Entscheidungsstichwort (Thema)

Richtlinien 2003/6/EG und 2003/124/EG. Insider-Information. Begriff ‚präzise Information’. Zwischenschritte eines zeitlich gestreckten Vorgangs. Reihe von Umständen oder Ereignis, von deren künftiger Existenz oder dessen künftigem Eintritt man mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgehen kann. Auslegung des Begriffs ‚mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgehen kann’. Veröffentlichung von Informationen über den Wechsel des Vorstandsvorsitzenden einer Gesellschaft

 

Beteiligte

Geltl

Markus Geltl

Daimler AG

 

Tenor

1. Art. 1 Nr. 1 der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch) und Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124/EG der Kommission vom 22. Dezember 2003 zur Durchführung der Richtlinie 2003/6 betreffend die Begriffsbestimmung und die Veröffentlichung von Insider-Informationen und die Begriffsbestimmung der Marktmanipulation sind dahin auszulegen, dass bei einem zeitlich gestreckten Vorgang, bei dem ein bestimmter Umstand verwirklicht oder ein bestimmtes Ereignis herbeigeführt werden soll, nicht nur dieser Umstand oder dieses Ereignis präzise Informationen im Sinne der genannten Bestimmungen sein können, sondern auch die mit der Verwirklichung des Umstands oder Ereignisses verknüpften Zwischenschritte dieses Vorgangs.

2. Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124 ist dahin auszulegen, dass die Wendung „eine Reihe von Umständen …, … bei denen man mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, dass sie in Zukunft existieren werden, oder ein Ereignis, das … mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in Zukunft eintreten wird”, auf künftige Umstände oder Ereignisse abzielt, bei denen eine umfassende Würdigung der bereits verfügbaren Anhaltspunkte ergibt, dass tatsächlich erwartet werden kann, dass sie in Zukunft existieren oder eintreten werden. Dagegen ist diese Wendung nicht dahin auszulegen, dass das Ausmaß der Auswirkung dieser Reihe von Umständen oder dieses Ereignisses auf den Kurs der betreffenden Finanzinstrumente berücksichtigt werden muss.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesgerichtshof (Deutschland) mit Entscheidung vom 22. November 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 14. Januar 2011, in dem Verfahren

Markus Geltl

gegen

Daimler AG,

Beteiligte:

Lothar Meier u. a.,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. N. Cunha Rodrigues sowie der Richter U. Lõhmus (Berichterstatter), A. Rosas, A. Ó Caoimh und C. G. Fernlund,

Generalanwalt: P. Mengozzi,

Kanzler: A. Impellizzeri, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 2. Februar 2012,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von Herrn Geltl, vertreten durch Rechtsanwalt R. Lindner,
  • der Daimler AG, vertreten durch die Rechtsanwälte M. Sustmann und R. Schmidt-Bendum,
  • von Herrn Meier, vertreten durch Rechtsanwalt H. Schmidt,
  • von Frau Endruweit u. a., vertreten durch Rechtsanwalt R. Lindner,
  • der belgischen Regierung, vertreten durch M. Jacobs und J.-C. Halleux als Bevollmächtigte,
  • der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und D. Hadroušek als Bevollmächtigte,
  • der estnischen Regierung, vertreten durch M. Linntam als Bevollmächtigte,
  • der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von M. Russo, avvocato dello Stato,
  • der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes und F. Matias Santos als Bevollmächtigte,
  • der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch S. Hathaway als Bevollmächtigten im Beistand von A. Henshaw, Barrister,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Braun und R. Vasileva als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 21. März 2012

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Nr. 1 der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch) (ABl. L 96, S. 16) und von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124/EG der Kommission vom 22. Dezember 2003 zur Durchführung der Richtlinie 2003/6 betreffend die Begriffsbestimmung und die Veröffentlichung von Insider-Informationen und die Begriffsbestimmung der Marktmanipulation (ABl. L 339, S. 70).

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Geltl und der Daimler AG (im Folgenden: Daimler) wegen des Schadens, der ihm dadurch entstanden sein soll, dass Daimler Informationen über das vorzeitige Ausscheiden ihres Vorstandsvorsitzenden verspätet veröffentlicht habe.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 2003/6

Rz. 3

In den Erwägungsgründen 2, 12, 16 und 24 der Richtlinie 2003/6 heißt es:

„(2) Ein integrierter und effizienter Finanzmarkt setzt Marktintegrität voraus. Das reibungslose Funktionieren der Wertpapiermärkte und das Vertrauen der Öf...

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