Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 21.11.2014; Aktenzeichen L 14 R 417/12)

SG München (Entscheidung vom 05.04.2012; Aktenzeichen S 14 R 923/10)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. November 2014 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

 

Gründe

Mit Urteil vom 21.11.2014 hat das LSG Nordrhein-Westfalen einen Anspruch des Klägers auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 6 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB VI verneint.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er beruft sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG und Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG.

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist.

Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG),

- das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder

- ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).

Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 S 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.

1. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN; Fichte in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl 2014, § 160a RdNr 32 ff).

Der Kläger misst den Fragen grundsätzliche Bedeutung bei,

1. "ob ein angestellter Rechtsanwalt von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI befreit werden kann",

2. "unter welchen Voraussetzungen diese Befreiungsmöglichkeit besteht oder nicht besteht",

3. ob "eine Angestelltentätigkeit nie eine anwaltliche Tätigkeit sein kann",

4. "wie der BGH die Tätigkeit von Rechtsanwälten bei nichtanwaltlichen Arbeitgebern bewertet hat",

5. "ob ein Rechtsanwalt, der bei einem nicht anwaltlichen Arbeitgeber mit der Bearbeitung typisch anwaltlicher Tätigkeiten mit einer eigenen Weisungsunabhängigkeit ausgestattet ist, eine anwaltliche Tätigkeit ausübt",

6. ob "Tätigkeiten eines angestellten Rechtsanwaltes in einer Kanzlei und eines angestellten Rechtsanwaltes in einem Unternehmen im Hinblick auf Art. 3 GG" vergleichbar sind und

7. "worauf der Kläger/Antragsteller vertrauen durfte, als er im Jahr 2010, also bevor die Streitfrage überhaupt höchstrichterlich diskutiert wurde, seinen Antrag auf Befreiung stellte".

Hinsichtlich der Fragen 2, 3, 4, 5 und 7 wird der Kläger bereits dem ersten Erfordernis nicht gerecht. Er hat keine abstrakt-generellen Rechtsfragen zum Inhalt oder Anwendungsbereich einer revisiblen Norm (vgl § 162 SGG) gestellt (vgl Senatsbeschluss vom 6.4.2010 - B 5 R 8/10 B - BeckRS 2010, 68786 RdNr 10; BSG Beschluss vom 5.11.2008 - B 6 KA 24/07 B - BeckRS 2009, 50073 RdNr 7). Die Formulierung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (Becker, SGb 2007, 261, 265; Krasney/Udsching/Groth, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX RdNr 181). Es gehört nicht zu den Aufgaben des BSG, den Vortrag des Klägers darauf zu analysieren, ob sich ihm evtl eine entsprechende Rechtsfrage entnehmen ließe (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 26 S 48). Die Frage 7 ist überdies auf die individuelle Situation des Klägers zugeschnitten, sodass auch nicht ersichtlich ist, warum deren Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich sein könnte.

Hinsichtlich der Frage 1 hat der Kläger die Klärungsbedürftigkeit nicht schlüssig dargetan.

Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht bzw das BVerfG diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17). Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG zu dem Problemkreis substantiiert vorgetragen werden, dass das BSG zu diesem Fragenbereich noch keine Entscheidung gefällt oder durch die schon vorliegenden Urteile die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet hat (Krasney/Udsching/Groth, aaO, Kap IX RdNr 183 mwN).

Hieran fehlt es. Die Beschwerdebegründung weist selbst darauf hin, dass der Senat in drei vergleichbaren Verfahren mit Urteilen vom 3.4.2014 (B 5 RE 13/14 R - BSGE 115, 267 = SozR 4-2600 § 6 Nr 12; - B 5 RE 3/14 R und B 5 RE 9/14 R - beide Juris) entschieden hat, dass ein zugelassener Rechtsanwalt, der zugleich rentenversicherungspflichtig beschäftigt ist, wegen seiner berufsständischen Versorgung für diese Beschäftigung nicht von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit werden kann. Damit ist die vom Kläger aufgeworfene Frage 1 höchstrichterlich geklärt.

Zwar kann trotz Beantwortung einer Rechtsfrage durch das BSG deren grundsätzliche Bedeutung fortbestehen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn eine bisherige Rechtsprechung erheblicher Kritik ausgesetzt worden ist oder wenn unabhängig davon neue erhebliche Gesichtspunkte vorgetragen werden (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 71). Will ein Beschwerdeführer trotz höchstrichterlicher Beantwortung einer Rechtsfrage deren weiterhin bestehende grundsätzliche Bedeutung geltend machen, obliegt es ihm darzulegen, in welchem Umfang, von welcher Seite und mit welcher Begründung der Rechtsprechung widersprochen wird bzw die Beantwortung der Rechtsfrage umstritten ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr 51 S 52). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.

