Entscheidungsstichwort (Thema)

Öffentlicher Dienst. Auszubildende. Heilerziehungspfleger. Tarifauslegung

 

Orientierungssatz

  • Der persönliche Geltungsbereich des für den öffentlichen Dienst geltenden MTV Ausbildung vom 6. Dezember 1974 umfaßt grundsätzlich Auszubildende, die zu einem staatlich anerkannten Ausbildungsberuf ausgebildet werden.
  • Ausgenommen sind ua. “Schüler”. Dazu gehören nach der Protokollnotiz zB auch Schüler in der Krankenpflegehilfe und Krankenpflege, Schüler für den Beruf des Logopäden, des Audiometristen, des Orthoptisten.
  • Andere Berufsausbildungsverhältnisse werden dann erfaßt, wenn sie mit den von den Tarifvertragsparteien festgelegten Beispielen in Ausbildungsgang und Berufsziel vergleichbar sind. Das trifft für die Ausbildung zum Beruf des Heilerziehungspflegers zu.
 

Normenkette

BBiG § 3 Abs. 2, § 107; Manteltarifvertrag für Auszubildende vom 6. Dezember 1974 i.d.F. des Änderungs-TV Nr. 12 vom 5. März 1999 (MTV Ausbildung) § 1

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Urteil vom 06.12.2001; Aktenzeichen 11 Sa 1735/00)

ArbG Gießen (Urteil vom 31.05.2000; Aktenzeichen 6 Ca 325/99)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 6. Dezember 2001 – 11 Sa 1735/00 – aufgehoben.

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Gießen vom 31. Mai 2000 – 6 Ca 325/99 – abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Höhe des Urlaubsanspruchs der Klägerin für das Jahr 1999.

Die Parteien schlossen “auf der Grundlage des Berufsbildungsgesetzes (BBiG)” einen Ausbildungsvertrag. Danach “erfolgte” für die Zeit vom 1. September 1997 bis 31. August 2000 die fachpraktische Ausbildung der Klägerin zu dem Ausbildungsberuf einer staatlich geprüften Heilerziehungspflegerin im Betrieb der Beklagten und die fachtheoretische Ausbildung in der Fachschule für Heilerziehungspflege der L e.V., M. In § 4 Abs. 1 des Ausbildungsvertrags ist eine Vollzeitbeschäftigung im Umfang von 38,5 Wochenstunden vereinbart. Nach § 4 Abs. 5 des Ausbildungsvertrags wird die fachtheoretische Ausbildung pro Ausbildungsjahr in zwei zweiwöchigen Unterrichtsblöcken sowie in 26 Wochen auf kleine Unterrichtseinheiten zu je zwei Arbeitstagen aufgeteilt. § 5 enthält die vereinbarte monatliche Ausbildungsvergütung sowie die Übernahme der monatlichen Kosten für den schultheoretischen und für den berufsbegleitenden individuellen Ausbildungsteil. Nach § 6 des Ausbildungsvertrags hat die Klägerin Anspruch auf Erholungsurlaub nach dem Bundesurlaubsgesetz. Der Ausbildungsvertrag entspricht einem Muster des Schulträgers.

In dem zwischen der Klägerin und dem Schulträger geschlossenen Schulvertrag vom 21. April 1997 heißt es ua.:

“2. Grundlage dieses Schulvertrages ist der Ausbildungs-/Praktikumsvertrag mit dem Träger der Praxisstelle …

3. Die Ausbildungsinhalte sind durch die Lehrpläne, den Rahmenstundenplan des Hessischen Kultusministeriums vom 01.02.1989 (Aktenzeichen: IV B 2-231/38 –) und durch die Prüfungsordnung festgelegt. Umfang: 1700 Unterrichtsstunden in der Ausbildungszeit.

4. Die theoretische Ausbildung wird durch praktische Unterweisungen seitens des Schulträgers mit der Ausbildung in der Praxisstelle durch den Einsatz von Tutoren und Mentoren verzahnt.

