Warum Innovationen in Behörden oft nicht funktionieren
Infragesteller gesucht
Das Onlinezugangsgesetz macht Druck. Und da die Behörden die Digitalisierung jahrelang verschlafen haben, suchen sie jetzt schnelle Lösungen. Intern hat das neue Arbeiten unter dem Stichwort New Work zudem die Innovationskraft der Beschäftigten in den Fokus gerückt. Letztlich merkt man gerade in der aktuellen Krise, dass man auf Flexibilität und Kreativität angewiesen ist.
Innovationsfähigkeit geht nur mit radikaler Veränderung der Kultur. Das braucht viel Mut und Durchhaltevermögen. Die Vorbildfunktion ist in jedem Fall unentbehrlich.
So kommt es, dass sie plötzlich gefragt sind: die Ideengeber, Infragesteller, Innovatoren und Querdenker – auch wenn der letzte Begriff aktuell in Verruf gekommen ist. Aber kann das im Behördenumfeld überhaupt funktionieren?
Das Bewährte als Auswahlkriterium
Werden neue Mitarbeiter eingestellt, erfolgt die Selektion nicht danach, wer das Handeln der Behörde maximal in Frage stellt und neue Ideen entwickelt. Vielmehr geht es darum, wer „am besten zu uns passt“. In der Personalauswahl werden Fragen und Assessment Center gestellt, die das aktuelle Handeln der Fachbereiche widerspiegeln. Erfolg hat, wer den üblichen Lösungsweg präsentiert und Erfahrung mit den alten Strukturen hat. Auswahlkriterium ist die Fähigkeit, sich anzupassen.
Angepasstheit als Erfolgsgarant für Karriere
Innovationsfähigkeit hat nicht nur im Recruiting keinen Platz. Kreative, agile und innovative Persönlichkeiten werden auch danach aussortiert. Bereits in Einarbeitung und Ausbildung lernen die jungen Menschen, wie der Hase so läuft. „Haben wir immer schon so gemacht“ ist die regelmäßige Antwort auf das Hinterfragen der jahrzehntealten Prozesse. Man lernt sehr schnell, dass Widerspruch eher schädlich für die Karriere ist. Also passt man sich an: Klappe halten und durch! Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass die Angepassten leichter aufsteigen.
Wer nichts macht, macht keine Fehler
Innovation bedeutet, auszuprobieren. Auszuprobieren heißt, Fehler zu machen. Was wir aus der Kindererziehung kennen, wird in Behörden ignoriert. Die stets ausgiebige Suche nach den Verursachern für Fehler zeigt es deutlich: „Fehlerkultur“ bedeutet immer noch Bestrafung und leider nicht Lernen. Dann doch lieber gar nichts machen, nichts entscheiden oder ausprobieren. Und schon klappt es mit der Karriere.
„Fehlerkultur“ bedeutet immer noch zu oft Bestrafung und leider nicht Lernen.
Genau diese falsch verstandene, aber meist immer noch gelebte „Fehlerkultur“ ist auch der Grund, warum der Innovator, den man für viel Geld von der Konkurrenz abgeworben hat, „um den Laden endlich voran zu bringen“, gnadenlos scheitert. Diesen Umstand kann man seit einigen Jahren wunderbar in der Automobilbranche beobachten. Die Person war aber nur deshalb erfolgreich, weil die Unternehmenskultur es zugelassen hat. In der neuen Organisation ist sie aber ein Fremdkörper, der abgestoßen wird. Auch hatten die Kollegen einen wesentlichen Anteil am Erfolg. Wenn, dann sollten statt Individuen ganze Teams rekrutiert werden.
Und täglich grüßt das Murmeltier
Die Angepassten steigen also schnell auf und treffen dadurch Personalentscheidungen. Auf drei sich gegenseitig verstärkende Effekte möchte ich an dieser Stelle hinweisen:
Erstens bedeutet der Ähnlichkeitseffekt in der Personalauswahl, dass je ähnlicher der Kandidat dem Entscheider ist – in Qualifikation, Optik, Gestik aber vor allem auch Denkweise - desto eher entsteht Sympathie. Die anderen fallen durchs Raster.
Das Peter-Prinzip beschreibt zweitens die Beförderung von Mitarbeiter in Hierarchien, bis diese auf Posten sitzen, die sie überfordern. Ohne fachliches Expertentum beginnen diese, ihre Macht nach unten zu verteidigen. Ideen sind da potentiell gefährlich, Innovatoren suspekt. So hat der Querdenker keine Chance.
