Verfahrensgang

Hessisches LSG (Beschluss vom 27.01.2022; Aktenzeichen L 1 VE 32/19)

SG Darmstadt (Urteil vom 13.09.2019; Aktenzeichen S 26 VE 9/13)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 27. Januar 2022 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Kläger macht in der Hauptsache einen Anspruch auf Opferentschädigung wegen der Folgen eines am 4.9.2009 erlittenen Faustschlags in das Gesicht nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) geltend. Diesen Anspruch hat das LSG wie zuvor das SG (Urteil vom 13.9.2019) nach vorheriger Anhörung der Beteiligten vom 3.12.2020 und 28.4.2021 mit Beschluss vom 27.1.2022 verneint. Die Schädigungsfolgen der streitigen Tat vom 4.9.2009 begründeten bei dem Kläger keinen Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von mindestens 25. Hinsichtlich der rechtlichen Grundlagen werde auf die Entscheidungsgründe im angegriffenen SG-Urteil Bezug genommen. Ein GdS von mindestens 25 für die vom Beklagten mit Bescheid vom 20.12.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.3.2013 festgestellten Schädigungsfolgen (reizlose Narbe oberhalb der rechten Augenbraue und seelische Störung) bestehe nicht. Außer des auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG eingeholten Gutachtens von Dr. C vom 3.6.2016 habe kein Sachverständiger einen GdS von mehr als 20 festgestellt. Dr. C verkenne jedoch, dass Nachstellungen und Bedrohungen gegenüber dem Kläger in der Folgezeit der Tat keine vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffe iS von § 1 OEG darstellten. Für den GdS, der nur die schadensabhängigen Beeinträchtigungen berücksichtige, seien die von Dr. C beschriebenen wesentlichen Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit nur zu einem maßgeblich geringeren Umfang zu berücksichtigen. Sie begründeten höchstens einen GdS von 20 (leichtere psychovegetative oder psychische Störungen) wie sich aus den Gutachten von Dr. R, Dr. M, Dr. S sowie den Stellungnahmen von Dr. B ergebe und auch vom SG zutreffend festgestellt worden sei. Auf die Entscheidungsgründe im SG-Urteil werde auch insoweit Bezug genommen. Entgegen der Auffassung des Klägers sei nicht davon auszugehen, dass dessen Schlafstörung erst nach dem Überfall aufgetreten sei. Bei dieser Sach- und Rechtslage seien weitere Ermittlungen - insbesondere die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens - nicht veranlasst. Inwieweit das Gutachten der Fachärztin O und deren Stellungnahmen verwertbar seien und ob eine Besorgnis der Befangenheit begründet sei, könne offenbleiben, da deren Gutachten und Stellungnahmen für die Entscheidung nicht herangezogen worden seien.

Gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des LSG hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt, die er mit dem Vorliegen von Verfahrensmängeln begründet. Die Entscheidung des LSG sei nicht mit ausreichenden Entscheidungsgründen versehen, weil es das eingeholte neurologisch-psychiatrische Gutachten von Dr. S vom 5.9.2020 nicht gewürdigt habe, worin zugleich eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liege. Zudem liege ein Verstoß gegen die Anhörungspflicht nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG vor, weil das LSG trotz seiner Stellungnahme mit Schriftsatz vom 15.11.2021 keine erneute Anhörung vorgenommen habe, sodass das Berufungsgericht nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen sei. Schließlich liege eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht nach § 103 SGG darin, dass das LSG seinem mit Schriftsatz vom 15.11.2021 gestellten Beweisantrag nicht nachgekommen sei.

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil die behaupteten Verfahrensmängel nicht ordnungsgemäß bezeichnet worden sind (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).