5. Der theoretische Ausbildungsteil findet in Abstimmung mit dem Träger der Praxisstellen (durch gesonderte Kooperationsvereinbarung) außerhalb der hessischen Schulferienzeiten statt.

6. Der Wechsel des Trägers der Praxisstelle bedarf der Zustimmung durch den Schulträger.

10. Die monatlichen Kosten der Ausbildung belaufen sich auf:

a) Für den schultheoretischen Teil … DM

b) Für den individuellen und praxisbegleitenden Ausbildungsteil … DM

11. In einer Kooperationsvereinbarung zwischen dem Schulträger und dem Träger der praktischen Ausbildung ist festgehalten, daß der Träger … den monatlichen Kostenbeitrag trägt.”

Die Fachschulen für Heilerziehungspflege sind Fachschulen iSd. Hessischen Schulgesetzes. Deren Schulabschlüsse sind schulische Berufsabschlüsse (§ 42 Abs. 3 Satz 4 Hessisches Schulgesetz). Nach der Rahmen-Stundentafel des Hessischen Kultusministeriums unterteilt sich die Ausbildung in eine theoretische Ausbildung mit 1.700 Unterrichtsstunden und eine fachpraktische Ausbildung von mindestens 3.000 Zeitstunden. In den Rahmenrichtlinien für die fachpraktische Ausbildung der Heilerziehungspfleger/Heilerziehungspflegerinnen des hessischen Kultusministeriums heißt es ua.:

“Die fachpraktische Ausbildung ist nicht der einzige Lernort, an dem die Berufsfähigkeit des/der Heilerziehungspflegers/Heilerziehungspflegerin angebahnt und grundgelegt wird. Dieser Teil der Ausbildung ist jedoch besonders geeignet, die Auszubildenden anzuleiten und zu ermutigen, die Beratung durch die Fachschule, durch den Gruppenleiter und durch die Fachdienste in Anspruch zu nehmen. …

Die Gesamtverantwortung für die Ausbildung liegt bei der Fachschule; ihre Aufgabe ist es, durch Praxisbetreuung im Benehmen mit der jeweiligen Praxisstelle die fachpraktische Ausbildung durchzuführen und zu ergänzen. Dies geschieht, indem von der Fachschule bestimmte Aufgaben – unter Berücksichtigung des Ausbildungszieles – mit den für die Praxisanleitung in der jeweiligen Praxisstelle zuständigen Mitarbeitern koordiniert werden.”

In der Kooperationsvereinbarung zwischen dem Schulträger und der Beklagten ist ua. vereinbart, daß die Lehrkräfte des Schulträgers die Auszubildenden während des Ausbildungsgangs als Ratgeber in den Einrichtungen der Praxisstellen begleiten (mindestens zwei Besuche im Schuljahr). Der Schulträger und die Beklagte verpflichten sich zur kooperativen Zusammenarbeit. Eine Abstimmung der fachtheoretischen mit der fachpraktischen Ausbildung (Verzahnung der Ausbildung) erfolgt mindestens einmal im Schulhalbjahr.

Die Klägerin ist seit September 1998 Mitglied der ÖTV; die Beklagte ist Mitglied des Hessischen Arbeitgeberverbandes der Gemeinden und kommunalen Verbände. Im August 1998 wandte sich die Klägerin an die Beklagte und machte einen Anspruch auf Urlaubsgeld und auf 26 Tage Tarifurlaub geltend. Dem widersprach die Beklagte, weil die Klägerin nicht vom Geltungsbereich des Manteltarifvertrags für Auszubildende erfaßt werde.

