LAG Hamm, Urteil vom 24.8.2023, 15 Sa 1033/22
Leitsätze (amtlich)
1. Ein an COVID-19 erkrankter Arbeitnehmer ist infolge Krankheit objektiv an seiner Arbeitsleistung verhindert, wenn er sich in Quarantäne begeben muss, es sei denn, der Arbeitgeber kann von ihm verlangen, im Homeoffice zu arbeiten. Die erforderliche Monokausalität i. S. v. § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG ist gegeben, wenn die behördlich angeordnete Quarantäne Folge einer Arbeitsunfähigkeit ist.
2. Für den Verschuldensmaßstab des § 3 EFZG ist nicht auf § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG abzustellen.
3. Ein Verschulden i. S. v. § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG ist nicht anzunehmen, wenn die Corona-Infektion durch die Inanspruchnahme der empfohlenen Schutzimpfung nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit hätte verhindert werden können (Verschulden vorliegend vor dem Hintergrund des Infektionsgeschehens Ende Dezember 2021 verneint).
4. Ein vorläufiges Leistungsverweigerungsrecht nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG besteht nicht, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber die Fortdauer der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit anders als durch Vorlage einer entsprechenden ärztlichen Bescheinigung nachweist.
Sachverhalt
Der nicht gegen SARS-CoV-2 geimpfte Kläger musste sich im Zeitraum 3.1.2022 bis einschließlich 12.1.2022 aufgrund behördlicher Anordnung in Quarantäne begeben, da er sich mit Covid 19 infiziert hatte. Eine alternative Beschäftigung des als Produktionsmitarbeiter tätigen Klägers im Homeoffice war nicht möglich. Die Beklagte nahm bei der Verdienstabrechnung für den Monat Januar 2022 Abzüge vor mit der Begründung, sie schulde dem Kläger für den Zeitraum 3.1.2022 bis einschließlich 12.1.2022 keinen Arbeitslohn, weil es an der Monokausalität der Arbeitsverhinderung fehle. Zudem habe der Kläger die Arbeitsunfähigkeit selbst verschuldet, da er sich nicht gegen Covid 19 habe impfen lassen. Der Kläger erhob Klage, mit welcher er seinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung einforderte.
Die Entscheidung
Während das ArbG die Klage auf Nachzahlung der vorgenommenen Abzüge abwies, hatte die Berufung vor dem LAG überwiegend Erfolg. Die Revision für die Beklagte wurde jedoch zugelassen.Das LAG Hamm entschied, dass die Voraussetzungen für den Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall vorlagen; denn der Kläger war durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert. Die vorliegend unstreitige SARS-CoV-2-Infektion des Klägers stelle einen regelwidrigen körperlichen Zustand und damit eine Krankheit i. S. v. § 3 EFZG dar. Es komme nicht darauf an, inwieweit der Zustand des Klägers einer Heilbehandlung bedurfte. Zudem wies der Kläger, was unstrittig war, zumindest zu Beginn Krankheitssymptome auf, wegen der er seinen behandelnden Arzt aufsuchte.
Diese Erkrankung führte auch zur Arbeitsunfähigkeit des Klägers, da er aufgrund der infolge seiner Erkrankung ergangenen Anordnung der Absonderung in häusliche Quarantäne die vertraglich geschuldete Tätigkeit bis einschließlich zum 12.1.2022 nicht ausüben konnte. Eine Beschäftigung des Klägers im Homeoffice war aufgrund seiner Tätigkeit unstreitig nicht möglich.
Als weitere Voraussetzung für den Anspruch auf Entgeltfortzahlung müsse, so das LAG weiter, die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich die alleinige Ursache für die Arbeitsverhinderung sein (Monokausalität). Der Arbeitgeber werde mit dem Entgelt ohne Gegenleistung nur belastet, wenn der Arbeitnehmer ohne Erkrankung gearbeitet hätte. Das sei dann nicht der Fall, wenn die Arbeit zumindest auch aus einem anderen Grund nicht geleistet worden sei. Allerdings könne in Fällen wie hier, wenn die behördlich angeordnete Quarantäne Folge einer Arbeitsunfähigkeit sei und nicht nur aufgrund eines Krankheitsverdachts ausgesprochen wurde, ein Arbeitnehmer von dem Arbeitgeber Entgeltfortzahlung verlangen; denn hier sei das gesetzliche Beschäftigungsverbot lediglich Ausfluss der Erkrankung, so dass ihm keine selbstständige Bedeutung zukomme.
Insoweit lag hier die erforderliche Monokausalität der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit für die Arbeitsverhinderung vor; denn die Quarantäneanordnung der Gemeinde war Folge der Corona-Erkrankung und der damit einhergehenden Arbeitsunfähigkeit. Das Hinzutreten der Verpflichtung zur Absonderung lasse nach Auffassung des LAG die Monokausalität nicht entfallen.
Den Kläger treffe auch kein Verschulden i. S. v. § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG. Dem stehe nicht entgegen, dass sich der Kläger trotz der öffentlichen Empfehlung einer Schutzimpfung und der bestehenden Impfmöglichkeiten nicht gegen das Corona-Virus impfen ließ. Denn es lasse sich nicht feststellen, dass das Unterlassen der empfohlenen Schutzimpfung für die Corona-Infektion und die Arbeitsunfähigkeit des Klägers ursächlich gewesen war, da zum Zeitpunkt der Corona-Infektion des Klägers mit sog. Impfdurchbrüchen und symptomatischen Corona-Infektionen auch bei vollständig geimpften Personen zu rechnen war.