Entscheidungsstichwort (Thema)

Schichtenregelung durch Betriebsvereinbarung

 

Normenkette

BetrVG § 77 Abs. 4; BGB § 242; ZPO § 322

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Urteil vom 28.06.1996; Aktenzeichen 15 Sa 150/96)

ArbG Mönchengladbach (Urteil vom 21.12.1995; Aktenzeichen 4 (7) Ca 1480/95)

 

Tenor

1. Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 28. Juni 1996 – 15 Sa 150/96 – wird zurückgewiesen.

2. Die Kläger tragen die Kosten der Revision.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, in welchem Schichtsystem die Kläger zu arbeiten haben.

Die Kläger waren zunächst beim A. e.V., K., angestellt. Sie alle sind als Sachbearbeiter in der „Pannenhilfe W.” tätig, die sich ursprünglich in K. befand. Diese wurde zum 1. Januar 1993 auf den Beklagten übertragen und nach D. verlegt. Die Arbeitsverhältnisse der Kläger gingen auf den Beklagten über.

Für die Arbeitsverhältnisse der Sachbearbeiter in der „Pannenhilfe W.” gelten seit 1991 gleichlautende Arbeitsverträge. In ihnen ist im wesentlichen folgendes bestimmt:

„…

§ 2 – Beschäftigungsbedingungen

Der A. e.V. ist nicht an einen bestimmten Tarifvertrag gebunden. …

Für die vom A. e.V. unterhaltene Pannenhilfezentrale werden die Bestimmungen des Tarifvertrages für das Kraftfahrzeuggewerbe im Lande Nordrhein-Westfalen angewendet.

Abweichende Bestimmungen werden durch die Betriebsvereinbarung vom 01.08.1991 geregelt, die Bestandteil dieses Vertrages ist.

§ 4 – Arbeitstage und -zeiten

Die Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Arbeitstage regelt sich nach Artikel 4 der Betriebsvereinbarung.

§ 8 – Schlußbestimmungen

Jede der beiden Vertragsparteien erhält eine unterzeichnete Ausfertigung dieses Vertrages und der gültigen Betriebsvereinbarung. …”

Die im Arbeitsvertrag angeführte Betriebsvereinbarung stammt vom 27. Juli 1991 und ist am 1. August 1991 in Kraft getreten (BV 1991). Sie enthielt u.a. folgende Regelungen:

„…

Artikel 4 – Arbeitstage und -zeiten

Die Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Arbeitstage (das sind alle Kalendertage, also Werktage, Sonntage und Feiertage) erfolgt im Rahmen von Dienstplänen, die mit Zustimmung des Betriebsrates erstellt werden. Änderungen in Einzelfällen werden nach Rücksprache mit den betroffenen Mitarbeitern einvernehmlich vorgenommen.

Beginn und Ende der Arbeitszeit werden bestimmt durch Beginn und Ende der Schichten laut Dienstplan. …

Artikel 5 – Schichtdienst

Der Dienst in der Pannenhilfezentrale wird in Wechselschicht geleistet. Die Festlegung der Schichten erfolgt im Rahmen von Dienstplänen entsprechend Artikel 4. …

Für die Erschwernisse des Wechselschichtdienstes erhalten die Angestellten für den Dreischichtbetrieb eine monatliche Zulage in Höhe von 17,5 % ihres reinen tariflichen Grundgehaltes.

Artikel 9 – Inkrafttreten

Diese Betriebsvereinbarung ersetzt alle früheren, die Pannenhilfezentralen betreffenden Betriebsvereinbarungen.

Diese Betriebsvereinbarung tritt am 1. August 1991 in Kraft. Sie gilt zunächst für die Dauer von drei Jahren und verlängert sich danach automatisch von Jahr zu Jahr, wenn sie nicht spätestens 6 Monate vor Jahresende schriftlich gekündigt wird.”

Die Kläger arbeiteten beim A. e.V. im Dreischichtbetrieb, wobei sie abwechselnd in der Früh-, der Spät- und der Nachtschicht eingesetzt wurden. In Einzelfällen wurden auch abweichende Schichten geleistet. Dieses Schichtsystem blieb nach Inkrafttreten der BV 1991 maßgebend. Es wurde zunächst auch nach dem Übergang des Betriebs auf den Beklagten beibehalten.

