Leitsatz (amtlich)

Zum Einfluss einer sitzungspolizeilichen Anordnung i.S.v. § 176 GVG (hier: sog. Pixelungsgebot) auf die Interessenabwägung im Rahmen des abgestuften Schutzkonzeptes der §§ 22 f. KUG anlässlich einer Bildberichterstattung über die Urteilsverkündung in einem Strafverfahren (hier: wegen eines geplanten Terroranschlages) Der Umstand, dass ein den Angeklagten identifizierendes Foto anlässlich der Urteilsverkündung unter Verstoß gegen eine sitzungspolizeiliche Anordnung gefertigt bzw. verbreitet worden ist, führt nicht ohne weiteres zur Unzulässigkeit der Veröffentlichung des Fotos.

Das Vertrauen eines Angeklagten in die Wirksamkeit und Beachtung einer sitzungspolizeilichen Anordnung ist schutzwürdig und im Rahmen der Prüfung des § 23 Abs. 2 KUG als berechtigtes Interesse des Abgebildeten zu berücksichtigen. Der Umstand, dass eine sitzungspolizeiliche Anordnung ggf. verfassungswidrig und damit rechtswidrig ist, führt nicht zu deren Unbeachtlichkeit.

Im Rahmen der Abwägung ist gleichermaßen zu berücksichtigen, dass ein unter Verstoß gegen eine sitzungspolizeiliche Verfügung verbreitetes Foto auf rechtswidrige Art und Weise erlangt worden ist.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Urteil vom 05.02.2009; Aktenzeichen 27 O 982/08)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 07.06.2011; Aktenzeichen VI ZR 108/10)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des LG Berlin vom 5.2.2009 (27. O.982/08) im Tenor zu 2) abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von der Inanspruchnahme der Rechtsanwälte E., Dr. König und Dr. S. i.H.v. 1.922,56 EUR zzgl. Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf 899,40 EUR seit dem 11.8.2008 und auf weitere 1.023,16 EUR seit dem 12.9.2008 freizustellen.

Im Übrigen wird der Klageantrag zu 2) abgewiesen.

Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, hinsichtlich des Tenors zu 1) des Urteils des LG Berlin vom 5.2.2009 (27. O.982/08) gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 20.000 EUR. Im Übrigen darf die Beklagte die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

I. Der Kläger nimmt die Beklagte auf Unterlassung der Verbreitung eines Fotos sowie auf Freistellung von Rechtsanwaltskosten in Anspruch.

Der Kläger sowie dessen Mitangeklagten sind in einem der bedeutendsten Terroristenverfahren der letzten Jahre wegen eines in Berlin geplanten Anschlages des Terrornetzwerks A.-I. auf den damaligen irakischen Ministerpräsident A. vom OLG Stuttgart am 15.7.2008 wegen versuchten Mordes sowie wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung zu Haftstrafen zwischen siebeneinhalb und zehn Jahren verurteilt worden. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Das streitgegenständliche Foto, auf dem das Gesicht des Klägers deutlich zu erkennen ist, zeigt den Kläger kurz vor der Urteilsverkündung im Gerichtssaal des OLG Stuttgart.

Während des Strafverfahrens waren Fotoaufnahmen durch sitzungspolizeiliche Verfügungen der zuständigen Vorsitzenden Richterin des 5. Strafsenates des OLG Stuttgart eingeschränkt. Danach waren auf Fotos, die die Angeklagten abbildeten, deren Gesichter durch geeignete Maßnahmen (Pixeln) unkenntlich zu machen.

Die Beklagte veröffentlichte das von der Agentur R. erworbene Foto im Rahmen einer Berichterstattung über die Urteilsverkündung am 16.7.2008 in der Bildzeitung unter der Überschrift "Irak-Terroristen müssen für Attentatsplan ins Gefängnis" ohne das Gesicht des Klägers unkenntlich zu machen.

Wegen des Sachverhalts wird im Übrigen auf den Tatbestand des angegriffenen Urteils Bezug genommen.

Das LG Berlin hat die Beklagte antragsgemäß zur Unterlassung sowie im Wesentlichen auch zur Freistellung der begehrten Rechtsanwaltskosten verurteilt. Der Beklagten ist das Urteil des LG vom 26.2.2009 am 3.3.2009 zugestellt worden. Mit ihrer am 6.3.2009 eingelegten und am 30.4.2009 begründeten Berufung verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Die Beklagte behauptet, die sitzungspolizeilichen Verfügungen des OLG Stuttgart seien ihr nicht bekannt gewesen.

Sie meint, das LG habe seine Entscheidung nicht ausschließlich auf die sitzungspolizeilichen Verfügungen des OLG Stuttgart stützen dürfen. Diese Argumentation des LG führe dazu, dass keine Abwägung der beiderseitigen Interessen mehr stattfindet. In der Systematik der §§ 22 f. KUG könnten die sitzungspolizeilichen Verfügungen zudem keine Beachtung finden. Jedenfalls seien diese unverhältnismäßig gewesen. Auf verfassungswidrige Verfügungen habe der Kläger jedoch nicht vertrauen dürfen. Wegen der überaus schwerwiegenden und die Öffentlichkeit besonders berührenden Straftat des Klägers müsse das Berichterstattungsinteresse der Beklagten den Vorrang haben.

Bez...

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