Kreative, Innovatoren und Hinterfrager stören! Ihre ständigen Ideen belasten Führung und Kollegen. Immer alles in Frage zu stellen, nervt. Also findet sich immer ein Grund, es nicht zu tun.
Dunning und Kruger schildern in dem nach ihnen benannten Effekt der Selbstüberschätzung, dass weniger kompetente Menschen dazu neigen, sich selbst zu überschätzen und außerdem die Kompetenz und Intelligenz anderer zu verkennen.
Gute Idee, machen wir auch nicht
Kreative, Innovatoren und Hinterfrager stören! Ihre ständigen Ideen belasten Führung und Kollegen. Immer alles in Frage zu stellen, nervt. Also findet sich immer ein Grund, es nicht zu tun. Und wenn der fehlt, dann ist es was Rechtliches. Wird im stark hierarchischen System einer Behörde dann noch die Entscheidung der Führung in Frage gestellt, ist die Karriere recht überschaubar.
Und überhaupt: Die meisten Innovationsprojekte sind doch dann besonders erfolgreich, wenn sie am Ende irgendwie den alten Zustand wieder herstellen. Das zeigt sich recht deutlich in der Nutzlosigkeit der weit verbreiteten Ideenbörse. Denn wer bewertet, ob die Idee eine echte Innovation ist oder nicht? Entweder die Fachabteilung, deren Arbeit man mit der Einreichung eigentlich komplett streichen wollte. Oder hohe Entscheidungsgremien. Es ist gut gepflegte Unternehmenskultur, dass niemand die Frage, ob diese Personen die Reichweite des Vorschlages überhaupt verstehen, laut stellt.
Innovation kann nicht per Ansage verordnet werden.
Selbst wenn dann doch mal eine Idee in die Umsetzung geht, erfolgt dies in der klassischen Hierarchie. Zeit, Raum, Macht und auch Budget fehlen, um Dinge zu verändern.
Wer soll hier bitte Ideen haben?
Der Kreis schließt sich. Es ist utopisch, dass die Personen, die jahrelang zur Angepasstheit erzogen wurden, plötzlich innovativ denken und handeln. Vielmehr haben Behörden hoch effektive und stabile System geschaffen, um den Status Quo zu erhalten.
Innovation kann daher nicht per Ansage verordnet werden. Es stellt sich die Frage, wie es besser geht?
Innovation Labs
Setzen Sie doch bei der Besetzung offener Stellen oder Projektleitungen mal bewusst auf den kulturellen „Missfit“, um Dinge zu verändern. Innovationsfähigkeit lässt sich in Auswahlverfahren auch messen. Intelligenz ist da im Übrigen ein valider Indikator. Noten und Berufserfahrung eher nicht.
Fachlichkeit muss wieder den deutlichen Vorrang vor Hierarchie und Bedenkenträgertum bekommen. Innovationen sollten von Experten bewertet und realisiert werden. Stellen Sie diese doch einem viel breiterem Publikum zur Diskussion, statt einsame und damit zwangsweise beschränkte Entscheidungen zu treffen.
Fachlichkeit muss wieder den deutlichen Vorrang vor Hierarchie und Bedenkenträgertum bekommen.
Ideen werden dann am besten außerhalb der Hierarchie umgesetzt. Innovation Labs, in denen sich die Andersdenker ihr Team selber zusammenstellen, arbeiten mit 20 oder auch 50 Prozent ihrer Arbeitszeit am Veränderungsprojekt.
Prototyping
Dann gilt es, schnell ins Arbeiten zu kommen. Prototyping bedeutet, in wenigen Monaten eine Lösung zu erarbeiten und zu testen, statt aufwändige Projekte, natürlich unter Beteiligung auch wirklich aller nur denkbaren Stakeholdern, zu installieren. Schnelles Scheitern muss dafür Teil der Lernkurve sein. Ein Lesson Learned stellt die Erkenntnisse der gesamten Organisation zur Verfügung.
Prototyping bedeutet, in wenigen Monaten eine Lösung zu erarbeiten und zu testen, statt aufwändige Projekte, natürlich unter Beteiligung auch wirklich aller nur denkbaren Stakeholdern, zu installieren.
Haben Sie schon mal daran gedacht, in Ihrem Beurteilungssystem oder bei der Leistungsorientierten Bezahlung Innovationsfähigkeit aufzunehmen? Die Führungskraft, aus deren Bereich nicht ein oder zwei Ideen im Jahr hervorgehen, bekommt dann eben keine Bestnote.
Innovationsfähigkeit geht nur mit radikaler Veränderung der Kultur. Das braucht viel Mut und Durchhaltevermögen. Die Vorbildfunktion ist in jedem Fall unentbehrlich.
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