Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch auf Sonderzuwendung bei Wehrdienst

 

Orientierungssatz

Zur Frage ob ein Arbeitnehmer für die Dauer seines Grundwehrdienstes noch Anspruch auf ein anteiliges 13. Monatseinkommen nach dem Tarifvertrag über die Gewährung eines 13. Monatseinkommens für gewerbliche Arbeitnehmer des Dachdeckerhandwerkes in der Bundesrepublik Deutschland und im Land Berlin vom 30.4.1979 hat.

 

Normenkette

TVG § 1; BGB § 611

 

Verfahrensgang

LAG Nürnberg (Entscheidung vom 15.10.1984; Aktenzeichen 4 Sa 58/83)

ArbG Würzburg (Entscheidung vom 16.03.1983; Aktenzeichen 2 Ca 16/83)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger im Jahre 1982 für die Dauer seines Grundwehrdienstes noch ein anteiliges 13. Monatseinkommen nach dem Tarifvertrag über die Gewährung eines 13. Monatseinkommens für gewerbliche Arbeitnehmer des Dachdeckerhandwerks in der Bundesrepublik Deutschland und im Land Berlin vom 30. April 1979 (in Zukunft: TV) schuldet.

Der Kläger ist bei der Beklagten seit 1. September 1979 als Dachdeckergeselle beschäftigt. In der Zeit vom 1. Juli 1981 bis 30. September 1982 leistete er seinen Grundwehrdienst ab. Im Jahr 1981 erhielt der Kläger keine Sonderzuwendung nach dem TV. Ab 1. Oktober 1982 arbeitete er wieder bei der Beklagten. Beide Parteien sind tarifgebunden. Der TV hat - soweit es hier interessiert - folgenden Wortlaut:

"§ 2 Anspruch

1. Jeder Arbeitnehmer, dessen Beschäftigungsverhältnis

am 30. November des laufenden Kalenderjahres min-

destens 12 Monate ununterbrochen besteht, hat An-

spruch auf Zahlung eines Teiles eines 13. Monats-

einkommens.

.....

2. Arbeitnehmer, die im laufenden Kalenderjahr einge-

stellt werden, haben Anspruch auf 1/12 der in Zif-

fer 1 genannten Beträge für jeden vollen Beschäfti-

gungsmonat, sofern das Beschäftigungsverhältnis am

30. November ununterbrochen drei Monate besteht.

3. .....

4. Dem ohne eigenes Verschulden (z. B. Kündigung durch

den Arbeitgeber) ausscheidenden Arbeitnehmer stehen

so viele Zwölftel des Gesamtbetrages zu, wie er im

Kalenderjahr im Betrieb nach vollen Monaten beschäf-

tigt war.

.....

§ 4 Wehrpflichtige

Arbeitnehmer, die am 30. November Grundwehr- oder

Ersatzdienst leisten, haben keinen Anspruch auf

den Betrag gemäß § 2."

Vorarbeitern und Junggesellen stand nach dem TV im Jahr 1982 ein Betrag von 720,-- DM brutto als Teil eines 13. Monatseinkommens zu. Die Beklagte zahlte an den Kläger unter Hinweis darauf, daß er im Jahr 1982 lediglich drei Monate gearbeitet habe, nur ein Viertel dieses Betrages, nämlich 180,-- DM brutto. Mit der der Beklagten am 4. Februar 1983 zugestellten Klage hat der Kläger den Restbetrag von 540,-- DM brutto verlangt.

Der Kläger hat vorgetragen, er habe Anspruch auf die volle Sonderzuwendung, da er am 30. November 1982 mindestens zwölf Monate ununterbrochen in einem Beschäftigungsverhältnis bei der Beklagten gestanden habe. Wie sich aus einem Umkehrschluß zu § 4 TV ergebe, hätten Zeiten des Grundwehrdienstes im laufenden Kalenderjahr nur dann Einfluß auf die Höhe der Sonderzuwendung, wenn der Grundwehrdienst am 30. November geleistet werde.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den

Kläger 540,-- DM brutto nebst 4 %

Zinsen hieraus seit 15. Januar 1983

zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe nur einen anteiligen Anspruch, da er in der Zeit vom 1. Januar bis 30. September 1982 keine versicherungspflichtige Tätigkeit bei der Beklagten ausgeübt habe. § 2 Nr. 1 TV gehe aber von einem ununterbrochenen Beschäftigungsverhältnis aus und nicht nur von einem ununterbrochenen Arbeitsverhältnis. Der Kläger habe deshalb analog zu der Regelung bei im Verlauf des Kalenderjahres schuldlos ausscheidenden Arbeitnehmern (§ 2 Nr. 4 TV) nur einen anteiligen Anspruch für die Zeit vom 1. Oktober bis 31. Dezember. Das Ruhen des Arbeitsverhältnisses während des Grundwehrdienstes habe auch ein Ruhen des Anspruchs auf ein anteiliges 13. Monatseinkommen zur Folge.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

I. Die Revision ist unbegründet. Der Kläger hat trotz seines Wehrdienstes vom 1. Januar bis 30. September 1982 im Jahre 1982 Anspruch auf die volle tarifliche Sonderzahlung.

