Entscheidungsstichwort (Thema)

Schadensersatz für die Anlage in Lehmann-Zertifikate

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zum Vorliegen von Rückvergütungen (Kick-backs) beim Vertrieb von Lehmann-Zertifikaten durch eine Sparkasse

2. Zur Aufklärungspflicht über das Totalausfall- und Emittentenrisiko

3. Zur Beweislast bei der Frage, ob Produktprospekte übergeben wurden

 

Normenkette

BGB § 280 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Gießen (Urteil vom 03.11.2009; Aktenzeichen 3 O 149/09)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des LG Gießen vom 3.11.2009 abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch die Beklagte gegen Sicherheitsleitung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Der Kläger verlangt aus eigenem und aus von seiner Ehefrau abgetretenem Recht von der beklagten Sparkasse Schadensersatz wegen angeblich fehlerhafter Anlageberatung im Zusammenhang mit einer Geldanlage über 35.000 EUR in ...-Zertifikate der Lehman Brothers Bank Zug um Zug gegen Rückübertragung der erworbenen Zertifikate.

Die Ehefrau des Klägers, die Zeugin Dr. Z1, führte am 8.1.2007 in ... mit einem Mitarbeiter der Beklagten, dem Zeugen Z2, ein Beratungsgespräch über eine Geldanlage. Aufgrund dieses Gesprächs kaufte der Kläger zusammen mit seiner Ehefrau 35 Stück des ...-Zertifikates ... der Lehman Brothers Bank zum Preis von je 1.000 EUR. Daneben erwarben sie - was nicht Gegenstand dieses Rechtsstreits ist - weitere 15 Zertifikate im Namen und mit Wirkung für ihre Tochter. Die Beklagte erhielt für den Verkauf der Zertifikate von der Emittentin eine Provision i.H.v. 4,5 % der Anlagesumme. Diese Provision war nicht Gegenstand des Beratungsgesprächs vom 8.1.2007. Der Kläger und seine Ehefrau haben über die Beklagte keine Ausgabeaufschläge oder sonstige Verwaltungsgebühren an die Emittentin gezahlt.

Wegen des Sachverhalts im Weiteren, des streitigen Vortrags der Parteien in erster Instanz sowie der von dem LG erhobenen Beweise wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils bzw. das Sitzungsprotokoll vom 8.9.2009 (Bl. 120 ff. d.A.) verwiesen. Zu ergänzen ist:

Ob die Klägerseite die streitgegenständlichen Zertifikate unmittelbar im Anschluss an das Beratungsgespräch vom 8.1.2007 in ... orderte - so der Kläger - oder erst am folgenden Tag telefonisch - so die Beklagte - ist streitig.

Die Lehman Brothers Holdings Inc. stellte am 15.9.2008 gemäß Kapitel 11 des United States Bankruptcy Code einen Insolvenzantrag. Bis dahin war die Bonität der Gesellschaft von den führenden US-Ratingagenturen mit einem Rating von "A+" ausgewiesen worden.

Mit Urteil vom 3.11.2009 hat das LG der Klage - bis auf einen geringen Teil der Zinsen - stattgegeben. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 157 ff. d.A.) verwiesen.

Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht am 4.12.2009 eingelegte sowie am 10.2.2010 begründete Berufung der Beklagten.

Die Beklagte trägt vor:

Das angefochtene Urteil gehe zu Unrecht von einer Pflichtverletzung wegen einer angeblich fehlenden Belehrung über die der Beklagten zufließenden Provisionen i.H.v. 4,5 % aus. Grundsätzlich bestehe keine Aufklärungspflicht über Vertriebsprovisionen bei Zertifikaten ohne Ausgabeaufschlag. Die sog. "Kick-back"-Entscheidungen des BGH seien nicht anwendbar. Da das streitgegenständliche Zertifikat weder über Ausgabeaufschläge noch über Verwaltungsgebühren verfüge, handele es sich bei der an die Beklagte geflossenen Provision nicht um aufklärungspflichtige Rückvergütungen.

Weil die von der Rechtsprechung statuierte Grenze von 15 % nicht erreicht sei, sei die Provision auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Pflicht zur Offenbarung einer überhöhten Vertriebsprovision aufklärungspflichtig.

Selbst wenn eine Aufklärungspflicht jedoch bestanden hätte, sei diese von der Beklagten erfüllt worden. Die Klägerseite sei verschiedentlich über mögliche Rückvergütungen an die Beklagte informiert worden, nämlich im März 2006 durch die "Basisinformationen über Vermögensanlagen in Wertpapieren", die MiFID-Broschüre (gemeint sind die "Kundeninformationen zum Wertpapiergeschäft") und die Produktinformationen im Flyer. Dass die Höhe der Vertriebsprovision im Flyer nicht ausgeführt sei, ändere nichts an dem Umstand, dass auf die Provisionsgewährung hingewiesen worden sei.

Außerdem wäre eine eventuelle Pflichtverletzung nicht kausal für den eingetretenen Schaden. Die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens könne hier nicht greifen, da für die Klägerseite nicht nur eine Möglichkeit richtigen Verhaltens bestanden habe. Es hätte der Klägerseite oblegen zu beweisen, dass sie die Zertifikate bei Hinweis auf die Provision nicht erworben hätte. Die Klägerseite habe jedoch der Frage der Rückvergütu...

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