Im Verlauf des Jahres 1994 sprach der Beklagte gegenüber den Klägern Änderungskündigungen aus mit dem Ziel, künftig die für das Kfz-Gewerbe in Bayern bestehenden Tarifverträge auf die Arbeitsverhältnisse anzuwenden. Durch rechtskräftige Urteile des Arbeitsgerichts Mönchengladbach wurde die Unwirksamkeit dieser Kündigungen festgestellt. Das Arbeitsgericht begründete dies damit, daß dringende betriebliche Erfordernisse für die angestrebte Änderung der Arbeitsbedingungen nicht hinreichend dargetan seien. In einer Hilfsbegründung ging das Arbeitsgericht davon aus, daß die Zulagenregelung der BV 1991 aufgrund der in den Arbeitsverträgen enthaltenen Bezugnahme zu deren Inhalt geworden sei, ließ aber offen, ob dies für alle, insbesondere auch die mitbestimmungspflichtigen Regelungen der Betriebsvereinbarung zu gelten habe.

Die BV 1991 wurde vom Beklagten zum 31. Dezember 1994 gekündigt. Am 21. Juni 1995 schloß er mit dem Betriebsrat eine „Betriebsvereinbarung über die Arbeitszeitregelung in der Hilfezentrale der Pannenhilfe W.” ab, die am 1. Juli 1995 in Kraft trat. Sie enthält – neben Regelungen u.a. über Pausen, Arbeitszeiterfassung, Mehrarbeit, Gleitzeit und Zeiten der Abwesenheit vom Betrieb – folgende Bestimmungen:

„…

4 Arbeitszeiten in der Hilfezentrale W.

4.1 Planung

Der Einsatz der Mitarbeiter erfolgt über einen monatlichen Dienstplan. Darin werden die Anzahl der Schichten und die Schichtarten jeweils im voraus festgelegt und den Mitarbeitern grundsätzlich einen Monat vor Inkrafttreten zur Verfügung gestellt.

Dem Betriebsrat sind die Dienstpläne – Vor- und Rücklauf – rechtzeitig vorzulegen; gleiches gilt für die geleistete Mehrarbeit.

4.2 Schichtarten und Schichtdauer

Die Aufteilung der Arbeitszeit in der Hilfezentrale erfolgt in Schichten, gemäß Anlage 1.

…”

In der Anlage zu Nr. 4.2 der Betriebsvereinbarung ist ein Schichtenplan aufgeführt, der insgesamt 16 verschiedene Schichttypen, darunter auch die bisher schon praktizierte Früh-, Spät- und Nachtschicht, mit Anfang, Ende und Pausen beschreibt.

Die Kläger haben die Auffassung vertreten, der Schichtenplan der BV 1995 sei für sie nicht maßgeblich. Sie hätten ihre Arbeit vielmehr weiterhin im Dreischichtsystem zu verrichten. Dieses sei nämlich von der BV 1991 vorgeschrieben gewesen, deren Regelungen aufgrund einzelvertraglicher Bezugnahme Inhalt der Arbeitsverträge geworden seien. Selbst wenn dies nicht der Fall sein sollte, so sei das Dreischichtsystem dennoch aufgrund betrieblicher Übung zwischen den Parteien vereinbart. An dieser individualrechtlichen Position der Kläger habe die Kündigung der BV 1991 nichts geändert. Ebensowenig habe die BV 1995 diese Regelung abgelöst. Im übrigen wäre eine durch die BV 1995 bewirkte Änderung des hichtsystems unbillig, weil sie die Kläger stärker belasten und Hinblick auf Zulagen schlechter stellen würde.

Die Kläger haben beantragt

festzustellen, daß die Betriebsvereinbarung über die Arbeitszeitregelung in der Hilfezentrale der Pannenhilfe W. vom 21. Juni 1995 auf sie nicht anzuwenden ist.

Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Nach seiner Meinung unterliegen auch die Kläger den Regelungen der BV 1995 über die Schichtarbeit. Aus den Arbeitsverträgen ergebe sich nichts anderes. Die darin enthaltenen Verweisungen auf die BV 1991 seien lediglich deklaratorischer Natur. Sollte die BV 1991 dennoch Vertragsinhalt geworden sein, so gelte dies auch für die Bestimmung über die Geltungsdauer, so daß sie jedenfalls nach der Kündigung nicht mehr maßgeblich sein könne. Es komme hinzu, daß die BV 1991 ein bestimmtes Schichtsystem gar nicht vorschreibe. Schließlich sei das neue Schichtsystem für die Arbeitnehmer nicht weniger günstig als das bisherige.

Das Arbeitsgericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Auf dessen Berufung hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehren die Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die in der BV 1995 enthaltene Regelung der Schichtarbeit gilt auch für die Kläger.

I. Die Klage ist zulässig.

1. Allerdings bedarf der Klageantrag der Auslegung. Seinem Wortlaut nach zielt er als negativer Feststellungsantrag ausschließlich auf die BV 1995 und erfaßt diese dabei in ihrer Gesamtheit. Beides ist jedoch in Wirklichkeit nicht gewollt. Dies ergibt sich aus dem Vortrag der Kläger und ist von ihnen in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich bestätigt worden.

a) Zum einen geht es den Klägern nicht um sämtliche Bestimmungen der BV 1995, die neben dem Schichtsystem und unabhängig von diesem noch eine Reihe anderer auf die Arbeitszeit bezogener Fragen regelt, wie Arbeitszeiterfassung, Mehrarbeit, Gleitzeit und Zeiten der Abwesenheit vom Betrieb. Erkennbar wehren sich die Kläger nur gegen die Anwendung von Nr. 4.2 der BV 1995 und der Anlage hierzu auf ihre Arbeitsverhältnisse. Der Streit der Parteien geht allein darum, ob die Kläger verlangen können, weiterhin im Dreischichtbetrieb eingesetzt zu werden, oder ob sie auch die anderen nach der BV 1995 möglichen Formen der Schichtarbeit akzeptieren müssen.

Soweit die Kläger in diesem Zusammenhang auf Einbußen bei den Zulagen verweisen, soll dies nur ihr Interesse an der Beibehaltung des bisherigen Schichtsystems erläutern. Sie haben die mögliche Fortgeltung der in Art. 5 Abs. 3 BV 1991 enthaltenen Zulagenregelung nicht zum Streitgegenstand gemacht, denn diese ist von der BV 1995 völlig unabhängig. Die BV 1995 enthält keine Bestimmungen zu diesem Thema. Sie sieht auch keine Ablösung der einschlägigen Regelung der BV 1991 vor.

b) Entgegen dem Wortlaut des Klageantrags ist das Begehren der Kläger dahin zu verstehen, daß sie nicht nur festgestellt haben wollen, die BV 1995 sei auf ihre Arbeitsverhältnisse nicht anwendbar. Eine derartige negative Feststellung könnte für sich allein keine Klarheit über den von den Klägern behaupteten Anspruch schaffen, vom Beklagten weiterhin im Dreischichtbetrieb beschäftigt zu werden. Da die Kläger die Regelungen der BV 1991 und diejenigen der BV 1995 insoweit in einem Alternativverhältnis sehen, wollen sie über die formulierte negative Feststellung hinaus auch die positive erreichen, daß aufgrund ihrer Arbeitsverträge in Verbindung mit der BV 1991 nach wie vor das Dreischichtsystem für sie maßgeblich sei.

2. Mit diesem Inhalt ist der Feststellungsantrag der Kläger zulässig.

a) Die Voraussetzungen, unter denen nach § 256 ZPO eine Feststellungsklage erhoben werden kann, liegen hier vor. Die Frage, welche Schichtenregelung für die Kläger maßgeblich ist, betrifft ein Rechtsverhältnis zwischen den Parteien. Nach ständiger Rechtsprechung kann ein Rechtsverhältnis, das der Feststellung fähig ist, auch in einzelnen Beziehungen oder Folgen aus dem Arbeitsverhältnis bestehen, wie der Lage der Arbeitszeit (Senatsurteil vom 23. Juni 1992 – 1 AZR 57/92 – AP Nr. 1 zu § 611 BGB Arbeitszeit, zu I 2 a der Gründe). Für eine auf die maßgebliche Schichtenregelung beschränkte Feststellung ist auch das nach § 256 ZPO erforderliche besondere Rechtsschutzinteresse zu bejahen. Der Beklagte berühmt sich des Rechts, die Kläger auch anders als im Dreischichtbetrieb einzusetzen.

b) Der Zulässigkeit der Klage steht auch nicht etwa eine bereits vorliegende rechtskräftige Entscheidung entgegen.

