Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Urteil vom 19.07.1995)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 19. Juli 1995 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat dem Beklagten dessen außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten. Im übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Dem Kläger, einem seit 1975 in Nürnberg praktizierenden Augenarzt wurde die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung mit der Begründung entzogen, er habe in mehreren Fällen Patientinnen während der augenärztlichen Untersuchung sexuell belästigt und sich dadurch als ungeeignet für die vertragsärztliche Tätigkeit erwiesen. Die Zulassungsentziehung ist von den Vorinstanzen bestätigt worden. Das Landessozialgericht (LSG) hat in dem angefochtenen Urteil vom 19. Juli 1995 ausgeführt, das Fehlverhalten des Klägers offenbare einen schwerwiegenden charakterlichen Mangel und stelle zugleich eine gröbliche Verletzung der vertragsärztlichen Pflichten dar. Beides mache eine Zusammenarbeit mit dem Kläger für die versicherten Patienten und die Krankenkassen unzumutbar. Daraus, daß seit 1990 unter dem Eindruck des Zulassungsentziehungsverfahrens keine weiteren Übergriffe bekanntgeworden seien, könne nach den gesamten Umständen nicht auf eine Wiedererlangung der Eignung bereits zum jetzigen Zeitpunkt geschlossen werden. Den Einwand, die festgestellten Verfehlungen seien lediglich Ausdruck einer kurzfristigen, inzwischen behobenen sexuellen Störung im Klimakterium virile gewesen, hat das LSG nicht gelten lassen. Von einer kurzzeitigen Störung könne schon deshalb keine Rede sein, weil sich die bekanntgewordenen Vorfälle über einen Zeitraum von mehr als fünf Jahren erstreckt hätten. Weder das seinerzeitige Alter des Klägers noch die sexuellen Übergriffe als solche paßten zu den Symptomen eines Klimakterium virile, wie sie in der medizinischen Literatur beschrieben und dem sachkundig besetzten Senat bekannt seien. Angesichts dessen habe es der von Klägerseite beantragten Anhörung eines psychiatrischen Sachverständigen nicht bedurft.

Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision rügt der Kläger einen Verfahrensmangel, den er darin sieht, daß das LSG seinem Beweisantrag auf Einholung eines psychiatrischen Fachgutachtens nicht gefolgt ist.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Die auf eine Verletzung des § 103 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gestützte Verfahrensrüge des Klägers greift nicht durch.

Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision wegen eines Verstoßes gegen die Amtsermittlungspflicht nur zuzulassen, wenn das Berufungsgericht einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Dabei ist das Merkmal der hinreichenden Begründung nicht formell, sondern materiell im Sinne von „hinreichender Grund” zu verstehen: Die Nichtbefolgung des Beweisantrags ist (nur dann) verfahrensfehlerhaft, wenn sich das LSG aus seiner rechtlichen Sicht zur Beweiserhebung hätte gedrängt fühlen müssen. Eine Pflicht zur Sachaufklärung besteht in bezug auf diejenigen Tatsachen, die für die Entscheidung in prozessualer und materieller Sicht wesentlich (entscheidungserheblich) sind und deren Vorliegen bzw Nichtvorliegen nicht von vornherein offenkundig oder bereits erwiesen sind. Dabei braucht das Gericht indessen nicht bloßen Vermutungen oder jedem unsubstantiierten Vorbringen der Beteiligten nachzugehen. Insbesondere Ermittlungen auf medizinischem Gebiet sind nur veranlaßt, wenn für die behaupteten Tatsachen und Zusammenhänge nach den gesamten Umständen des Falles ein Minimum an Plausibilität gegeben ist. Letzteres hat das LSG hier mit Recht verneint.

Die Behauptung, die ihm zum Vorwurf gemachten sexuellen Belästigungen von Patientinnen seien Ausdruck einer vorübergehenden hormonellen und psychischen Störung im Klimakterium virile gewesen, hat der Kläger erstmals im September 1994 im Verlauf des Berufungsverfahrens im jetzigen Prozeß erhoben. Zuvor war von einem derartigen Sachverhalt weder im Strafverfahren noch im anschließenden berufsgerichtlichen Verfahren noch im Zulassungsentziehungsverfahren jemals die Rede gewesen. Es ist auch nicht ersichtlich, daß später versucht worden wäre, mit Hilfe ärztlicher Gutachten den der strafgerichtlichen und berufsgerichtlichen Verurteilung zugrundeliegenden Schuldvorwurf zu entkräften und eine Wiederaufnahme jener Verfahren zu erreichen. Nach den Feststellungen des LSG hat sich der Kläger zu keinem Zeitpunkt wegen Störungen seines Sexualverhaltens in ärztlicher Behandlung befunden. Auch im Zusammenhang mit dem in Rede stehenden Beweisantrag hat er kein fachärztliches Attest oder sonst ein ärztliches Zeugnis vorgelegt, das ein krankhaftes Geschehen als Ursache des zur Entziehung der Kassenzulassung führenden Fehlverhaltens auch nur als Möglichkeit in Erwägung gezogen hätte. Umgekehrt hat das LSG unter Hinweis auf medizinische Literatur und die Sachkunde seines ärztlichen Beisitzers dargelegt, daß die dem Kläger zur Last gelegten sexuellen Übergriffe für hormonelle und psychische Störungen im Klimakterium jedenfalls gänzlich untypisch sind und daß auch unter Berücksichtigung seines Lebensalters für das Vorliegen derartiger Störungen kein vernünftiger Anhaltspunkt besteht. Nachdem der Prozeßbevollmächtigte des Klägers das Vorliegen einer krankhaften Störung lediglich ohne erkennbare eigene medizinische Fachkenntnisse gleichsam ins Blaue hinein behauptet hatte, mußte sich das Berufungsgericht bei dieser Sachlage nicht gedrängt fühlen, dem Beweisantrag auf Einholung eines fachpsychiatrischen Gutachtens nachzukommen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1174269

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