In dem zwischen der Tarifgemeinschaft deutscher Länder und der Gewerkschaft ÖTV abgeschlossenen Manteltarifvertrag für Auszubildende vom 6. Dezember 1974 idF des Änderungstarifvertrags Nr. 12 vom 5. März 1999 (MTV Ausbildung) ist ua. vereinbart:

“§ 1

(1) Dieser Tarifvertrag gilt für Personen, die

a) in Verwaltungen und Betrieben, deren Angestellte unter den Geltungsbereich des Bundes-Angestelltentarifvertrages (BAT) fallen, als angestelltenrentenversicherungspflichtige Auszubildende,

b) …

in einem staatlich anerkannten oder als staatlich anerkannt geltenden Ausbildungsberuf ausgebildet werden.

(2) Dieser Tarifvertrag gilt nicht für

a) Schüler, Praktikanten, Volontäre sowie Personen, die für eine Ausbildung im Beamtenverhältnis vorbereitet werden …

b) Auszubildende, die in Ausbildungsberufen der Landwirtschaft, des Weinbaues oder der Forstwirtschaft ausgebildet werden, …

Protokollnotizen zu Absatz 2:

1. Zu den Schülern im Sinne des Buchstaben a) gehören z.B. auch Schüler in der Krankenpflegehilfe und in der Krankenpflege, Schüler für den Beruf des Logopäden, des Audiometristen, des Orthoptisten.

2. Abweichend von Buchstabe b) …”

Mit ihrer im Dezember 1999 erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, sie sei keine Schülerin iSv. § 1 Abs. 2a MTV Ausbildung und habe daher Anspruch auf die tarifvertraglichen Leistungen. Die Beklagte habe über die für das Urlaubsjahr 1999 gewährten 20 Arbeitstage hinaus nach § 14 MTV Ausbildung weitere sechs Tage Urlaub zu gewähren.

Die Klägerin hat zuletzt beantragt, die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin sechs Arbeitstage Erholungsurlaub für das Jahr 1999 nachzugewähren.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat die Anwendbarkeit des MTV Ausbildung verneint. Es hat die Beklagte zur ersatzweisen Nachgewährung verurteilt. Der Anspruch beruhe auf Art. III § 1 Tarifvertrag zu § 71 BAT betreffend Besitzstandswahrung vom 23. Februar 1961 iVm. § 4 Hessische Urlaubsverordnung und mit § 3 Abs. 2 BBiG. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen und zur Abweisung der Klage.

  • Die Klage ist zulässig. Die Klägerin verlangt von der Beklagten weitere sechs Urlaubstage für das Jahr 1999. Eine solche Klage ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats hinreichend bestimmt, ohne daß die Klägerin die zeitliche Lage des verlangten Urlaubs näher konkretisieren muß (vgl. Senat 14. Januar 1992 – 9 AZR 148/91 – AP BUrlG § 3 Nr. 5 = EzA BUrlG § 13 Nr. 52).
  • In der Sache ist die Klage unbegründet. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, der Klägerin für das Jahr 1999 weitere sechs Tage Urlaub zu gewähren.

    1. Ein Anspruch der Klägerin auf Urlaubsgewährung kommt, nachdem ein möglicher Urlaubsanspruch nach § 14 MTV Ausbildung am 30. April 2000 untergegangen ist, allein als Schadenersatz in Betracht. Voraussetzung dafür ist, daß sich die Beklagte zu dieser Zeit mit der Gewährung des Urlaubs in Verzug befunden hatte (st. Rspr. vgl. Senat 20. Juni 2000 – 9 AZR 309/99 – BAGE 95, 117). Ein solcher Ersatzanspruch nach § 286 Abs. 1, § 287 Satz 2, § 280 Abs. 1, § 249 Satz 1 BGB aF besteht hier nicht. Die Klägerin hat den im Ausbildungsvertrag vereinbarten Urlaub erhalten. Die Beklagte hat sie zur Erfüllung des Urlaubsanspruchs an 20 Ausbildungstagen/24 Werktagen von der Arbeit freigestellt. Damit ist der Urlaubsanspruch im Umfang des gesetzlichen Mindestanspruchs (§ 3 Abs. 1 BUrlG) nach § 362 BGB erloschen.

    2. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts läßt sich ein weitergehender Anspruch nicht aus § 14 MTV Ausbildung herleiten. Die Parteien sind zwar beide Mitglied der tarifvertragschließenden Parteien (§ 3 Abs. 1 TVG). Der Ausbildungsvertrag der Parteien unterliegt aber nicht dem tariflichen Geltungsbereich, so daß die Inhaltsnormen keine unmittelbare und zwingende Wirkung entfalten (§ 4 Abs. 1 TVG).

    a) Die Anforderungen des § 1 Abs. 1a MTV Ausbildung erfüllt die Klägerin. Sie wurde zu dem staatlich anerkannten Ausbildungsberuf der Heilerziehungspflegerin (BAnz. vom 25. Juli 2000 Nr. 137a – Stand 1. Oktober 1999 – S. 101, 109 Teil B II Nr. 20) ausgebildet. Heilerziehungspfleger unterliegen der Rentenversicherungspflicht für Angestellte. Zwischen den Parteien bestand auch ein Ausbildungsverhältnis.

    b) Der Anwendung des Tarifvertrags steht aber die Ausnahmevorschrift des § 1 Abs. 2 MTV Ausbildung entgegen. Die Klägerin war als Auszubildende zum Beruf der Heilerziehungspflegerin Schülerin iSd. Tarifvorschrift.

    aa) Nach § 1 Abs. 2 MTV Ausbildung gilt der Tarifvertrag nicht für “Schüler, Praktikanten, Volontäre”. Welche Auszubildenden als “Schüler” anzusehen sind, wird in der Tarifvorschrift selbst nicht näher bestimmt. Der Begriff wird insoweit als bekannt vorausgesetzt. Schüler ist danach, wer umgangssprachlich als solcher angesehen wird. Diese Aussage ist allerdings einzuschränken. Auszugehen ist davon, daß die Tarifvertragsparteien den Begriff “Schüler” nicht im Sinne des Schulrechts verstehen. Das ergibt sich schon daraus, daß ihnen dazu die Rechtsetzungsbefugnis fehlt. Sie können nur Rechtsnormen für Arbeitsverhältnisse und die ihnen gleichzustellenden Rechtsverhältnisse wie das Ausbildungsverhältnis und nicht für öffentlich-rechtliche Gewaltverhältnisse vereinbaren (vgl. BAG 19. Juni 1974 – 4 AZR 436/73 – BAGE 26, 198). Auch nach § 2 Abs. 1 BBiG gelten die Vorschriften für die Berufsausbildung nur, soweit sie nicht in berufsbildenden Schulen durchgeführt wird, die den Schulgesetzen der Länder unterstehen. In die Kompetenz der Länder wollten die Tarifvertragsparteien ersichtlich nicht eingreifen.

    bb) Die Geltung des BBiG für das hier zu beurteilende Ausbildungsverhältnis läßt keinen Schluß auf die Anwendung des MTV Ausbildung zu.

    Die Anwendungsbereiche der Regelwerke decken sich nicht. Die Tarifvertragsparteien setzen die Geltung des BBiG voraus, wie sich schon aus dem Regelungsgegenstand des Tarifvertrags “Berufsausbildung” ergibt. Deutlich wird dies insbesondere aus den in Buchst. b des § 1 Abs. 2 MTV Ausbildung bestimmten Ausnahmen. Die dort genannten Auszubildenden in Ausbildungsberufen der Land- und Forstwirtschaft und des Weinbaues unterfallen dem Geltungsbereich des BBiG. Dennoch werden sie ausdrücklich aus dem Geltungsbereich des Tarifvertrags herausgenommen. Unergiebig ist auch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Anwendungsbereich des BBiG. Sie stellt darauf ab, ob der praktische Ausbildungsteil den theoretischen Ausbildungsteil überwiegt (vgl. BAG 16. Dezember 1976 – 3 AZR 556/75 – BAGE 28, 269; 14. August 1985 – 5 AZR 413/84 –). Für die Auslegung des Tarifbegriffs “Schüler” kann es darauf nicht ankommen.