Der Kläger trägt lediglich unter Hinweis auf den Beitrag "Singer, BRAK-Mitt 2014, 282" vor, dass in den Gründen der Entscheidungen vom 3.4.2014 (aaO) "eine Reihe von Rechtsfragen aufgeworfen (werden), die mittlerweile höchst umstritten sind". Welche konkreten Gründe gegen welche Erwägungen des Senats vorgetragen werden, lässt sich diesem Vorbringen nicht entnehmen. Ebenso wenig ist den Anforderungen an eine formgerechte Begründung mit dem Hinweis genügt, "alle sich hier stellenden offenen Fragen …" seien im klägerischen Schriftsatz vom 6.11.2014 angesprochen worden. Die Bezugnahme auf frühere Schriftsätze reicht insoweit nicht aus (vgl hierzu Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 160a RdNr 13a mwN).

Die Klärungsbedürftigkeit der Frage 6 hat der Kläger ebenfalls nicht schlüssig aufgezeigt.

Es fehlt insbesondere jede substantiierte Auseinandersetzung mit den Urteilen vom 3.4.2014 (ua B 5 RE 13/14 R - BSGE 115, 267 = SozR 4-2600 § 6 Nr 12), in denen der Senat nicht nur die Unvereinbarkeit der Berufsbilder des Rechtsanwalts und des Syndikusanwalts dargestellt hat (RdNr 35 ff), sondern auch auf den Unterschied zwischen dem angestellten Rechtsanwalt, der unabhängig und weisungsfrei Mandate seines Arbeitgebers bearbeitet, und dem Syndikusanwalt eingegangen ist, der im Rahmen eines ständigen Dienst- oder ähnlichen Beschäftigungsverhältnisses seine Arbeitszeit und Arbeitskraft seinem Arbeitgeber zur Verfügung stellen muss (RdNr 47).

Die weiteren Ausführungen zur grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Schriftsatz vom 23.3.2018 können schon deswegen nicht berücksichtigt werden, weil sie außerhalb der Beschwerdebegründungsfrist vorgetragen worden sind. Überdies beziehen sie sich im Wesentlichen auf den zum 1.1.2016 in Kraft getretenen § 231 Abs 4b SGB VI, der der angefochtenen Berufungsentscheidung vom 21.11.2014 nicht zugrunde liegt.

2. Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Eine Abweichung liegt folglich nicht schon dann vor, wenn die Entscheidung des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Abweichung. Darüber hinaus verlangt der Zulassungsgrund der Divergenz, dass das angefochtene Urteil auf der Abweichung beruht. Bezogen auf die Darlegungspflicht bedeutet das vorstehend Gesagte, dass die Beschwerdebegründung erkennen lassen muss, welcher abstrakte Rechtssatz in der höchstrichterlichen Entscheidung enthalten ist und welcher im Urteil des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht; ferner muss aufgezeigt werden, dass auch das Revisionsgericht die oberstgerichtliche Rechtsprechung in einem künftigen Revisionsverfahren seiner Entscheidung zugrunde zu legen haben wird (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 mwN). Diesen Darlegungserfordernissen wird die Beschwerdebegründung ebenfalls nicht gerecht.

Der Kläger ist der Ansicht, die Urteile des Senats vom 3.4.2014 (aaO) wichen von der früheren Rechtsprechung des 12. Senats des BSG, insbesondere den Urteilen vom 31.10.2012 (ua B 12 R 3/11 R - BSGE 112, 108 = SozR 4-2600 § 6 Nr 9) ab. In diesen Entscheidungen sei der 12. Senat des BSG davon ausgegangen, dass eine grundsätzliche Befreiungsmöglichkeit bestehe.

Mit diesem Vorbringen ist eine Divergenz nicht schlüssig dargetan.

Eine Divergenz kommt nur in Betracht, wenn der angefochtenen Berufungsentscheidung und der herangezogenen höchstrichterlichen Entscheidung zumindest vergleichbare Sachverhalte zugrunde liegen und sie sich auf Normen mit einem inhaltsgleichen Regelungsgehalt beziehen. Der Kläger trägt indes schon nicht vor, für welche berufliche Tätigkeiten die Kläger in den herangezogenen Verfahren des 12. Senats eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht begehrt haben.

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI11760316

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