1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde - wie vorliegend - darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, so müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Diese Voraussetzungen sind insgesamt nicht erfüllt.

a) Soweit der Kläger einen Verstoß des LSG gegen § 136 Abs 1 Nr 6 SGG iVm § 153 Abs 2 SGG und damit auch eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, 62 SGG) rügt, hat er dies nicht hinreichend substantiiert dargetan.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG zu § 136 Abs 1 Nr 6 SGG müssen die Entscheidungsgründe im Regelfall zu allen entscheidungserheblichen Streitpunkten die Erwägungen, die zum Urteilsausspruch des Gerichts geführt haben, enthalten (zB BSG Beschluss vom 21.8.2017 - B 10 EG 1/17 B - juris RdNr 10 mwN). Zum Mindestinhalt eines Urteils, der durch eine Bezugnahme auf vorinstanzliche Entscheidungen, Akten und anderen Unterlagen nicht ersetzt werden kann, gehört danach grundsätzlich die Angabe der angewandten Rechtsnormen und der für erfüllt oder nicht gegeben erachteten Tatbestandsmerkmale sowie der ausschlaggebenden tatsächlichen und rechtlichen Gründe (BSG Beschluss vom 11.5.2021 - B 9 SB 65/20 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 15.3.2018 - B 9 V 91/16 B - SozR 4-1500 § 136 Nr 3 RdNr 11). In diesem Zusammenhang kann das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei von der in § 153 Abs 2 SGG vorgesehenen Verweisungsmöglichkeit Gebrauch machen, um sich "überflüssige Formulierungs- und Schreibarbeit" zu ersparen, wenn und soweit das LSG die Berufung aus den Gründen des angefochtenen SG-Urteils zurückweist, die die Beteiligten bereits kennen (BSG Beschluss vom 11.5.2021 - B 9 SB 65/20 B - juris RdNr 7; BSG Urteil vom 28.4.1999 - B 9 VG 7/98 R - juris RdNr 16).

Es steht im freien Ermessen des LSG, ob es gemäß § 153 Abs 2 SGG verfährt. Das Berufungsgericht kann auf diese Vorschrift stets dann zurückgreifen, wenn das Urteil des SG ausreichende Entscheidungsgründe iS des § 136 Abs 1 Nr 6 SGG enthält und es lediglich aus diesen Gründen die Berufung zurückweisen will. Dann vermeidet es, dem Normzweck der Vorschrift entsprechend, die Argumente der Vorinstanz schlicht zu wiederholen (BSG Beschluss vom 11.5.2021 - B 9 SB 65/20 B - juris RdNr 8 mwN).

Nur wenn ein Beteiligter im Berufungsverfahren neue rechtserhebliche Tatsachen oder substantiierte Einwendungen gegen die erstinstanzlichen Entscheidungsgründe vorgebracht oder entsprechende Beweisanträge gestellt hat oder im Berufungsverfahren eine Beweisaufnahme durchgeführt worden ist, muss sich das LSG in jedem Fall damit auseinandersetzen, da insoweit die Bezugnahme nach § 153 Abs 2 SGG auf das erstinstanzliche Urteil die Würdigung vom Berufungsgericht selbst erhobener Beweise nicht ersetzen kann. In solchen Fällen genügt eine bloße Bezugnahme nach § 153 Abs 2 SGG nicht. Sie würde neues rechtserhebliches Vorbringen übergehen und damit das rechtliche Gehör des betreffenden Beteiligten verletzen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 11.5.2021 - B 9 SB 65/20 B - juris RdNr 9; BSG Beschluss vom 15.3.2018 - B 9 V 91/16 B - SozR 4-1500 § 136 Nr 3 RdNr 11, jeweils mwN).

