeit. Diese kann jedoch mit der Nichtzulassungsbeschwerde nicht angegriffen werden (stRspr, zB BSG vom 20.6.1975 - SozR 1500 § 160a Nr 7).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen