Leitsatz (amtlich)

Ein Durchgangsarzt, der die besondere Heilbehandlung anordnet und selbst übernimmt, haftet auch dann persönlich nach zivilrechtlichen Grundsätzen, wenn das Unterlassen einer sachgerechten Behandlung auf der fehlerhaften Auswertung einer Röntgenaufnahme beruht, die vor seiner Entscheidung über die Anordnung der besonderen Heilbehandlung erfolgt ist.

 

Verfahrensgang

LG Osnabrück (Urteil vom 23.12.2009; Aktenzeichen 2 O 193/09)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Beklagten zu 2) wird das am 23.12.2009 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des LG Osnabrück geändert.

Die Klage gegen den Beklagten zu 2) wird abgewiesen.

2. Die Berufung des Beklagten zu 3) wird zurückgewiesen.

3. Die Gerichtskosten erster Instanz tragen die Klägerin zu 13/18 und der Beklagte zu 3) zu 5/18. Die Klägerin trägt auch die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) und 2) sowie zu 1/6 diejenigen des Beklagten zu 3). Der Beklagte zu 3) trägt 5/18 der außergerichtlichen Kosten der Klägerin und der Nebenintervenientin. Im Übrigen trägt jeder seine außergerichtlichen Kosten selbst.

Die Gerichtskosten der Berufungsinstanz tragen die Klägerin und der Beklagte zu 3) je zur Hälfte. Die Klägerin hat die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 2) zu tragen. Der Beklagte zu 3) hat die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Klägerin und der Nebenintervenientin zu tragen. Im Übrigen trägt jeder seine außergerichtlichen Kosten selbst.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Die Klägerin verlangt Schmerzensgeld und Feststellung der Einstandspflicht für zukünftige Schäden wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung durch den Beklagten zu 3).

Die am 23.12.2000 geborene Klägerin stürzte am 8.6.2007 im Kindergarten beim Sprung von der Schaukel und verletzte sich am rechten Arm. Wegen des Verdachts einer Unterarmfraktur wurde sie mit dem Rettungswagen in das Krankenhaus der Beklagten zu 1) eingeliefert. Es wurde auf Veranlassung der Ärztin Dr. K. eine Röntgenaufnahme gefertigt. Der Beklagte zu 3) als Durchgangsarzt untersuchte die Klägerin und wertete die Röntgenaufnahme aus. Die Erstdiagnose laut Durchgangsarztbericht lautete "Prellung rechter Unterarm". Unter Röntgenergebnis wurde notiert: "Kein Hinweis auf knöcherne Verletzung". Der Beklagte zu 3) ordnete die ambulante besondere Heilbehandlung an, die er selbst übernahm. Wegen starker Schmerzen veranlasste er das Anlegen einer dorsalen Gipsschiene und ordnete die erneute Vorstellung am nächsten Tag an. Es erfolgten weitere Vorstellungen in der chirurgischen Ambulanz der Beklagten zu 1). Erst am 19.6.2007 wurde bei der Klägerin nach weiteren Röntgenaufnahmen eine Radiusköpfchenluxation diagnostiziert, woraufhin sie in das Marienhospital in Osnabrück überwiesen wurde. Der Versuch die Radiusköpfchenluxation geschlossen zu reponieren (einzurenken) misslang aufgrund des Zeitablaufes. Die Klägerin wurde daraufhin operiert. Aufgrund einer Re-Luxation war eine zweite Operation erforderlich. Anlässlich eines weiteren Eingriffs am 16.11.2007 wurde sodann der eingebrachte Fixateur entfernt.

Unstreitig hat der Beklagte zu 3) bei Auswertung der Röntgenaufnahmen am Unfalltag die Radiusköpfchenluxation fehlerhaft übersehen. Es wäre bereits am 8.6.2007 eine geschlossene Reposition erforderlich gewesen, die nach den in 2. Instanz ausdrücklich zugestanden Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen mit einem Wahrscheinlichkeitsgrad von weit mehr als 90 % erfolgreich gewesen wäre. Ein grober Behandlungsfehler liegt nicht vor.

Die Klägerin hat der L. N. den Streit verkündet und diese ist dem Rechtsstreit auf Seiten der Klägerin beigetreten.

Die Klägerin und die Nebenintervenientin haben gemeint, der Beklagte zu 3) sei hier nicht allein in seiner öffentlich rechtlichen Funktion als Durchgangsarzt tätig gewesen, sondern die Heilbehandlung sei privatrechtlich zu beurteilen. Dies gelte auch, wenn sich ein Fehler bei der Diagnose in der anschließenden Heilbehandlung fortsetze. Die öffentlich rechtliche Tätigkeit des Beklagten zu 3) beschränke sich auf die Entscheidung, ob eine allgemeine oder eine besondere Heilbehandlung durchgeführt werde. Für seinen Behandlungsfehler müssten daher auch die Beklagte zu 1) als Krankenhausträger und der Beklagte zu 2) als Chefarzt der chirurgischen Abteilung einstehen. Die Klägerin hat ein Schmerzensgeld von 10.000 EUR für angemessen gehalten.

Die Klägerin hat beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen an sie ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 5.6.2008,

2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr sämtliche weiteren zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzten, welche dieser aus der fehlerhaften Behandlung entstanden sind und/oder noch entstehen werden.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie haben die Auffassung vertreten, die Tätigkeit des Beklagten zu 3) sei öffentlich rechtlich zu beurteilen. Daran ändere auch die Tatsac...

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