Insoweit hat der Beklagte zwar keine Einwände erhoben. Eine rechtskräftige Entscheidung, die in einem Streit zwischen denselben Parteien ergangen ist, stellt jedoch für die erneute Entscheidung über denselben Gegenstand ein Hindernis dar, welches von Amts wegen zu berücksichtigen ist (z.B. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 54. Aufl., Einführung §§ 322–327 Rz 25).

Eine rechtskräftige Entscheidung über denselben Streitgegenstand liegt indessen nicht vor. Allerdings haben die Kläger selbst geltend gemacht, das Arbeitsgericht Mönchengladbach habe in seinem rechtskräftigen Urteil vom 13. Oktober 1994 (– 4 Ca 993/94 –) festgestellt, die BV 1991 sei verbindlicher Bestandteil der Arbeitsverhältnisse zwischen den Parteien geworden. Das Arbeitsgericht hat die behauptete Feststellung jedoch nicht getroffen. Vielmehr hat es seine Entscheidung, daß die gegenüber den Klägern erklärten Änderungskündigungen unwirksam sind, tragend damit begründet, daß dringende betriebliche Erfordernisse für die angestrebte Änderung der Arbeitsbedingungen vom Beklagten nicht dargetan worden seien. Soweit in der Begründung die BV 1991 überhaupt eine Rolle spielt, ist ausdrücklich offengeblieben, ob auch diejenigen Bestimmungen der BV 1991 Vertragsinhalt geworden sind, die mitbestimmungspflichtige Angelegenheiten betreffen. Hier geht es aber gerade um solche Angelegenheiten. Die im vorliegenden Rechtsstreit allein umstrittene Regelung der Schichtarbeit unterliegt dem Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG (vgl. nur Fitting/Kaiser/Heither/Engels, BetrVG, 18. Aufl., § 87 Rz 99 ff., m.w.N.).

II. Die Klage ist unbegründet. Im Ergebnis zutreffend hat das Landesarbeitsgericht erkannt, daß die Bestimmungen der BV 1995 über die Schichtarbeit auf die Arbeitsverhältnisse der Kläger anzuwenden sind und daß sie auch nicht hinter günstigeren arbeitsvertraglichen Vereinbarungen zurückzutreten haben.

1. Erfolglos machen die Kläger mit der Revision geltend, das Landesarbeitsgericht habe § 322 ZPO verletzt. Es habe sich über die rechtskräftige Feststellung des Arbeitsgerichts Mönchengladbach hinweggesetzt, daß die BV 1991 verbindlicher Bestandteil der zwischen den Parteien bestehenden Arbeitsverhältnisse geworden sei. Wie bereits ausgeführt (I 2 b), hat das Arbeitsgericht Mönchengladbach eine solche Feststellung jedenfalls insoweit, als es um die hier streitige Regelung der Schichtarbeit geht, nicht getroffen.

2. Für die von den Klägern zu leistende Schichtarbeit ist die BV 1995 maßgeblich. Sie gilt nach § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG unmittelbar und zwingend für die Arbeitsverhältnisse aller Arbeitnehmer des Betriebs. Ihrer Anwendung auf die Kläger steht nicht entgegen, daß die Regelungen über die Schichtarbeit unwirksam wären (a). Diese werden auch nicht von günstigeren arbeitsvertraglichen Vereinbarungen verdrängt (b).

a) Die einschlägigen Bestimmungen der BV 1995 sind wirksam.

aa) Sofern der Vortrag der Kläger dahin zu verstehen sein sollte, daß sie eine Umgehung des Kündigungsschutzgesetzes durch die Schichtenregelung der BV 1995 rügen, hat das Landesarbeitsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt, daß dieser Einwand nicht durchgreift.

