Leitsatz (amtlich)

Die Justizvollzugsanstalt trägt im Amtshaftungsprozess die Beweislast dafür, dass sie den Häftling bei einer begründeten Beschwerde über menschenunwürdige Haftbedingungen sofort verlegt hätte. Ein Prozesskostenhilfeantrag kann nicht unter Verweis auf § 839 Abs. 3 BGB zurückgewiesen werden, wenn über einen entsprechenden Vortrag der Behörde Beweis erhoben werden müsste.

 

Verfahrensgang

LG Augsburg (Beschluss vom 05.04.2006; Aktenzeichen 1 O 6072/05)

LG Augsburg (Beschluss vom 16.03.2006; Aktenzeichen 1 O 6072/05)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 3.4.2006 werden die Beschlüsse des LG Augsburg vom 16.3.2006 und 5.4.2006 abgeändert.

Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung für den ersten Rechtszug für einen Schadenersatzanspruch von 1.500 EUR zzgl. Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit gewährt.

Dem Antragsteller wird Rechtsanwalt B. beigeordnet.

Die weitergehende sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.

 

Gründe

1. Der Antragsteller macht wegen der Unterbringung während seiner Strafhaft ab dem 5.12.2002 in der Justizvollzuganstalt L. und deren Außenstelle R. einen Schmerzensgeldanspruch geltend, den er auf 100 EUR täglich und insgesamt 25.100 EUR beziffert. Er bringt substantiiert vor, er sei in überbelegten, mit einer offenen WC-Anlage versehenen, teilweise auch nicht hinreichend heizbaren, von Ungeziefer und Schimmel befallenen Zellen untergebracht worden, und bietet hierfür Beweis an.

Unstreitig hat der Antragsteller während seiner Haftzeit keine Verlegung in eine Einzelzelle beantragt.

Das LG hat die Gewährung der beantragten Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 16.3.2006 (Bl. 15/16 d.A.) mit der Begründung abgelehnt, der Antragsteller habe es vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen, den behaupteten Schaden durch den Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden.

Der Antragsteller hat seine sofortige Beschwerde vom 3.4.2006 im Wesentlichen damit begründet, dass die Beweislast dafür, dass ein Rechtsmittel zu einer Verlegung geführt hätte, den Antragsgegner treffe. Außerdem sei ein Rechtsmittel nicht zumutbar gewesen.

Das LG hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen (Beschluss vom 5.4.2006).

Der Antragsgegner hat im Beschwerdeverfahren vorgebracht, die Justizvollzugsanstalt L. sei zwar mit dem Problem der Überbelegung konfrontiert. Dem Antrag eines Gefangenen, der sich in gemeinschaftlicher Unterbringung befinde und dies ablehne, auf Verlegung in eine Einzelzelle werde aber sofort stattgegeben, ohne dass ein gerichtlicher Rechtsbehelf notwendig sei.

2. Die zulässige sofortige Beschwerde ist zum Teil begründet. Die Klage hat bezogen auf 30 Tage Haftzeit hinreichende Erfolgsaussicht i.S.v. § 114 ZPO.

Es muss über Vorbringen des Antragsgegners Beweis erhoben werden, was im Rahmen von § 118 Abs. 2 S. 3 ZPO nicht möglich ist. Das LG hat sich zwar zu Recht auf § 839 Abs. 3 BGB gestützt. Nach der Rechtsprechung des BGH hat jedoch der Antragsgegner die Beweislast dafür, dass der Antragsteller auf einen Antrag hin sofort verlegt worden wäre. Da davon auszugehen ist, dass jedenfalls die Strafvollstreckungskammer dem Antrag stattgegeben hätte, beschränkt sich der Zeitraum, für den eine Entschädigung in Betracht kommt, auf einen Monat. Der Senat geht davon aus, dass die Strafvollstreckungskammer innerhalb dieses Zeitraums ihre Entscheidung gefällt hätte.

Eine Schadensausgleich von 50 EUR täglich hält der Senat für ausreichend.

a) Da der Antragsteller für die Behauptung seiner menschenunwürdigen Unterbringung substantiiert Beweis angeboten hat, muss dies im Prozesskostenhilfeverfahren unterstellt werden. Flächenangaben und Belegungszahlen, möglicherweise auch der Schädlings- und Schimmelbefall scheinen sogar unstreitig zu sein.

Ohne Beweiserhebung kann der Anspruch nur verneint werden, falls der Antragsteller gegen seine Unterbringung vorwerfbar nicht mit Rechtsmitteln vorgegangen und sein weiterer Aufenthalt in einer menschenunwürdigen Haftsituation auf dieses Unterlassen zurückzuführen ist. Dies ist zwar für den überwiegenden, nicht jedoch für den gesamten Zeitraum der Fall.

b) § 839 Abs. 3 BGB ist anwendbar.

aa) Die Empfindlichkeit gegen Haftbedingungen ist sehr unterschiedlich, wie den Mitgliedern des Senats aus ihrer auch strafrechtlichen Berufspraxis bekannt ist. Bei dem von der Antragstellerseite diskutierten Entschädigungsbetrag von 100 EUR je Tag gäbe es mit Sicherheit eine beträchtliche Anzahl von Häftlingen, die sich nicht gegen die doppelte Belegung einer Einmannzelle oder den Aufenthalt in einer Zelle ohne getrenntes WC wehren würden, wenn sie dafür nach Haftende einen finanziellen Ausgleich erhielten. Gerade der vorliegende Fall belegt daher exemplarisch den Sinn des § 839 Abs. 3 BGB, der, wie der Antragsgegner zu Recht ausführt, ein "dulde und liquidiere" ausschließt.

Es ist einem Gefangenen in einem Rechtsstaat zuzumuten, gegen ihm menschenunwürdig erscheinende Zustände in der Haft Rechtsmittel zu ergreifen.

bb) § 839 Abs. 3 ...

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