„Jeder ist ersetzbar“ Teil 1:  Wenn „Sicherheit“ zum Problem wird

Das Thema Fachkräftemangel scheint in den Behördenleitungen angekommen. Es wird verstärkt Personalmarketing betrieben. Umso erstaunlicher, dass nichts getan wird, um Fluktuation zu verhindern. Die groteske Situation, verzweifelt unten immer mehr neues Personal nachzuschieben, während oben die Mannschaft meutert, zeugt von falscher Einstellung. Der Tenor lautet: „Dann geht doch, Jeder ist ersetzbar!“ Das ist nicht nur gefährlich, sondern schlicht falsch.

Nur weg!

Bei den meisten meiner Kunden aus dem Public Sector höre ich es. In meinem Netzwerk wird es massiv diskutiert. Aber vor allem persönlich erlebe ich verstärkt, dass gerade die Jüngeren gehen. Einige treten erst gar nicht an. Das Phänomen „Ghosting“ geht um und meint das schweigende Nichtantreten einer Stelle trotz Ausbildungs- oder Arbeitsvertrag. Aber auch danach: Nachwuchskräfte brechen duale Studiengänge ab, kündigen Ausbildungsverträge oder verlassen nach ihrem Abschluss recht bald die Organisation.

Vor einigen Jahren haben die Absolventen wenigstens abgewartet, bis sie ihre Rückzahlungsverpflichtungen abgearbeitet hatten. Aber auch das ist vorbei. Lieber ein paar Tausender zahlen, als noch einen Tag länger bleiben. Auch das Beamtenverhältnis ist kein Grund zum Bleiben mehr und wird erstaunlich oft aufgegeben. Nicht nur in der Pflege erinnert mich diese Situation an eine Flucht.

Keine Perspektive

Was ist da los? Wenn ich oben davon schreibe, dass „abgewartet“ und „abgearbeitet“ wird, dann trifft das die Situation in vielen Organisationen ganz gut. Die jungen Menschen haben oft wenig Mitspracherecht in Bezug auf ihren Posten nach Studium oder Ausbildung. Aus Sicht der Personalabteilung ist das verständlich. Schließlich sollen auch weniger attraktive Arbeitsplätze besetzt werden. Für die Nachwuchskräfte ist es nicht selten der Supergau: Eine Tätigkeit, die man nicht machen mag, kein Spaß an der Arbeit, schlechte Führung. Auch ein guter Kollegenzusammenhalt reißt es dann nicht mehr raus.

Das alles wäre aushaltbar, wenn Alternativen absehbar wären. In der Corona-Krise sind aber in den meisten Behörden Stellenausschreibungen rar. Mit Ausnahme der Kontaktverfolgung herrscht nicht selten Einstellungsstopp. Aber auch Karriere in Richtung verantwortungsvoller und innovativer Positionen ist im öffentlichen Dienst meist erst nach etlichen Jahren möglich. Schauen Sie doch mal, wer da in Ihrer Organisation die spannenden Innovationsprojekte, Digitalisierung, New Work oder das Personalmarketing leitet! Das sind nicht die Kollegen frisch von Uni oder Berufsschule. Für die bleiben die klassischen Einstiegsjobs, Dateneingabe und „einfache Sachbearbeitung“: keine Verantwortung, keine Herausforderung, boreout.

Wenn „Sicherheit“ toxisch wird

Als Folge macht sich das Gefühl der Perspektivlosigkeit breit und führt zum Blick auf die Stellenanzeigen der Konkurrenz. Gerade in der Wirtschaft ist Karriere und die damit zusammenhängende berufliche Veränderung alle ein, spätestens zwei Jahre üblich. Stellen gibt es viele und besser bezahlt wird meist auch.

Meine Warnungen der letzten Jahre scheinen sich zu bewahrheiten: Sicherheit im Sinne einer bis ins Rentenalter verlässlichen Berufstätigkeit bei ein und derselben Organisation ist bei jüngeren Generationen immer weniger ein Attraktivitätsfaktor. Im Gegenteil: Dieses althergebrachte Verständnis von beruflicher Sicherheit verändert sich in ein Synonym für Starrheit, Hierarchie, Langeweile und beruflichen Stillstand.

Der im Personalmarketing kommunizierte (und auch funktionierende) Vorteil „Sicherheit“ wird für die Generation Y und Alpha in der Realität des Alltages recht bald zum Grund, auszubrechen. Diese Entwicklung wird bislang in den Personalabteilungen der Behörden überhaupt nicht berücksichtigt. Es fehlt schlicht an Alternativen zur Botschaft „Bei uns ist es sicher“.