Allerdings führt eine ausschließlich kollektivrechtliche Regelung des Schichtbetriebs durch Betriebsvereinbarung dazu, daß die Betriebsparteien Herren ihrer Regelung sind und diese jederzeit ändern können, ohne daß es dazu auch einer Änderung der Arbeitsverträge der betroffenen Arbeitnehmer bedürfte. Die Möglichkeiten der Gegenwehr, die § 2 KSchG den Arbeitnehmern im Fall der vom Arbeitgeber gewünschten Umgestaltung eines individualrechtlich vereinbarten Schichtsystems zur Verfügung stellt, bestehen nicht gegenüber Eingriffen in Rechtspositionen, die ausschließlich auf Betriebsvereinbarung gründen.

Hieraus ist aber nicht zu schließen, es liege eine Gesetzesumgehung vor, wenn Arbeitsbedingungen durch Betriebsvereinbarung geregelt werden, obwohl auch eine Regelung durch Individualvereinbarung vorstellbar wäre. Die Festlegung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit, um die es bei Regelungen zur Schichtarbeit geht, ist nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG mitbestimmungspflichtig. Mitbestimmungsrechte nach § 87 BetrVG werden typischerweise durch den Abschluß von Betriebsvereinbarungen ausgeübt. Damit hat der Gesetzgeber gerade auch die hier streitige Gestaltung des Schichtsystems zum Gegenstand kollektivrechtlicher betrieblicher Regelungen gemacht, die auf eine Ergänzung durch arbeitsvertragliche Absprachen nicht angewiesen sind. Dem liegt u.a. die Erwägung zugrunde, daß es sich hierbei um kollektive Tatbestände handelt, deren Regelung sinnvollerweise einheitlich erfolgt, hingegen durch unterschiedliche Vereinbarungen mit den einzelnen Arbeitnehmern nur schwer erreichbar ist. Besonders deutlich zeigt sich das im vorliegenden Fall eines Schichtsystems, das nur funktionieren kann, wenn es für alle betroffenen Arbeitnehmer in gleicher Weise maßgeblich ist. Machen die Betriebsparteien von ihrer kollektiven Gestaltungsmacht Gebrauch, dann liegt hierin keine Umgehung individualrechtlicher Schutzvorschriften. Vielmehr tritt die vom Gesetz vorgesehene kollektivrechtliche Interessenwahrnehmung an die Stelle derjenigen durch die einzelnen Arbeitnehmer im Rahmen ihrer Arbeitsverhältnisse.

bb) Die Schichtenregelung der BV 1995 ist auch nicht etwa deshalb unwirksam, weil sie unbillig wäre.

Betriebsvereinbarungen unterliegen nach ständiger Rechtsprechung einer gerichtlichen Billigkeitskontrolle (Senatsurteil vom 1. Dezember 1992 – 1 AZR 234/92 – AP Nr. 3 zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt, zu I 3 a der Gründe; zur Kritik an dieser vom Schrifttum überwiegend abgelehnten Rechtsprechung z.B. GK-BetrVG/Kreutz, 5. Aufl., § 77 Rz 259 ff.). Deren Maßstab ist der Bindung der Betriebsparteien an die Zielbestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes zu entnehmen, wie sie insbesondere in § 75 BetrVG umschrieben sind.

Hier sind keine Gesichtspunkte erkennbar, aus denen sich ergeben würde, daß das Schichtsystem nach der BV 1995 in unbilliger Weise die Interessen der Belegschaft verletzen oder einen Teil der Arbeitnehmer gegenüber den anderen benachteiligen würde. Die Kläger haben auch keine Tatsachen vorgetragen, die insoweit erheblich wären. Zu Unrecht beruft sich die Revision in diesem Zusammenhang auf den Wegfall der in Art. 5 Abs. 3 BV 1991 vorgeschriebenen Zulage für Dreischichtarbeit; der Bestand dieser Vergütungsregelung ist, wie oben (I 1a) ausgeführt, durch die BV 1995 nicht berührt worden.

