Entscheidungsstichwort (Thema)

Auswirkungen der Insolvenz einer Gesellschaft auf den laufenden Rechtsstreit

 

Verfahrensgang

LG Ulm (Beschluss vom 30.09.2003; Aktenzeichen 2 O 103/02)

 

Tenor

Der Beschluss des LG Ulm vom 30.9.2003 wird aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird an das LG Ulm zurückverwiesen.

 

Gründe

I. Zwischen den ursprünglichen Parteien strebte ein Mietrechtsstreit. Während des Verfahrens wurde über das Vermögen der dortigen Klägerin (einer KG) am 1.10.2002 die Insolvenz eröffnet. Am 9.1.2003 beantragte die Beklagte, dem Insolvenzverwalter eine Frist zur Aufnahme des Rechtsstreits zu setzen. Am 12.2.2002 lehnte der Insolvenzverwalter die Aufnahme des Rechtsstreits ab. Am 11.7.2003 erklärte die Beklagte den Rechtsstreit für erledigt.

Das LG Ulm wertete die Nichtaufnahme des Rechtsstreits durch den Involvenzverwalter als Verzicht des Insolvenzverwalters auf den geltend gemachten Anspruch und ging von einer (analogen) Anwendung des § 91a ZPO aus.

Hiergegen wendet sich der Kläger als Insolvenzverwalter mit der sofortigen Beschwerde und rügt, dass die Voraussetzungen des § 91a ZPO nicht vorlagen. Er erklärte, dass die Geschäftsführer der insolventen KG den Rechtsstreit aufnehmen möchten.

II. Die sofortige Beschwerde ist zulässig und begründet.

Die Voraussetzungen des § 91a ZPO lagen nicht vor. Der Rechtsstreit hat sich durch die Erklärung des Insolvenzverwalters nicht erledigt und ist deshalb fortzusetzen, wenn die Klägerin oder der Beklagte dies beantragen, § 85 Abs. 2 InsO.

Wie im Falle einer Insolvenz einer Gesellschaft in einem laufenden Rechtsstreit zu verfahren ist, ist höchst umstritten. Einigkeit besteht lediglich insoweit, dass § 85 Abs. 2 InsO nicht zwischen juristischen Personen und natürlichen Personen unterscheidet. Obwohl die Problematik des Gesellschafts-Insolvenzverfahrens bekannt war, hat der Gesetzgeber auf eine ausdrückliche Erklärung in § 85 Abs. 2 InsO verzichtet, was darauf schließen lässt, dass er sich gegen eine Unterscheidung zwischen Privatinsolvenz und Gesellschaftsinsolvenz entschieden hat (so insb. Schumacher in MünchKomm/InsO, § 85 Rz. 26 ff. m.zahlr.N.; Pape/Uhlenbruck, InsO, Rz. 587; Breutigam/Blersch/Goetsch, § 85 InsO Rz. 9). Daher ist auch im Insolvenzverfahren über eine Gesellschaft eine Freigabe möglich, mit der Folge, dass der Rechtsstreit vom Gemeinschuldner – hier der Gesellschaft – fortgesetzt werden kann. Diese Aufnahme steht einer vollständigen Liquidation der Gesellschaft trotzdem nicht entgegen (Breutigam/Blersch/Goetsch, § 85 InsO Rz. 9). Außerdem fällt im Falle eines Obsiegens während des Insolvenzverfahrens die erstrittene Summe gem. § 35 InsO in die Insolvenzmasse (Schumacher in MünchKomm/InsO, § 85 Rz. 28; a.A. Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl., Rz. 56; Pape/Uhlenbruck, InsO, Rz. 573).

Im Übrigen hat es der Insolvenzverwalter in der Hand, das Insolvenzverfahren so lange nicht abzuschließen, bis der von der Gemeinschuldnerin geführte Rechtsstreit abgeschlossen ist, um die Regelung des § 35 InsO eingreifen zu lassen.

Die Gegenmeinung (Uhlenbruck, InsO, § 85 Rz. 56 m.w.N.) verneint eine Freigabe, da Gesellschaften kein insolvenzfreies Vermögen haben könnten. Dies folge aus dem Grundsatz der Vollliquidation als Zweck des Insolvenzverfahrens (Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsO Rz. 374). Die Folge sei, dass die Freigabeerklärung die Ablehnung der Prozessaufnahme sei, wodurch sich der Prozess erledigt habe (so Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl., Rz. 56; i.E. auch Kübler/Prütting, InsO, § 85 Rz. 69; Haarmeyer/Wutze/Fürster, InsO, Rz. 374).

Damit aber wird der Erklärung eines Insolvenzverwalters eine Wirkung beigelegt, die er, wie der vorliegende Fall zeigt, nicht will. Dem Insolvenzverwalter wird eine Regelung nach § 91a ZPO aufgezwungen, obwohl er eine entspr. Erledigungserklärung nicht abgegeben hat und nicht abgeben wollte. Außerdem wird eventuell die Insolvenzmasse mit Kosten belastet (durch den Beschluss nach § 91a ZPO), die der Insolvenzverwalter gerade vermeiden will.

Im Falle der Fortsetzung des Rechtsstreits hingegen fällt das Kostenrisiko nicht der Insolvenzmasse zur Last, vielmehr muss die insolvente Klägerin aus Drittmitteln den Aktivprozess bestreiten. Im Falle des Verlustes des Prozesses durch die insolvente Klägerin steht der Prozessgegner nicht schlechter da als im Prozess mit einem insolventen Privatgläubiger, der eine freigegebene Forderung einklagt. Außerdem wird auch hier die Insolvenzmasse nicht belastet.

Der Beschluss des LG Ulm war daher aufzuheben und die Sache an das LG zurückzuverweisen (Zöller, ZPO, 23. Aufl., Rz. 50 a.E.).

Über die Kosten des Beschwerdeverfahrens entscheidet das LG nach den §§ 91 ff. ZPO (Zöller, § 97 Rz. 7).

 

Fundstellen

Haufe-Index 1112557

OLGR-KS 2004, 89

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