    cc) Die Tarifvertragsparteien haben die Merkmale, nach denen Auszubildende als “Schüler” anzusehen sind, selbst festgelegt. Dazu haben sie in der Protokollnotiz zu § 1 Abs. 2 MTV Ausbildung beispielhafte Konkretisierungen vereinbart. Danach gehören zu den “Schülern” im Sinne des Tarifvertrags Schüler in der Krankenpflegehilfe und in der Krankenpflege, Schüler für den Beruf des Logopäden, des Audiometristen, des Orthoptisten.

    Nach dem Wortlaut der Tarifnorm unterscheiden die Tarifvertragsparteien mithin nicht zwischen Ausbildungsabschnitten oder einer mehr theoretisch oder eher praktisch orientierten Ausbildung. Sie stellen vielmehr auf das Ausbildungsziel als solches, den angestrebten Beruf ab. Ob ein Auszubildender Schüler iSd. Tarifvertrags ist, beurteilt sich deshalb entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht nach dem Lernort “Betrieb” oder dem Ausbildungsteil “Praxis”. Maßgeblich ist vielmehr die Gesamtausbildung, die zu dem angestrebten Berufsziel führen soll. Das verkennt die Klägerin, wenn sie vorrangig auf den Inhalt des mit der Beklagten geschlossenen Ausbildungsvertrags abstellt. Vom Geltungsbereich des MTV Ausbildung sind nicht “Schulen” ausgenommen, sondern “Schüler”.

    Ein anderes Verständnis ist entgegen der Auffassung der Klägerin nicht für die Zeit vom 1. September 1997 bis 31. August 2000 wegen der “Besonderheiten” der hier gegebenen Vertragsgestaltung geboten. Richtig ist zwar, daß ihrer Berufsausbildung zwei Verträge zugrunde liegen und sie mit der Beklagten ausschließlich durch den die praktische Ausbildung betreffenden Ausbildungsvertrag verbunden ist. Die Tarifvertragsparteien stellen indessen nicht auf die Vertragsgestaltung ab, die der Berufsausbildung zugrunde liegt. Diese ist den Parteien überlassen. Die Ausbildung kann auf einem mit einem Schulträger geschlossenen “Schulvertrag” beruhen, in dem sich der Schulträger sowohl zur fachtheoretischen als auch zur praktischen Unterweisung verpflichtet (vgl. etwa BAG 7. März 1990 – 5 AZR 217/89 – BAGE 65, 34: Ausbildung zur Altenpflegerin). Die Ausbildung kann aber auch durch zwei Verträge – Schulvertrag und Praxisvertrag – mit zwei rechtlich selbständigen Ausbildungsträgern sichergestellt werden. Ob jemand als “Schüler” gilt und damit vom Anwendungsbereich des MTV Ausbildung ausgenommen wäre, hinge andernfalls von der Zufälligkeit ab, ob ein Schulträger über eigene Einrichtungen verfügt, in denen er die praktische Ausbildung durchführt. Daß die Tarifvertragsparteien eine derart ungleiche Behandlung von Auszubildenden bei im übrigen gleicher Ausbildungssituation gewollt haben, kann ihnen nicht unterstellt werden.

    dd) Die in der Protokollnotiz enthaltene Aufstellung ist nicht abschließend. Das zeigt die Eingangsformulierung “z.B.”. Die beispielhaft genannten Auszubildenden in der Krankenpflege, zum Beruf des Orthoptisten oder Logopäden sind danach zwingend Schüler iSd. Tarifvertrags. Mit diesen aufgeführten Beispielen sind Auszubildende zum Beruf des Heilerziehungspflegers nach Berufsfeld und Ausbildungsgang vergleichbar.

