1 Leitsatz

Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer kann ihre Räum- und Streupflicht für öffentlich zugängliche Wege auf einen Hausmeister delegieren, sodass bei einer Verletzung der Streupflicht der Hausmeister haftet. Nach einer Delegation der Räum- und Streupflicht verbleibt der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer eine Überwachungs- und Kontrollpflicht. Bei der Übertragung des Räum- und Streudienstes auf einen professionellen Hausmeisterdienst darf sie sich im Allgemeinen auf eine Erfüllung der Pflichten verlassen, und muss nicht ohne Anlass alle Einzelheiten der Tätigkeit des Hausmeisterdienstes kontrollieren.

2 Normenkette

§ 9a Abs. 2 WEG; § 823 Abs. 1 BGB

3 Das Problem

Am 24.1. gegen 15:00 Uhr benutzt K als Fußgängerin die Kirchplatzpassage in der Stadt E. Sie stürzt dort auf Schnee- oder Eisglätte. Im Bereich der Unfallstelle steht die Kirchplatzpassage im gemeinschaftlichen Eigentum der Wohnungseigentümer der Wohnungseigentumsanlage Z. In dem Bereich ist der geteerte Weg auch für Kraftfahrzeuge benutzbar und dient gleichzeitig als Zufahrt zur Tiefgarage. Mit einer Satzung aus dem Jahr 1989 hat die Stadt E die Räum- und Streupflicht für öffentlich zugängliche Wege, zu denen auch die Kirchplatzpassage und die von K benutzte Zufahrt zählen, den Straßenanliegern auferlegt. Streitig ist, ob die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer B, die K auf Schadensersatz verklagt hat, für etwaige Mängel bei der Entfernung von Eis und Schnee haftet. Denn B hat 1997 sämtliche üblichen Hausmeisterleistungen dem Streithelfer S übertragen, der einen Hausmeisterdienst unterhält. Die Aufgaben und Verpflichtungen des S sind in einem schriftlichen Hausmeister-Vertrag im Einzelnen geregelt. Im Abschnitt "Winterdienst" in diesem Vertrag ist zu den Aufgaben des S u. a. festgehalten: "Schnee- und Eisräumen in notwendigem Umfang auf den unter Benützung stehenden Verkehrsflächen. Schnee- und Eisräumung auf öffentlichen Gehwegen, soweit der Hauseigentümer im Rahmen der gemeindlichen Verordnung zur Räumung verpflichtet ist (gemäß Ortspolizeiverordnung). Streudienst auf Verkehrsflächen zur Vermeidung von Schnee- und Eisglätte".

4 Die Entscheidung

Nach Ansicht des OLG steht K gegen B kein Anspruch gem. § 823 Abs. 1 BGB wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht zu! Denn B habe die einen Grundstückseigentümer treffende Räum- und Streupflicht wirksam auf S delegiert. In der Rechtsprechung zu § 823 Abs. 1 BGB sei es anerkannt, dass Verkehrssicherungspflichten auf einen Dritten übertragen werden können. Erforderlich sei eine klare Absprache, welche die Sicherung der Gefahrenquellen zuverlässig garantiert. Aus der Absprache müsse sich ergeben, dass der Dritte die Verantwortung für die zunächst den Übertragenden treffenden Verkehrssicherungspflichten in vollem Umfang übernehme. Eine solche Übertragung der Räum- und Streupflichten auf S ergebe sich aus dem Hausmeister-Vertrag.

Eine Haftung des Grundstückseigentümers komme allerdings dann in Betracht, wenn Überwachungs- und Kontrollpflichten verletzt seien. Eine solche Pflichtverletzung der B lasse sich jedoch nicht feststellen. Denn der Inhalt von Überwachungs- und Kontrollpflichten bei der Übertragung von Verkehrssicherungspflichten auf einen Dritten richte sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls. Es komme insbesondere darauf an, welche Einwirkungs- und Kontrollmöglichkeiten bestünden. Bei der Übertragung von Verkehrssicherungspflichten auf ein Fachunternehmen dürfe sich der Übertragende im Allgemeinen auf deren Erfüllung verlassen und müsse nicht ohne konkreten Anhalt alle Einzelheiten kontrollieren. Der Verwalter habe daher den S nicht ständig kontrollieren müssen. Der Verwalter habe darauf vertrauen können, dass ihm die Wohnungseigentümer mögliche Unzulänglichkeiten des S mitteilen würden.

Hinweis

  1. Welche Stelle in einer Wohnungseigentumsanlage verpflichtet ist, die Verkehrssicherungspflichten wahrzunehmen, war bis zum Inkrafttreten des WEMoG im Wohnungseigentumsrecht nicht geklärt. Seit dem 1.12.2020 kann es hingegen keinen Zweifel mehr geben, dass es nach § 9a Abs. 2 WEG allein eine Pflicht der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer ist, die Verkehrssicherungspflicht wahrzunehmen.
  2. Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer handelt durch ihre Organe. Ist ein Verwalter bestellt, ist es seine Aufgabe, die Durchführung der Pflicht durch die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer sicherzustellen. Dies kann er dadurch tun, dass er durch Informationen, die Einholung von Angeboten und die Aufnahme eines Tagesordnungspunktes die Wohnungseigentümer dazu motiviert, nach § 19 Abs. 1 WEG einen Beschluss darüber zu fassen, welches Unternehmen zu welchen Konditionen die Verkehrssicherungspflichten wahrnehmen soll. Andererseits ist der Verwalter nach § 27 Abs. 1 Nr. 1 WEG aber auch befugt, ohne Beschluss der Wohnungseigentümer solche Maßnahmen zu treffen, die untergeordnete Bedeutung haben und mit denen keine erheblichen Verbindlichkeiten für die Wohnungseigentümer verbunden sind. Ob ihm dies erlaubt, einen Vertrag über die Wahrnehmung der Verkehrssicherungspflic...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt VerwalterPraxis. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge