Leitsatz (amtlich)
Auch nach der Reform des Rechtsmittelrechts hat das Berufungsgericht die erstinstanzliche Schmerzensgeldbemessung auf der Grundlage der nach §§ 513, 529 ZPO maßgeblichen Tatsachen in vollem Umfang darauf zu überprüfen, ob sie überzeugt.
Ist dies nicht der Fall, so darf und muss es nach eigenem Ermessen einen eigenen, dem Einzelfall angemessenen Schmerzensgeldbetrag finden.
Verfahrensgang
LG Erfurt (Entscheidung vom 09.03.2006; Aktenzeichen 10 O 512/02) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 09.03.2006, Az. 4 U 318/06, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin weitere 40.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.04.2002 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtstreits tragen die Beklagten.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagten dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung
oder Hinterlegung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 40.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Klägerin verlangt von den Beklagten - weiteres - Schmerzensgeld wegen eines Verkehrsunfalls.
Wegen des Tatbestandes wird zunächst Bezug genommen auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).
Die Klägerin hat beantragt, die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an sie ein angemessenes Schmerzensgeld für die Zeit bis zur letzten mündlichen Verhandlung nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen. Die Beklagten haben Klageabweisung beantragt.
Das Landgericht Erfurt hat durch Urteil vom 09.03.2006 die Beklagten verurteilt, an die Klägerin weitere 40.000,00 EUR für den Zeitraum bis zum 22.12.2005 nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 02.04.2002 als Gesamtschuldner zu zahlen.
Die Beklagten haben gegen dieses ihnen am 10.03.2006 zugestellte Urteil mit einem bei dem Berufungsgericht am 07.04.2006 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt. Diese haben sie mit einem am 10.05.2006 eingegangenen Schriftsatz begründet.
Mit der Berufung rügen sie im Wesentlichen, die Befristung sei unzulässig und das Schmerzensgeld zu hoch.
Die Beklagten beantragen,
das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 09.03.2006 abzuändern und die Klage abzuweisen;
hilfsweise
das Urteil des Landgerichts Erfurt aufzuheben und an das Erstgericht zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründung der Beklagten vom 10.05.2006 (Bd. II Bl. 258 ff d.A.) und auf die Berufungserwiderung der Klägerin vom 31.05.2006 (Bd. II Bl. 270 ff d.A.).
II.
Die Berufung der Beklagten ist zulässig; sie ist statthaft (§ 511 ZPO) und auch im Übrigen in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden, insbesondere ist sie fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 517, 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO).
Die Berufung ist aber - abgesehen von der Rüge, dass das Landgericht in den Tenor die Befristung "für den Zeitraum bis zum 22.12.1995" (die letzte mündliche Verhandlung) aufgenommen hat - unbegründet.
Die Klägerin hat gegen die Beklagten einen Anspruch aus § 847 BGB a.F. auf ein weiteres Schmerzensgeld im erstinstanzlich tenoriertem Umfang.
Auch nach der Reform des Rechtsmittelrechts hat das Berufungsgericht die erstinstanzliche Schmerzensgeldbemessung auf der Grundlage der nach § 529 ZPO maßgeblichen Tatsachen gemäß §§ 513 Abs. 1, 546 ZPO in vollem Umfang darauf zu überprüfen, ob sie überzeugt. Hält das Berufungsgericht sie für zwar vertretbar, letztlich aber bei Berücksichtigung aller Gesichtspunkte nicht für sachlich überzeugend, so darf und muss es nach eigenem Ermessen einen eigenen, dem Einzelfall angemessenen Schmerzensgeldbetrag finden. Das Berufungsgericht darf es nicht dabei belassen zu prüfen, ob die Bemessung Rechtsfehler enthält, insbesondere ob das Gericht sich mit allen maßgeblichen Umständen ausreichend auseinandergesetzt und um eine angemessene Beziehung der Entschädigung zu Art und Dauer der Verletzungen bemüht hat (BGH, Urteil vom 28.03.2006, Az. VI ZR 46/05 = NJW 2006, 1589-1592).
Die Schmerzensgeldbemessung des Landgerichts überzeugt.
Die Höhe des dem Geschädigten zustehenden Schmerzensgeldes ist aufgrund einer ganzheitlichen Betrachtung der den Schadensfall prägenden Umstände unter Einbeziehung der absehbaren künftigen Entwicklung des Schadensbildes zu bemessen. Dabei steht die mit der Verletzung verbundene Lebensbeeinträchtigung im Verhältnis zu den anderen zu berücksichtigenden Umständen stets an der Spitze. Denn Heftigkeit und Dauer der Schmerzen und Leiden bilden das ausschlaggebende Moment für den angerichteten immateriellen Schaden. Im übrigen ...