Der Kläger behauptet, das LSG habe die von ihm durchgeführte Beweisaufnahme durch Einholung des neurologisch-psychiatrischen Gutachtens von Dr. S vom 5.9.2020 vor dem Hintergrund seines ausführlichen Schriftsatzes vom 21.12.2020 in den Entscheidungsgründen nicht gewürdigt. Lediglich die Erwähnung auf S 15 der Entscheidungsgründe ersetze nicht die erforderliche Darstellung der Beweiswürdigung. Mit diesem Vorbringen trägt er jedoch nicht substantiiert vor, welche rechtserheblichen neuen Tatsachen oder stichhaltigen Einwendungen er mit der Berufung vorgebracht hat, auf die das LSG zwingend hätte eingehen müssen. Zudem führt der Kläger in seiner Beschwerdebegründung selbst aus, dass das LSG auf S 15 der Entscheidungsgründe höchstens einen GdS von 20 für die bei ihm bestehende leichtere psychovegetative oder psychische Störung festgestellt und sich dabei neben den Gutachten von Dr. R, Dr. M und den Stellungnahmen von Dr. B ausdrücklich auch auf das Gutachten von Dr. S gestützt habe. Damit räumt er aber ein, dass sich das LSG über die Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des SG hinaus jedenfalls kurz im Rahmen einer eigenen Beweiswürdigung auch mit den gutachtlichen Feststellungen des Dr. S auseinandergesetzt, diese abgehandelt und im Rahmen der hier entscheidungserheblichen Fragestellungen tatsächlich und rechtlich gewürdigt hat. Soweit er mit der vom SG vorgenommenen Auswertung der medizinischen Befunde, die sich das LSG zu eigen gemacht hat, und dem Ergebnis der im Berufungsverfahren ergänzend durchgeführten Beweisaufnahme nicht einverstanden ist, wendet er sich gegen die Beweiswürdigung der Vorinstanz nach Maßgabe des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG, die § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG indes der Beurteilung durch das BSG als Beschwerdegericht entzieht.

b) Der Kläger hat auch den von ihm geltend gemachten Verstoß des LSG gegen § 153 Abs 4 Satz 2 SGG nicht hinreichend bezeichnet.

Gemäß § 153 Abs 4 Satz 1 SGG kann das LSG die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Nach Satz 2 der Vorschrift sind die Beteiligten vorher zu hören. Die Anhörungspflicht nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG ist Ausdruck des verfassungsrechtlichen Gebots des rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG), das bei Anwendung des vereinfachten Verfahrens im Berufungsrechtszug nicht verkürzt werden darf (BSG Beschluss vom 21.10.2021 - B 5 R 62/21 B - juris RdNr 5 mwN). Ein Anhörungsmangel ist ein absoluter Revisionsgrund (§ 202 Satz 1 SGG iVm § 547 Nr 1 ZPO), bei dem das Beruhen der Entscheidung auf dem Verfahrensfehler vermutet wird. Der in einer unterbliebenen Anhörung liegende Verfahrensfehler führt nicht nur zu einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, sondern auch zu einer unvorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts (nur mit Berufsrichtern) und damit zu einer Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art 101 Abs 1 Satz 2 GG; vgl BSG Beschluss vom 27.1.2021 - B 14 AS 346/19 B - juris RdNr 6 mwN).

Nach ständiger Rechtsprechung des BSG (zB BSG Beschluss vom 30.1.2020 - B 9 V 40/19 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 14.6.2018 - B 9 SB 92/17 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 10.10.2017 - B 12 KR 37/17 B - juris RdNr 9; BSG Beschluss vom 20.10.2010 - B 13 R 63/10 B - SozR 4-1500 § 153 Nr 11 RdNr 13) ist eine erneute Anhörung gemäß § 153 Abs 4 Satz 2 SGG erforderlich, wenn sich nach der ersten Anhörungsmitteilung die Prozesssituation entscheidungserheblich ändert. Eine neue Anhörung ist auch dann notwendig, wenn ein Beteiligter nach der Anhörungsmitteilung substantiiert neue Tatsachen vorträgt, die eine weitere Sachaufklärung von Amts wegen erfordern (BSG Beschluss vom 30.1.2020 - B 9 V 40/19 B - juris RdNr 9 mwN). Eine solche neue Prozesssituation, die eine weitere Anhörungsmitteilung des Berufungsgerichts erfordert hätte, hat der Kläger in der Beschwerdebegründung nicht hinreichend dargetan.

Er behauptet zwar, dass sich nach der zweiten Anhörung des Berufungsgerichts vom 28.4.2021 die Prozesssituation entscheidungserheblich geändert habe, weil er sich in seinem Schriftsatz vom 15.11.2021 ausführlich mit der Sach- und Rechtslage auseinandergesetzt und weitere Anträge gestellt habe. Er habe sich erstmals zum Ergebnis des SRSI-Tests geäußert und gerügt, dass die Aussagen und Diagnosen des Hausarztes Dr. K, wonach die Symptome erst seit dem Angriff entstanden seien, keine Erwähnung gefunden hätten. Ferner habe er klargestellt, dass sich aus dem Arztbrief von Dr. W vom 14.4.2010 nicht ableiten lasse, er hätte schon vor der Tat vom 4.9.2009 an Schlafstörungen gelitten.

Mit diesen Ausführungen hat der Kläger aber nicht aufgezeigt, aus welchem Grund das LSG mit einer erneuten Anhörung nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG hätte reagieren müssen. Er hat nicht dargelegt, weshalb es sich hier um einen substantiell neuen Vortrag handelt, der zu einer entscheidungserheblichen Änderung der bisherigen Prozesssituation geführt habe. Sofern der Kläger die vom LSG seiner Entscheidung zugrunde gelegten Gutachten von Dr. R, Dr. M, Dr. S und die Stellungnahmen von Dr. B für nicht überzeugend hält, reicht die bloße Behauptung nicht aus. Er hat nicht aufgezeigt, dass diese Gutachten und Stellungnahmen "ungenügend" iS des § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 412 Abs 1 ZPO sind. Dies wäre nur dann der Fall, wenn der Kläger substantiiert in Auseinandersetzung mit diesen Gutachten und Stellungnahmen sowie den anderen aktenkundigen medizinischen Befunden, Berichten und Gutachten vorgetragen hätte, dass diese grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthielten oder von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgingen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des jeweiligen Gutachters geben (BSG Beschluss vom 30.1.2020 - B 9 V 40/19 B - juris RdNr 11; BSG Beschluss vom 25.7.2019 - B 9 SB 31/19 B - juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 21.8.2018 - B 9 V 9/18 B - juris RdNr 11; BSG Beschluss vom 1.4.2014 - B 9 V 54/13 B - juris RdNr 11, jeweils mwN). Ein entsprechender substantiierter Vortrag fehlt jedoch. Ebenso wenig hat die Kläger schließlich dargetan, dass das LSG gemäß § 153 Abs 4 Satz 1 SGG ermessensfehlerhaft - etwa aus sachfremden Erwägungen oder aufgrund einer groben Fehleinschätzung der verfahrensrechtlichen Situation - von einer mündlichen Verhandlung abgesehen hätte (vgl BSG Beschluss vom 21.10.2021 - B 5 R 51/21 B - juris RdNr 4).

Im Kern wendet sich der Kläger mit seinem Vorbringen letztlich wiederum gegen die vom LSG in dem angefochtenen Beschluss vorgenommene Auswertung und Würdigung der aktenkundigen medizinischen Befundberichte, Stellungnahmen und Sachverständigengutachten. In einem Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren kann jedoch - wie oben bereits erwähnt - gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG die Richtigkeit der Beweiswürdigung der Vorinstanz (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) nicht überprüft werden. Die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Gutachtenergebnissen, Stellungnahmen und Befundberichten gehört zur Beweiswürdigung selbst und damit zu den Kernaufgaben der Tatsacheninstanz (vgl BSG Beschluss vom 30.1.2020 - B 9 V 40/19 B - juris RdNr 13; BSG Beschluss vom 6.8.2019 - B 9 V 14/19 B - juris RdNr 13; BSG Beschluss vom 17.1.2019 - B 9 SB 4/18 BH - juris RdNr 8). Hält ein Gericht eines von mehreren Gutachten für überzeugend, darf es sich diesem grundsätzlich auch anschließen, ohne ein weiteres Gutachten einholen zu müssen (BSG Beschluss vom 6.8.2019, aaO).

c) Soweit vom Kläger ein Verstoß des LSG gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) gerügt wird, erfüllt sein Vorbringen ebenfalls nicht die notwendigen Darlegungsanforderungen. Hierzu muss die Beschwerdebegründung jeweils folgende Punkte enthalten: (1.) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, bis zuletzt aufrechterhaltenen Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2.) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3.) Darlegung der von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu einer weiteren Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4.) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (5.) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (stRspr; zB BSG Beschluss vom 21.8.2018 - B 9 V 9/18 B - juris RdNr 5 mwN).

Der im Berufungsverfahren anwaltlich vertretene Kläger rügt eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht, weil das LSG seinem Beweisantrag im Schriftsatz vom 15.11.2021 nicht gefolgt sei. Darin sei ausdrücklich ein neues Gutachten von Amts wegen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet, hilfsweise auf psychiatrischem Fachgebiet, zu der Tatsache beantragt worden, dass die von Dr. C in seinem Gutachten sowie von den behandelnden Ärzten in ihren Befundberichten benannten seelischen Störungen, die Somatisierungsstörungen inklusive chronischen Spannungskopfschmerzen und Rückenbeschwerden sowie die nicht organische Hypersomnie zutreffend seien, diesbezüglich von einer Schädigungsbedingtheit und fortbestehender Behandlungsbedürftigkeit auszugehen und auch die von Dr. C benannte Höhe des GdS zutreffend sei. Wäre eine weitere Sachverhaltsaufklärung betrieben worden, wäre voraussichtlich festgestellt worden, dass die vorliegend maßgeblichen Schädigungsfolgen einen GdS von mindestens 25 bedingten. Mithin habe nur die Höhe des GdS noch im Streit gestanden, sodass ein Gutachten, das überzeugend das Bestehen eines höheren GdS aufgezeigt hätte, zum Erfolg des Rechtsmittels geführt hätte.

Mit diesem Vortrag hat der Kläger einen Verstoß des Berufungsgerichts gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht nicht in der gebotenen Weise dargelegt.

Der Kläger hat nicht substantiiert vorgetragen, dass er mit seinem auf die zweite Anhörungsmittelung des LSG vom 28.4.2021 erfolgten Schriftsatz vom 15.11.2021 einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag gestellt habe. Entsprechender Vortrag wäre jedoch geboten gewesen, weil Beweisanträge von bloßen Beweisanregungen abzugrenzen sind. Eine Beweisanregung hat prozessual und im Hinblick auf die Sachaufklärungsrüge nicht dieselbe Bedeutung wie ein Beweisantrag. Der Beweisantrag hat Warnfunktion. Eine solche Warnfunktion fehlt bei Beweisanregungen, die in der Berufungsschrift oder sonstigen Schriftsätzen enthalten und ihrem Inhalt nach lediglich als Anregungen zu verstehen sind, wenn sie nach Abschluss der von Amts wegen durchgeführten Ermittlungen nicht mehr zu einem bestimmten Beweisthema als Beweisantrag aufgegriffen werden (vgl BSG Beschluss vom 24.2.2021 - B 1 KR 50/20 B - juris RdNr 12; BSG Beschluss vom 21.8.2018 - B 9 V 9/18 B - juris RdNr 10, jeweils mwN).

Der Beschwerdebegründung ist nicht zu entnehmen, dass das Begehren des Klägers auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens über eine solche Anregung hinausging. Denn bei einem Beweisantrag muss neben der Stellung des Antrags auch aufgezeigt werden, über welche im Einzelnen bezeichneten Punkte Beweis erhoben werden sollte. Merkmal eines substantiierten Beweisantrags ist eine bestimmte Tatsachenbehauptung und die Angabe des Beweismittels für diese Tatsache. Dafür ist die behauptete Tatsache möglichst präzise und bestimmt zu behaupten und zumindest hypothetisch zu umreißen, was die Beweisaufnahme ergeben hätte. Nur dies versetzt die Vorinstanz in die Lage, die Entscheidungserheblichkeit des Antrags zu prüfen und ggf seine Ablehnung iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ausreichend zu begründen. Unbestimmte oder unsubstantiierte Beweisanträge brauchen dem Gericht dagegen keine Beweisaufnahme nahezulegen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 6.4.2017 - B 9 V 89/16 B - juris RdNr 7 mwN). Der Kläger bezieht sich jedoch nicht auf bisher noch nicht berücksichtigte Aspekte der Genese seiner Erkrankungen. Der von ihm wiedergegebene Antrag zielt vielmehr ausschließlich darauf ab, mit Hilfe einer weiteren Begutachtung zu einer abweichenden Beurteilung des GdS zu kommen. Der Kläger trägt in der Beschwerdebegründung selbst vor, dass es im Berufungsverfahren nur noch um die Bewertung der Höhe des GdS gegangen sei. Damit stellt sich die vermeintliche Aufklärungsrüge in Wirklichkeit als ein durch § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG ausgeschlossenen Angriff auf die Beweiswürdigung dar (vgl BSG Beschluss vom 1.4.2014 - B 9 V 54/13 B - juris RdNr 10). Denn die Würdigung unterschiedlicher Gutachtenergebnisse oder voneinander abweichender ärztlicher Auffassungen gehört - wie oben bereits ausgeführt - zur Beweiswürdigung selbst. Eine Verpflichtung zur Einholung eines sogenannten Obergutachtens besteht auch bei einander widersprechenden Gutachtensergebnissen im Allgemeinen nicht. Vielmehr hat sich das Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung mit den einander entgegenstehenden Ergebnissen auseinanderzusetzen und darf sich einem Gutachten, das es für überzeugend hält, anschließen, ohne ein weiteres Gutachten einzuholen. Bei einer derartigen Fallgestaltung ist für eine weitere Beweiserhebung regelmäßig kein Raum (vgl BSG Beschluss vom 23.6.2021 - B 1 KR 56/20 B - juris RdNr 6 mwN).

Gründe für eine Ausnahme hat der Kläger nicht dargelegt. Liegen - wie hier - bereits mehrere Gutachten und fachkundige Stellungnahmen vor, ist das Tatsachengericht - wie oben ebenfalls bereits ausgeführt - nur dann zu weiteren Beweiserhebungen verpflichtet, wenn die vorhandenen Gutachten und fachkundige Stellungnahmen grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten oder von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben. Derartige Umstände hat der Kläger aber nicht vorgetragen. Die Kritik an dem Gutachten von Dr. S in den vom Kläger aufgeführten Schriftsätzen reicht insoweit nicht aus. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den übrigen vom LSG herangezogenen Gutachten von Dr. R, Dr. M und den Stellungnahmen von Dr. B fehlt vollständig. Darüber hinaus wäre das LSG als letztinstanzliche Tatsacheninstanz nur dann einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt, wenn es sich hätte gedrängt fühlen müssen, den beantragten Beweis zu erheben. Insoweit hätte es des klägerseitigen Vortrags bedurft, weshalb nach den dem LSG vorliegenden Beweismitteln Fragen zum tatsächlichen und medizinischen Sachverhalt aus der rechtlichen Sicht des LSG erkennbar offengeblieben sind und damit zu einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts zwingende Veranlassung bestanden hat (vgl BSG Beschluss vom 18.2.2021 - B 9 SB 31/20 B - juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 6.4.2017 - B 9 V 89/16 B - juris RdNr 8). Dies hat der Kläger aber versäumt. Die bloße Darstellung, weshalb aus seiner Sicht weitere Ermittlungen erforderlich gewesen wären, reicht nicht aus.

2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

3. Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Kaltenstein

Röhl

Othmer

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15343818

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