b) Entgegen der Auffassung der Kläger ergibt sich aus ihren Arbeitsverträgen keine von der BV 1995 abweichende Regelung der Schichtarbeit. Allerdings folgt dies nicht bereits aus der zwingenden Wirkung der BV 1995 nach § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG. Günstigere Vereinbarungen der Arbeitsvertragsparteien werden danach nicht ausgeschlossen. Auch gegenüber Betriebsvereinbarungen gilt das Günstigkeitsprinzip (BAGE 53, 42, 58 ff. = AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972, zu C II 2 und 3 der Gründe). Ob, wie die Kläger meinen, die von ihnen behauptete Festlegung der Dreischichtarbeit überhaupt günstiger ist als das Schichtsystem nach der BV 1995, erscheint freilich nicht zweifelsfrei. Substantiierter Vortrag fehlt insoweit. Diese Frage kann hier aber auf sich beruhen. Das Dreischichtsystem ist nämlich nicht Bestandteil der Arbeitsverträge geworden.

aa) Zu Unrecht berufen sich die Kläger insoweit auf die BV 1991.

(1) Das Landesarbeitsgericht hat dies damit begründet, daß die in den Arbeitsverträgen enthaltenen Bezugnahmen auf die BV 1991 nur deklaratorischer Natur seien, so daß deren Bestimmungen für die Arbeitsverhältnisse der Kläger nur kollektivrechtlich gegolten hätten.

Die Auslegung dieser Arbeitsverträge unterliegt nach ständiger Rechtsprechung in vollem Umfang der Überprüfung durch den Senat, da es sich um Einheitsverträge handelt (BAG Urteil vom 20. Juni 1985 – 2 AZR 427/84 – AP Nr. 33 zu § 112 BetrVG 1972, zu B I 2 der Gründe). Unerheblich ist in diesem Zusammenhang die zwischen den Parteien umstrittene Frage, ob ein Formularvertrag vorliegt oder ein Vertragstext, der jeweils aus der EDV abgerufen und einheitlich verwandt wird. Jedenfalls handelt es sich um gleichlautende Texte und damit um einen „typischen” Vertrag.

Der Revision ist zuzugeben, daß entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts der Wortlaut des Vertrages nicht unergiebig ist, sondern eher dafür spricht, die Geltung der BV 1991 solle auch individualrechtlich vereinbart werden. So ist die Betriebsvereinbarung nach der in § 2 Abs. 3 des Vertrages enthaltenen Verweisung „Bestandteil dieses Vertrages”. Es kommt die Formulierung von § 8 Satz 1 hinzu, wonach jede Vertragspartei eine unterzeichnete Ausfertigung nicht nur des Vertrags, sondern auch der gültigen Betriebsvereinbarung erhalten sollte. Da der Arbeitgeber ohnehin im Besitz des Textes der Betriebsvereinbarung ist, macht ein solcher Austausch von Urkunden zwischen den Arbeitsvertragsparteien nur Sinn, wenn auch eine individualrechtliche Bindung gewollt ist, die in der Unterzeichnung der Betriebsvereinbarung durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer ihren Ausdruck findet.

Andererseits spricht für einen lediglich deklaratorischen Charakter der Verweisung, daß in § 8 Satz 1 des Vertrags von der „gültigen” Betriebsvereinbarung die Rede ist. Die „Gültigkeit” einer Betriebsvereinbarung ist Voraussetzung ihrer kollektivrechtlichen Anwendbarkeit, die einziger Inhalt einer lediglich deklaratorischen Bezugnahme ist. Dagegen ist eine konstitutive Bezugnahme hiervon nicht abhängig. Die Arbeitsvertragsparteien können auch kollektivrechtlich unwirksame Regelungen einer Betriebsvereinbarung durch konstitutive Bezugnahme zu wirksamen Bestandteilen des Arbeitsvertrags machen.

Generell steht der Annahme, die einzelvertragliche Bezugnahme auf eine Betriebsvereinbarung habe konstitutiven Charakter, jedenfalls bei einem vom Arbeitgeber vorformulierten Einheitsvertrag der Umstand entgegen, daß der Arbeitgeber an einer solchen Wirkung regelmäßig kein Interesse haben kann. Insoweit besteht ein erheblicher Unterschied zu den in Arbeitsverträgen häufig anzutreffenden konstitutiven Verweisungen auf Tarifverträge. Diese sollen üblicherweise bewirken, daß für alle Arbeitnehmer des Betriebs unabhängig von ihrer Gewerkschaftsmitgliedschaft einheitliche Arbeitsbedingungen gelten (BAGE 67, 330, 341 = AP Nr. 20 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz, zu B II 4 der Gründe). Diesem Zweck kann die Bezugnahme auf eine Betriebsvereinbarung nicht dienen, da diese nach § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG ohnehin für alle Arbeitnehmer des Betriebs gilt. Es ist kein Grund dafür erkennbar, daß sich der Rechtsvorgänger des Beklagten nicht nur gegenüber dem Betriebsrat, sondern durch die einzelvertragliche Übernahme der Betriebsvereinbarung auch gegenüber den einzelnen Arbeitnehmern hätte binden wollen.

Die Frage kann hier jedoch dahinstehen.

(2) Selbst wenn die BV 1991 Inhalt der Arbeitsverträge der Kläger geworden wäre, würde das der Klage nicht zum Erfolg verhelfen. Die Betriebsvereinbarung enthielt nämlich entgegen der Auffassung der Kläger keine Festlegung auf ein bestimmtes Schichtsystem wie den Dreischichtbetrieb. Vielmehr schrieb sie lediglich in allgemeiner Form vor, daß die Arbeit in Wechselschicht zu leisten sei (Art. 5 Abs. 1). Das erlaubt jede Art des Schichtbetriebs, soweit für die einzelnen Arbeitnehmer wechselnde Arbeitszeiten maßgeblich sind. Nach dieser Vorschrift blieb die Festlegung der Schichten, wozu mangels anderweitiger Vorgaben auch die Bestimmung der Schichtarten gehört, den vom Arbeitgeber mit Zustimmung des Betriebsrats zu erstellenden Schichtplänen überlassen.

Die in Art. 5 Abs. 3 BV 1991 enthaltene Bestimmung über eine Zulage für den Dreischichtbetrieb steht dieser Auslegung nicht entgegen. Die Kläger verkennen, daß eine Regelung, die eine von mehreren möglichen Formen des Schichtbetriebs zur Voraussetzung für eine Zulage macht, damit andere Formen der Arbeitszeitgestaltung nicht ausschließt. Diese begründen lediglich keinen Anspruch auf die Zulage. Da der Dreischichtbetrieb sonst in der BV 1991 nirgends erwähnt ist, fehlt auch im übrigen jeglicher Anhaltspunkt dafür, daß Art. 5 Abs. 3 insoweit eine über die Zulagenregelung hinausgehende Bedeutung haben sollte.

Ohne Erfolg verweisen die Kläger darauf, daß bei Abschluß der BV 1991 eine jahrelange Praxis bestanden habe, wonach fast ausschließlich im Dreischichtbetrieb gearbeitet wurde. Die BV 1991 enthält keinen Hinweis darauf, daß für die Zukunft andere Formen der Wechselschicht ausgeschlossen sein sollten. Im Gegenteil vermied die BV 1991 eine über das Prinzip der Wechselschicht hinausgehende Festlegung und überließ die jeweilige Schichtgestaltung in Art. 4 ausdrücklich den vom Arbeitgeber gemeinsam mit dem Betriebsrat aufzustellenden Dienstplänen. Unerheblich ist, ob der Betriebsrat beim Abschluß der Betriebsvereinbarung möglicherweise die Vorstellung gehabt hat, die Dienstpläne würden auch künftig auf der Grundlage des Dreischichtbetriebs erstellt.

bb) Auch soweit die Kläger geltend machen, der Dreischichtbetrieb sei als betriebliche Übung Vertragsinhalt geworden, ist ihnen nicht zu folgen.

