Kollektivbeledigung von Polizisten

Das Zeigen der Buchstabenkombination „ACAB“ bei einem Fußballspiel ist nicht ohne weiteres strafbar. Eine Verurteilung wegen Beleidigung setzt voraus, dass sich die Äußerung auf eine hinreichend überschaubare und abgegrenzte Personengruppe bezieht.

Fall 1: Fußballfan trägt Hose mit Schriftzug „ACAB“

Bei einem Fußballspiel trug ein Besucher eine schwarze Hose, die im Gesäßbereich großflächig mit dem Schriftzug „ACAB“ („All cops are bastards“) bedruckt war. Nach dem Spiel verließ er das Stadion auf einem Weg, der an einigen dort eingesetzten Bereitschaftspolizisten vorbeiführte.

Fall 2: Fußballfans zeigen den Schriftzug „ACAB“ während eines Fußballspiels

Während eines Fußballspiels hielten Fußballfans verschiedene großflächige Banner hoch. Ein Transparent trug die Aufschrift „Stuttgart 21 - Polizeigewalt kann jeden treffen“, ein weiteres war mit der Aufschrift „BFE ABSCHAFFEN“ versehen, wobei „BFE“ für die Beweis- und Festnahmeeinheiten der Polizei steht. Der Beschwerdeführer der Verfassungsbeschwerde und vier weitere Personen trennten vier Buchstaben aus diesem Transparent heraus und hielten diese dann in der Formation „A C A B !“ hoch.

Die Fußballfans wurden in beiden Fällen wegen Beleidigung verurteilt. Mit ihren Verfassungsbeschwerden wenden sie sich gegen die Verurteilungen und rügen die Verletzung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit.

Entscheidung: Verurteilungen verletzen Meinungsfreiheit der Fußballfans

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die angegriffenen Entscheidungen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG verletzen.

Die Parole „ACAB“ bringt eine allgemeine Ablehnung der Polizei und ein Abgrenzungsbedürfnis gegenüber der staatlichen Ordnungsmacht zum Ausdruck. Es handelt sich um eine Meinungsäußerung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.

Äußerung muss sich auf überschaubaren und abgegrenzten Personenkreis beziehen

Die strafrechtlichen Verurteilungen der Beschwerdeführer greifen in dieses Grundrecht ein. Die Verurteilung wegen Beleidigung nach § 185 Strafgesetzbuch (StGB) setzt voraus, dass sich die Äußerung auf eine hinreichend überschaubare und abgegrenzte Personengruppe bezieht; ansonsten ist der Eingriff in die Meinungsfreiheit nicht gerechtfertigt.

Eine herabsetzende Äußerung, die weder bestimmte Personen benennt noch erkennbar auf bestimmte Personen bezogen ist, sondern ohne individuelle Aufschlüsselung ein Kollektiv erfasst, kann zwar unter bestimmten Umständen ein Angriff auf die persönliche Ehre der Mitglieder des Kollektivs sein. Je größer das Kollektiv ist, auf das sich die herabsetzende Äußerung bezieht, desto schwächer kann auch die persönliche Betroffenheit des einzelnen Mitglieds werden, weil es bei den Vorwürfen an große Kollektive meist nicht um das individuelle Fehlverhalten oder individuelle Merkmale der Mitglieder, sondern um den aus der Sicht des Sprechers bestehenden Unwert des Kollektivs und seiner sozialen Funktion sowie der damit verbundenen Verhaltensanforderungen an die Mitglieder geht. Dabei ist es verfassungsrechtlich nicht zulässig, eine auf Angehörige einer Gruppe im Allgemeinen bezogene Äußerung allein deswegen als auf eine hinreichend überschaubare Personengruppe bezogen zu behandeln, weil eine solche Gruppe eine Teilgruppe des nach der allgemeineren Gattung bezeichneten Personenkreises bildet.

Parole muss bewusst an bestimmte Personen adressiert sein

Diesen Vorgaben werden die angegriffenen Entscheidungen nicht gerecht. Es fehlt an hinreichenden Feststellungen zu den Umständen, die die Beurteilung tragen könnten, dass sich die Äußerungen jeweils auf eine hinreichend überschaubare und abgegrenzte Personengruppe beziehen. Nach den dargelegten Maßstäben reicht es nicht aus, dass die Polizeikräfte, die die Parole „ACAB“ wahrnehmen, eine Teilgruppe aller Polizistinnen und Polizisten bilden. Vielmehr bedarf es einer personalisierenden Adressierung dieser Parole, für die hier nichts ersichtlich ist. Das Wissen der Beschwerdeführer, dass Polizei im Stadion ist und die Parole wahrnehmen würde, reicht hierfür nach verfassungsrechtlichen Maßstäben nicht aus.

(Bundesverfassungsgericht, Beschluss v. 17. 5. 2016, 1 BvR 257/14 und 1 BvR 2150/14)

Pressemitteilung BVerfG
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