II. 1. Der Kläger erfüllt im Jahre 1982 die Voraussetzung für einen Anspruch auf eine volle Sonderzahlung nach § 2 Nr. 1 Abs. 1 TV. Er stand am 30. November 1982 seit mindestens zwölf Monaten ununterbrochen in einem Beschäftigungsverhältnis bei der Beklagten.

a) Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, der TV sei dahin auszulegen, daß nur solche Grundwehrdienstleistenden von dem Bezug der Sonderzahlung ausgeschlossen sein sollen, die am 30. November des jeweils laufenden Kalenderjahres Grundwehr- oder Ersatzdienst leisten.

Die Auslegung einer Tarifnorm unterliegt der selbständigen Beurteilung durch das Revisionsgericht (BAG Urteile vom 10. September 1962 - 5 AZR 367/61 - und vom 30. September 1971 - 5 AZR 123/71 - AP Nr. 115 und 121, zu 1 der Gründe, zu § 1 TVG Auslegung). Für die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages sind die für Gesetze maßgebenden Auslegungsgrundsätze anzuwenden (BAG 11, 135, 137 ff. = AP Nr. 68 zu Art. 3 GG, zu 1 der Gründe; BAG AP Nr. 121 aaO). Zunächst ist vom Wortlaut des Tarifvertrages auszugehen; dabei sind auch Sinn und Zweck der Regelung mit zu berücksichtigen, soweit sie in der Tarifnorm einen erkennbaren Ausdruck gefunden haben (BAG Urteil vom 19. Juni 1963 - 4 AZR 125/62 - AP Nr. 116 zu § 1 TVG Auslegung, zu 1 der Gründe). Ergänzend ist auf den Gesamtzusammenhang der tariflichen Vorschriften abzustellen (BAG Urteil vom 5. November 1980 - 5 AZR 481/78 - AP Nr. 126 zu § 1 TVG Auslegung, zu I 1 der Gründe m. w. N.), dabei kommt es bei Sonderzuwendungen insbesondere auch auf ihren Sinn und Zweck an (BAG Urteil vom 18. Januar 1978 - 5 AZR 56/77 - AP Nr. 92 zu § 611 BGB Gratifikation).

b) Entgegen der Auffassung der Beklagten setzt § 2 Nr. 1 Abs. 1 TV schon seinem Wortlaut nach keine tatsächliche Arbeitsleistung des Arbeitnehmers während des gesamten Zwölf-Monats-Zeitraums voraus. Etwas anderes folgt nicht aus der Wahl des Wortes "Beschäftigungsverhältnis" in dieser Vorschrift. Der Tarifvertrag unterscheidet nicht zwischen Arbeitsverhältnis und Beschäftigungsverhältnis, wie die Beklagte meint, sondern verwendet allein den Begriff "Beschäftigungsverhältnis" zur Kennzeichnung eines den Anspruch auf ein anteiliges 13. Monatseinkommen begründenden Vertragsverhältnisses. Nachdem die Tarifvertragsparteien in dem TV aber in keiner Weise zum Ausdruck gebracht haben, daß sie hier unter "Beschäftigungsverhältnis" nur ein Arbeitsverhältnis verstehen wollen, in dem der Arbeitnehmer tatsächlich gearbeitet hat, läßt schon der Wortlaut des § 2 die von der Beklagten vertretene Auslegung nicht zu.

c) Hinzu kommt folgendes: Die Tarifvertragsparteien haben in § 4 des TV ausdrücklich geregelt, daß Arbeitnehmer, die am 30. November des laufenden Kalenderjahres Grundwehr- oder Ersatzdienst leisten, keinen Anspruch auf den Betrag gemäß § 2 haben. Aus der Formulierung des § 4 folgt, daß damit allein solche Arbeitnehmer ausgeschlossen sein sollten, die am 30. November als Stichtag Grundwehr- oder Ersatzdienst leisten. Wie bereits das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, wäre diese Vorschrift überflüssig, wenn Arbeitnehmer, die Grundwehrdienst im Laufe des Kalenderjahres leisten, schon durch die Wortwahl in § 2 "Beschäftigungsverhältnis" von dem Bezug der Sonderleistung ausgeschlossen worden wären. Danach ergibt sich auch aus dem Gesamtzusammenhang der tariflichen Regelung, daß die Tarifvertragsparteien in § 2 mit dem Begriff "Beschäftigungsverhältnis" lediglich ein anderes Wort für den Begriff "Arbeitsverhältnis" gewählt haben.

2. Entgegen der Auffassung der Revision spricht gegen diese Auslegung auch nicht der Umstand, daß der Tarifvertrag an verschiedenen Stellen eine Sonderzuwendung nur zeitanteilig gewährt (§ 2 Nr. 2 und 4). Insoweit handelt es sich, obgleich die Wörter "Beschäftigungsverhältnis" bzw. "beschäftigt" verwendet wurden, um Tatbestände, bei denen das Arbeitsverhältnis nicht während des ganzen Zwölf-Monats-Zeitraums bestanden hat. Damit sind Folgerungen daraus, daß trotz Bestehens eines Arbeitsverhältnisses keine Arbeitsleistung erbracht wurde, allein für den Grundwehr- oder Ersatzdienst in § 4 TV gezogen worden. Diese Regelung kann nur so angewendet werden, wie es der Tarifvertrag vorschreibt.

Dr. Thomas Richterin Michels-Holl Schneider

ist durch Urlaub an der

Unterschrift verhindert

Dr. Thomas

Liebsch Werner

 

Fundstellen

Dokument-Index HI440354

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