Gemeinde haftet auf Schadensersatz bei fehlendem Kita-Platz

Wenn eine Gemeinde keinen Kita-Platz anbietet, obwohl sie dazu verpflichtet ist, muss sie den betroffenen Eltern Schadensersatz zahlen. Droht den Kommunen nun eine Prozesslawine?

Die Klägerin wollte nach Ablauf der einjährigen Elternzeit ihre Vollzeit-Berufstätigkeit wieder aufnehmen. Unter Hinweis darauf meldete sie für ihr Kind wenige Monate nach der Geburt bei der beklagten Stadt Bedarf für einen Kinderbetreuungsplatz für die Zeit ab der Vollendung des ersten Lebensjahres an. Zum gewünschten Termin erhielt die Klägerin von der Beklagten keinen Betreuungsplatz nachgewiesen.
Für den Zeitraum zwischen der Vollendung des ersten Lebensjahres ihres Kindes und der späteren Beschaffung eines Betreuungsplatzes verlangt die Klägerin Ersatz des ihr entstandenen Verdienstausfalls (unter Anrechnung von Abzügen für anderweitige Zuwendungen und ersparte Kosten belaufen sich die Forderungen auf 7.332,93 Euro).

BGH: Gemeinde haftet auf Schadensersatz

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass eine Amtspflichtverletzung der beklagten Stadt vorliegt und ein Schadensersatzanspruch der Klägerin aus Amtshaftung (839 Abs. 1 Satz 1 BGB in Verbindung mit Artikel 34 Satz 1 GG) in Betracht kommt.
Eine Amtspflichtverletzung liegt bereits dann vor, wenn der zuständige Träger der öffentlichen Jugendhilfe einem gemäß § 24 Abs. 2 SGB VIII anspruchsberechtigten Kind trotz rechtzeitiger Anmeldung des Bedarfs keinen Betreuungsplatz zur Verfügung stellt. Die betreffende Amtspflicht ist nicht durch die vorhandene Kapazität begrenzt. Vielmehr ist der verantwortliche öffentliche Träger der Jugendhilfe gehalten, eine ausreichende Zahl von Betreuungsplätzen selbst zu schaffen oder durch geeignete Dritte - freie Träger der Jugendhilfe oder Tagespflegepersonen – bereitzustellen. Insoweit trifft ihn eine unbedingte Gewährleistungspflicht.

Verdienstausfallschäden von Haftungsanspruch umfasst

Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts bezweckt diese Amtspflicht auch den Schutz der Interessen der personensorgeberechtigten Eltern. In den Schutzbereich der Amtspflicht fallen dabei auch Verdienstausfallschäden, die Eltern dadurch erleiden, dass ihre Kinder entgegen § 24 Abs. 2 SGB VIII keinen Betreuungsplatz erhalten. Zwar steht der Anspruch auf einen Betreuungsplatz allein dem Kind selbst zu und nicht auch seinen Eltern. Die Einbeziehung der Eltern und ihres Erwerbsinteresses in den Schutzbereich des Amtspflicht ergibt sich aber aus der Regelungsabsicht des Gesetzgebers sowie dem Sinn und Zweck und der systematischen Stellung von § 24 Abs. 2 SGB VIII. Mit dem Kinderförderungsgesetz, insbesondere der Einführung des Anspruchs nach § 24 Abs. 2 SGB VIII, beabsichtigte der Gesetzgeber neben der Förderung des Kindeswohls auch die Entlastung der Eltern zu Gunsten der Aufnahme oder Weiterführung einer Erwerbstätigkeit. Es ging ihm - auch - um die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsleben und, damit verbunden, um die Schaffung von Anreizen für die Erfüllung von Kinderwünschen. Diese Regelungsabsicht hat auch im Gesetzestext ihren Niederschlag gefunden. Sie findet sich insbesondere in den Förderungsgrundsätzen des § 22 Abs. 2 SGB VIII bestätigt. Der Gesetzgeber hat hiermit zugleich der Erkenntnis Rechnung getragen, dass Kindes- und Elternwohl sich gegenseitig bedingen und ergänzen und zum gemeinsamen Wohl der Familie verbinden.

Verschulden der Gemeinde muss noch geklärt werden

Wegen noch ausstehender tatrichterlicher Feststellungen zum Verschulden der Bediensteten der Beklagten und zum Umfang des erstattungsfähigen Schadens hat der BGH die drei Verfahren nicht abschließend entschieden, sondern an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gemeinde kann sich nicht auf finanzielle Engpässe berufen

In diesem Zusammenhang hat er auf Folgendes hingewiesen: Wird der Betreuungsplatz nicht zur Verfügung gestellt, so besteht hinsichtlich des erforderlichen Verschuldens des Amtsträgers zugunsten des Geschädigten der Beweis des ersten Anscheins. Auf allgemeine finanzielle Engpässe kann die Beklagte sich zu ihrer Entlastung nicht mit Erfolg berufen, weil sie nach der gesetzgeberischen Entscheidung für eine ausreichende Anzahl an Betreuungsplätzen grundsätzlich uneingeschränkt - insbesondere: ohne "Kapazitätsvorbehalt" - einstehen muss.
(BGH, Urteile vom 20. 10.2016, III ZR 278/15, 302/15 und 303/15)

Pressemitteilung BGH
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