Unverständnis statt Veränderung

Das liegt auch daran, dass die Notwendigkeit nicht gesehen wird. „Wie kann man diese Chance nur ausschlagen?“ Führungskräfte, Personaler und Behördenleiter reagieren in der Regel mit Unverständnis, wenn junge Menschen Ausbildung und Beruf in der Behörde hinschmeißen. Wenn in der Wirtschaft Mitarbeiter ein besseres, externes Angebot thematisieren, ist es dort üblich, im Gespräch Optionen für einen Verbleib auszuloten. Nicht so im öffentlichen Dienst: Selbst die Frage nach einem Zwischenzeugnis, was bei jedem Personaler sofort die Alarmglocken zum Schrillen bringen sollte, wird nur mit einem „Das ist unüblich bei uns“ quittiert. Etwas ändern? Die aktuelle berufliche Situation verbessern? Fehlanzeige.

Abwanderungstendenzen werden nicht nur nicht wahrgenommen, sondern ihnen wird mit einer gewissen Arroganz begegnet. Dabei ist die Einstellung „Dann geh doch, jeder ist ersetzbar!“ höchst ineffektiv, denn Zeit, Kosten und Engagement für Recruiting, Ausbildung und Einarbeitung werden zum Fenster rausgeworfen. Erworbene Fähigkeiten gehen verloren, das verbleibende Personal muss noch mehr schuften und wird das auch nur noch begrenzt mitmachen. Den hier entstehenden, sich selbst beschleunigenden Kreislauf erlebt aktuell als erstes die Pflege.

Wenn die Konkurrenz anklopft, reicht Sicherheit nicht mehr

Alles Einzelfälle? Mitnichten! Je nach Studie wird von 50 bis 80 Prozent der Beschäftigten gesprochen, die wechselbereit sind und gerne woanders arbeiten würden. Ja, aktiv haben sich diese Menschen deshalb noch lange nicht wegbeworben. Was viele Personaler aber vergessen: Wenn andere Behörden und die Wirtschaft im Fachkräftemangel anfangen, der großen Masse der Wechselbereiten aktiv ein besseres Angebot zu machen – sei es mehr Verantwortung, Selbstverwirklichung, Geld oder die bessere Unternehmenskultur – dann wechselt es sich sehr leicht. Ich prognostiziere, dass das Aktive Sourcing, also das Abwerben durch Wirtschaft und innerhalb des öffentlichen Dienstes, massiv zunehmen wird. Die großen Beratungsunternehmen entdecken erst jetzt so langsam das dort schlummernde Potential.

Noch wird mir – meist von Personalern des öffentlichen Dienstes - entgegengehalten, dass das massive Abwandern in die Wirtschaft tatsächlich noch nicht eingesetzt hat. Das ist richtig, denn solch ein Wechsel in die Privatwirtschaft kommt nach einigen Jahren Public Sektor - dank Unkündbarkeit und Pension - einem wirtschaftlichen Selbstmord gleich. Aber all das trifft eben nicht auf die Jüngeren zu! Die gehen daher als erstes und tun dies heute bereits. Tendenz stark steigend. In manchen Organisationen sind nach wenigen Jahren bis zu 80 Prozent der Jahrgänge weg. Angesichts der Demografie in den Organisationen im Grunde nicht weniger als eine Katastrophe.

Zweitens Argument, dass wir uns keine Sorgen machen brauchen, sind die Ausbildungen im Public Sektor, für die es kein Pendant in der Wirtschaft gibt. Allerdings erkennen die jungen Menschen zunehmend, dass eine solche Berufswahl eine Sackgasse ist. Darum gehen dort die Bewerbungen seit Jahren zurück. Ganz abgesehen davon, dass nach diesen Berufen auch kein Schüler googelt, weil er sie noch nie gehört hat.


Aber wenn niemand mehr da ist?

Die hier skizzierte Haltung „Jeder ist ersetzbar“ ist nicht nur ineffektiv und gefährlich, sondern schlicht falsch. In Blogs, Zeitschriften, unzähligen Studien und seit einigen Monaten auch breit in der Presse heißt es immer wieder: Der öffentliche Dienst hat bereits jetzt massiven Fachkräftemangel. Und längst fehlen nicht nur Fachkräfte und Akademiker. Gerade auch in den einfachen Diensten fehlt Personal flächendeckend. Das spürt man bei Sicherheit, Reinigung, Catering, Logistik und Handwerk, aber eben auch bei der Kontaktverfolgung. Selbst klassische Aushilfsstellen für Studierende bleiben unbesetzt, weil es an der Kasse der Discounter deutlich mehr Geld gibt. Die Situation, dass schlicht kein Ersatz mehr da ist, ist Realität!

Es ist also nicht fünf vor zwölf, sondern schon halb zwei. Maßnahmen, um das Abwandern zu verhindert, sind gefragt. Welche das sind, berichte ich im zweiten Teil.

Schlagworte zum Thema:  Öffentlicher Dienst, Mitarbeiterbindung