    (1) Alle genannten Berufe gehören zu den Heil- und Heilhilfsberufen, die in § 107 BBiG einer besonderen Regelung zugeführt sind. Zwar gelten die Bestimmungen des BBiG grundsätzlich auch für diese Berufe, soweit nicht ausdrücklich etwas anderes angeordnet ist (so zB für die Krankenpflege und Krankenpflegehilfe nach § 26 KrPflG). Heil- und Heilhilfsberufe zeichnen sich insoweit durch die Besonderheit aus, daß die Berufsausbildung weitgehend unmittelbar durch Bundesrecht oder durch Landesrecht geregelt ist und das BBiG nur eingreift, soweit es diese Regelungen unberührt läßt. § 107 Abs. 1 BBiG erfaßt dementsprechend die in der Protokollnotiz genannten Berufe Logopäde, Orthoptist, deren Ausbildung bundesrechtlich geregelt ist. Hierzu gehören nach Abs. 2 aber auch die mangels bundesrechtlicher Regelung zulässig landesrechtlich geregelte Ausbildung zum Heilerziehungspfleger (vgl. Gedon/Spiertz BBiG Stand Juni 2002 § 107 Rn. 6). Hieran haben ersichtlich die Tarifvertragsparteien angeknüpft. Auszubildende für medizinische Hilfsberufe und für Berufe des Sozial- und Erziehungswesens werden deshalb auch im Schrifttum vom Geltungsbereich des MTV Ausbildung ausgenommen (Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese BAT Stand März 2003 Mantel-TV Azubi § 1 Rn. 7). Dem entspricht die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, das für eine Schülerin mit dem Berufsziel Altenpflegerin zur Bestimmung der angemessenen Vergütung iSv. § 10 BBiG nicht auf den Vergütungstarifvertrag für Auszubildende, sondern auf den für Schüler in der Krankenpflege zurückgegriffen hat (BAG 7. März 1990 – 5 AZR 217/89 – BAGE 65, 34).

    (2) Bestätigt wird die Herausnahme der Auszubildenden zum Beruf Heilerziehungspfleger durch einen Vergleich der Ausbildungsgänge. Dabei kann allerdings nicht auf das Beispiel “Audiometrist” zurückgegriffen werden. Dieser Beruf ist weder staatlich anerkannt, noch ist er in den Blättern für Berufskunde erwähnt. Anderes gilt aber für die Berufe in der Krankenpflege, des Logopäden und des Orthoptisten. Deren Ausbildung fällt aus dem klassischen dualen System der Berufsausbildung heraus, das sich durch eine betriebliche und eine hiervon getrennte schulische Ausbildung auszeichnet. Demgegenüber besteht die Ausbildung zu den genannten Berufen in Lehrgängen und theoretischen Unterrichtseinheiten, die durch praktische Unterweisungen ergänzt wird. So erfolgt die Ausbildung in der Krankenpflege an “Krankenpflegeschulen”, die überwiegend einem Krankenhaus angegliedert sind. Gleiches gilt für Orthoptisten (Befunderhebung und Therapie von Sehstörungen). Ihre Ausbildung findet an Schulen für Orthoptisten statt, die häufig Augenkliniken zugeordnet sind. Die theoretische Ausbildung von Logopäden erfolgt an hierfür eingerichteten Lehranstalten.

    In allen Beispielsfällen handelt es sich um eine Ausbildung, die durch enge Verzahnung von theoretischer und praktischer Ausbildung gekennzeichnet ist. Dabei überwiegt der Praxisanteil. Die Ausbildung in der Krankenpflege umfaßt etwa 1.600 theoretische Stunden, die Praxisausbildung 3.000 Stunden. Logopäden, deren Aufgabe die Befunderhebung und Therapie von Kommunikationsstörungen ist, werden in mindestens 1.740 Theoriestunden und in der Praxis 2.100 Stunden ausgebildet. Vergleichbar werden Orthoptisten drei Jahre in Theorie und Praxis ausgebildet (vgl. jeweils Blätter zur Berufskunde: Krankenschwester/Krankenpfleger (Stand 1999), Logopäde/Logopädin (Stand 1993), Orthoptistin/Orthoptist (Stand 1999)).

