Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Harmlosigkeitsgrenze beim HWS-Syndrom

 

Leitsatz (amtlich)

1. Es gibt keine sog. "Harmlosigkeitsgrenze", unterhalb derer Beschleunigungsverletzungen der HWS nach einem Auffahrunfall ausgeschlossen werden können.

2. Zum Beweismaßstab und den Beweismitteln für das Vorliegen eines "HWS-Syndroms".

3. Bemessung des Schadensersatzes bei unfallbedingter, auf Prädisposition beruhender endgültiger Fehlverarbeitung eines Unfallgeschehens.

 

Normenkette

BGB §§ 823, 847 a.F.; StVG a.F. § 7; ZPO § 286 f., § 287

 

Verfahrensgang

LG Flensburg (Urteil vom 21.06.2001; Aktenzeichen 3 O 70/00)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das am 21.6.2001 verkündete Urteil des Einzelrichters der 3. Zivilkammer des LG Flensburg teilweise geändert:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 8.268,54 EUR nebst 4 % Zinsen p.a. seit dem 19.6.2000 sowie weitere 6.391,15 EUR (Schmerzensgeld) nebst 4 % Zinsen p.a. seit dem 17.9.2002 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger 50 % seines zukünftigen materiellen und immateriellen Schadens aufgrund des Verkehrsunfalls vom 13.2.1997 in A. zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen, die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen werden gegeneinander aufgehoben.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Den Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch den Kläger gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

 

Gründe

Der Kläger nimmt die Beklagten gesamtschuldnerisch auf materiellen und immateriellen Schadensersatz sowie umfassende Feststellung aufgrund eines Verkehrsunfalls vom 13.2.1997 gegen 18.30 Uhr in A. in Anspruch.

Der Kläger hielt zum Unfallzeitpunkt mit seinem Pkw vor einer Ampelanlage, die auf Rot umgesprungen war, an, der Beklagte zu 1) fuhr mit seinem seinerzeit bei der Beklagten zu 2) gegen Haftpflichtschäden versicherten Pkw auf das Fahrzeug des Klägers auf.

Der Kläger hat behauptet und behauptet weiterhin in erster Linie, er habe durch den Aufprall ein "HWS-Beschleunigungstrauma" erlitten. Infolge des Unfalles sei er - der Kläger war - frühzeitig verrentet worden; unter den Unfallfolgen, namentlich ständigen Kopfschmerz, der teilweise in die Arme ausstrahle, Schwindel insb. bei Drehungen des Kopfes und permanenten Schlafstörungen leide er nach wie vor seit dem Unfall.

Hilfsweise behauptet der Kläger zweitinstanzlich, dass - sollte eine Verletzung der Halswirbelsäule durch den Unfall nicht bewiesen sein - er bei dem Unfall einen psychischen Schaden erlitten habe, der die von ihm geklagten Beschwerden verursacht habe.

Die Beklagten haben bestritten und bestreiten weiterhin, dass der Kläger durch den Unfall eine Verletzung der Halswirbelsäule erlitten habe, ebenso wenig einen psychischen Primärschaden. Die von ihm geltend gemachten Beschwerden seien unfallunabhängig aufgetreten, bedingt durch die Persönlichkeitsstruktur des Klägers. Möglich sei auch, dass der Kläger schlechthin simuliere.

Das LG hat die auf Zahlung von 32.343,71 DM (16.537,08 EUR) Verdienstausfall, mindestens 25.000 DM (12.782,30 EUR) Schmerzensgeld und umfassende Feststellung gerichtete Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, nach dem unfallanalytischen Gutachten des Sachverständigen B. sei von einer Geschwindigkeitsänderung von allenfalls 5,2 km/h des klägerischen Fahrzeuges durch den Auffahrunfall auszugehen. Eine solche Geschwindigkeitsänderung sei im sog. "Harmlosigkeitsbereich" angesiedelt, zu Verletzungen der Halswirbelsäule könne sie nicht führen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes sowie wegen der tatsächlichen Feststellungen wird auf das angefochtene Urteil nebst darin enthaltener Verweisungen Bezug genommen.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger seine erstinstanzlichen Anträge - erweitert um die Geltendmachung von Rechtshängigkeitszinsen auf das beantragte Schmerzensgeld - unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens weiter; die Beklagten tragen auf Zurückweisung der Berufung an. Gegenüber dem Zinsanspruch auf das Schmerzensgeld haben sie die Einrede der Verjährung erhoben.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im zweiten Rechtszug wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Der Senat hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschlüssen vom 22.9.2003 (Bl. 253 d.A.), 23.9.2004 (Bl. 306/307 d.A.) und 18.5.2006 (Bl. 412 d.A.). Wegen des Inhalts der Beweisaufnahme wird auf das interdisziplinäre Gutachten der Sachverständigen C und D vom 26.5.2004 (AT Bd. II), das nervenärztliche Gutachten des Sachverständigen ...

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