(1) Nach ständiger Rechtsprechung (z.B. BAG Urteil vom 14. September 1994 – 5 AZR 679/93 – AP Nr. 46 zu § 242 BGB Betriebliche Übung, zu II 1 a der Gründe) ist unter einer betrieblichen Übung die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers zu verstehen, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung oder Vergünstigung auf Dauer eingeräumt werden. Dabei kommt es für die Begründung eines solchen Anspruchs durch betriebliche Übung nicht darauf an, ob der Arbeitgeber mit Verpflichtungswillen gehandelt hat. Maßgebend ist vielmehr, ob die Arbeitnehmer aus dem Erklärungsverhalten des Arbeitgebers unter Berücksichtigung von Treu und Glauben sowie allen Begleitumständen auf einen Bindungswillen des Arbeitgebers schließen durften und das entsprechende Angebot stillschweigend annehmen konnten (§ 151 BGB).

(2) An diesen Voraussetzungen fehlt es hier.

Die Annahme einer betrieblichen Übung ist allerdings nicht etwa von vornherein ausgeschlossen, weil es hier um die Festlegung eines betrieblichen Schichtsystems geht und nicht um eine Leistung oder Vergünstigung des Arbeitgebers. Da eine betriebliche Übung durch ein als Willenserklärung zu wertendes Verhalten des Arbeitgebers und dessen stillschweigende Annahme durch die Arbeitnehmer zustande kommt, ist sie grundsätzlich für jeden Gegenstand vorstellbar, der arbeitsvertraglich in einer so allgemeinen Form geregelt werden kann. Dazu gehört auch die Festlegung von Schichtzeiten.

Der fragliche Gegenstand ist indessen für die Bewertung, ob die Arbeitnehmer aus einem bestimmten Verhalten des Arbeitgebers auf einen entsprechenden individualrechtlichen Bindungswillen schließen durften, von Bedeutung. Ist dieser Bindungswille in der Wechselbeziehung von Leistung und Gegenleistung, etwa bei der Gewährung von Zulagen oder von Arbeitsbefreiung aus bestimmten Anlässen, leicht vorstellbar, so wird er doch nur ausnahmsweise anzunehmen sein, wenn ein Gegenstand betroffen ist, der seinem Schwerpunkt nach der Organisation des Betriebs zuzurechnen ist und daher üblicherweise auf kollektiver Ebene oder durch Ausübung des Direktionsrechts geregelt wird. Je mehr eine Regelung auf das Funktionieren des Betriebs in seiner Gesamtheit bezogen ist, desto weniger können die Arbeitnehmer annehmen, der Arbeitgeber wolle sich mit einem bestimmten Verhalten ihnen gegenüber individualrechtlich binden.

Diese Erwägungen müssen gerade auch für die Regelung der betrieblichen Arbeitszeit (vgl. Senatsurteil vom 23. Juni 1992 – 1 AZR 57/92 – AP Nr. 1 zu § 611 BGB Arbeitszeit, zu II 2 der Gründe), insbesondere für die hier streitige Organisation des Schichtbetriebs gelten. Sie kann in sinnvoller Weise nur betriebseinheitlich erfolgen und nicht vom Zustandekommen und Fortbestand einer Vielzahl einzelvertraglicher Absprachen abhängen. Es handelt sich hierbei um einen typischen kollektiven Tatbestand. Die Arbeitnehmer können hier regelmäßig nicht erwarten, daß sich der Arbeitgeber individualrechtlich binden will mit der Folge, daß die Schichtarbeit künftig einer kollektivrechtlichen Gestaltung oder der Ausübung des Direktionsrechts entzogen wäre. In einem derartigen Fall kann eine betriebliche Übung nur dann angenommen werden, wenn besondere Umstände vorliegen, aus denen zu schließen ist, daß sich der Arbeitgeber ausnahmsweise doch gegenüber den einzelnen Arbeitnehmern verpflichten wollte. Dies mag beispielsweise dann in Betracht kommen, wenn der Arbeitgeber bei der Festlegung des Schichtsystems erkennbar dem Interesse der einzelnen Arbeitnehmer an einer bestimmten Form des Schichtbetriebs Rechnung tragen wollte. Anhaltspunkte hierfür liegen nicht vor.

 

Unterschriften

Dieterich, Rost, Wißmann, Brunner, v. Platen

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1126994

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