    Die Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin weist ebenfalls diese Merkmale auf. Sie ist eine sozialpädagogisch-pflegerische Ausbildung mit Fachschulniveau. Sie qualifiziert zur ganzheitlichen Hilfe für Menschen mit Behinderung und vermittelt (heil)pädagogische und medizinisch-pflegerische Inhalte. Theorie und Praxis sind eng verzahnt. Das Erreichen des Ausbildungsziels wird durch die Zusammenarbeit zwischen den Ausbildungsstätten und Einrichtungen der Behindertenhilfe gewährleistet (vgl. Blätter zur Berufskunde Stand 1996 Heilerziehungspfleger/Heilerziehungspflegerin).

    Die Nachrangigkeit der praktischen Ausbildung wird durch die vom zuständigen Ministerium erlassenen Rahmen-Richtlinien bestätigt. Sie wird von der Fachschule angeleitet und begleitet. Die Gesamtverantwortung für die Ausbildung liegt bei der Fachschule; ihre Aufgabe ist es, durch Praxisbetreuung im Benehmen mit der jeweiligen Praxisstelle die fachpraktische Ausbildung durchzuführen und zu ergänzen. Dies geschieht, indem von der Fachschule bestimmte Aufgaben unter Berücksichtigung des Ausbildungszieles mit den für die Praxisanleitung in den jeweiligen Praxisstellen zuständigen Mitarbeitern koordiniert werden. Dementsprechend erfolgt die Anmeldung zur Prüfung durch die Fachschule und nicht etwa durch die Beklagte.

    Wenn die Klägerin demgegenüber meint, die Zusammenarbeit der Fachschule mit der Beklagten sei “nicht nennenswert”, so rechtfertigt das kein anderes Ergebnis. Für ihre Einordnung als “Schülerin” kommt es nicht auf die tatsächlich praktizierte Intensität der Zusammenarbeit an. Das Eingreifen der Ausnahmevorschrift bestimmt sich vielmehr objektiv nach dem Ausbildungsgang.

    3. Ein Anspruch der Klägerin läßt sich entgegen ihrer Auffassung auch nicht aus den landesrechtlichen Bestimmungen zum Erholungsurlaub für Angestellte im öffentlichen Dienst herleiten. Nach § 3 Buchst. f BAT gelten diese Bestimmungen nicht für Auszubildende. Die Vorschriften sind auch nicht über § 3 Abs. 2 BBiG anzuwenden, wie das Arbeitsgericht angenommen hat: Danach sind auf den schriftlich (§ 4 Abs. 1 BBiG) abzuschließenden Ausbildungsvertrag (§ 3 Abs. 1 BBiG) die für den Arbeitsvertrag geltenden Rechtsvorschriften und Rechtsgrundsätze anzuwenden, soweit sich aus seinem Wesen und Zweck und dem BBiG nichts anderes ergibt. Gemeint ist das staatliche Recht, damit auch das TVG, und die von Rechtsprechung und Schrifttum hierzu entwickelten allgemeinen Rechtssätze. Bestimmungen in Tarifverträgen als solche werden jedoch nicht erfaßt. Deren Anwendung bestimmt sich nach Tarifrecht. Mit § 3 Abs. 2 BBiG hat der Gesetzgeber lediglich klargestellt, daß das Berufsausbildungsverhältnis zwar kein Arbeitsverhältnis im üblichen Sinn ist, der Auszubildende aber denselben Schutz wie ein Arbeitnehmer beanspruchen kann.

  • Die Klägerin hat nach § 91 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
 

Unterschriften

Düwell, Zwanziger, Reinecke, Kranzusch, Heilmann

 

Fundstellen

NZA 2004, 287

ZTR 2004, 40

PersV 2004, 198

PflR 2004, 16

NJOZ 2004, 747

Tarif aktuell 2004, 12

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