Leitsatz (amtlich)

Zum Schadensersatz und zur Passivlegitimation bei unter Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1, 5, Art. 7 Abs. 1 EMRK nachträglich verlängerter Sicherungsverwahrung.

 

Normenkette

StGB § 67d Fassung: 1998-01-26; MRK Art. 5 Abs. 1, 5; MRK Art. 7 Abs. 1

 

Verfahrensgang

OLG Karlsruhe (Urteil vom 29.11.2012; Aktenzeichen 12 U 62/12)

LG Karlsruhe (Entscheidung vom 24.04.2012; Aktenzeichen 2 O 330/11)

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des 12. Zivilsenats des OLG Karlsruhe vom 29.11.2012 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsrechtszugs.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Der Kläger begehrt von dem beklagten Land immateriellen Schadensersatz wegen nachträglich verlängerter Sicherungsverwahrung.

Rz. 2

Der Kläger wurde durch Urteil des LG H. vom 12.2.1981 wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und neun Monaten verurteilt; zugleich ordnete das Gericht anschließende Sicherungsverwahrung an. Diese wurde nach Verbüßung der Strafhaft ab dem 3.6.1988 in der Justizvollzugsanstalt F. vollzogen.

Rz. 3

Nach § 67d Abs. 1, Abs. 3 StGB in der im Zeitpunkt der Verurteilung des Klägers geltenden Fassung des Zweiten Gesetzes zur Reform des Strafrechts vom 4.7.1969 (BGBl. I, 717) durfte die Dauer der erstmaligen Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zehn Jahre nicht übersteigen; nach Ablauf dieser Höchstfrist war der Untergebrachte zu entlassen. Durch das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.1.1998 (BGBl. I 160) wurde diese Regelung geändert. Die Höchstfrist von 10 Jahren entfiel; § 67d Abs. 3 StGB bestimmte nunmehr, dass nach Ablauf von zehn Jahren das Gericht die Sicherungsverwahrung für erledigt erklärt, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Hanges erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Zugleich wurde in dem neu angefügten Abs. 3 des - mittlerweile (durch Art. 4 Nr. 1 des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22.12.2010, BGBl. I, 2300) in Gänze aufgehobenen - Art. 1a EGStGB festgelegt, dass § 67d StGB neuer Fassung uneingeschränkt Anwendung findet, also auch für Altfälle und damit für Straftäter gelten soll, die ihre Tat vor Verkündung und Inkrafttreten des Gesetzes begangen hatten und vor diesem Zeitpunkt verurteilt worden waren (s. auch § 2 Abs. 6 StGB sowie BT-Drucks. 13/9062, 12).

Rz. 4

Aufgrund der Gesetzesänderung wurde der Kläger nicht am 2.6.1998 aus der Sicherungsverwahrung entlassen. Vielmehr ordnete das LG F. (Strafvollstreckungskammer) - jeweils auf der Grundlage eingeholter Gutachten von Sachverständigen - in Abständen von 2 Jahren, zuletzt mit Beschluss vom 7.12.2009 an, dass die Sicherungsverwahrung fortzudauern habe, da von dem Kläger weiterhin ein Risiko ausgehe.

Rz. 5

Auf die sofortige Beschwerde des Klägers hob das OLG K. am 15.7.2010 den Beschluss des LG F. vom 7.12.2009 auf und stellte die Erledigung der Sicherungsverwahrung fest. Der Kläger wurde noch am gleichen Tag aus der Sicherungsverwahrung entlassen. Das OLG stützte seine Entscheidung maßgeblich auf das im Rahmen eines Individualbeschwerdeverfahrens eines anderen sicherungsverwahrten Straftäters ergangene Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) - V. Sektion - vom 17.12.2009 (Beschwerde-Nr. 19359/04), wonach die Änderung des § 67d Abs. 3 StGB mit Art. 5 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) nicht vereinbar sei. Diese Entscheidung ist seit dem 10.5.2010 endgültig, nachdem ein Ausschuss der Großen Kammer den Antrag der Bundesregierung auf Verweisung an die Große Kammer nach Art. 43 Abs. 2 EMRK abgelehnt hat (Art. 44 Abs. 2 Buchst. c EMRK).

Rz. 6

Mit Urteil vom 4.5.2011 (BVerfGE 128, 326) erklärte das BVerfG die gesetzlichen Regelungen zur nachträglichen Verlängerung der Sicherungsverwahrung für verfassungswidrig.

Rz. 7

Der Kläger hat das beklagte Land auf Zahlung einer Entschädigung für die ab 3.6.1998 weiter vollzogene Sicherungsverwahrung in Anspruch genommen. Das LG hat den Beklagten - unter Abweisung der weitergehenden Klage - zur Zahlung von 73.000 EUR nebst Zinsen verurteilt. Die Berufung des beklagten Landes hat keinen Erfolg gehabt. Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Beklagten.

 

Entscheidungsgründe

I.

Rz. 8

Das Berufungsgericht ist in Übereinstimmung mit dem LG davon ausgegangen, dass dem Kläger gegen das beklagte Land ein Anspruch auf Schadensersatz nach Art. 5 Abs. 5 EMRK zusteht.

Rz. 9

Die Anordnung der Fortdauer der Sicherungsverwahrung auf der Grundlage von § 67d Abs. 3 StGB in der Fassung des Gesetzes vom 26.1.1998 und deren Vollzug im Zeitraum vom 3.6.1998 bis zum 15.7.2010 stellten eine - nach Maßgabe der höchstrichterlichen Rechtsprechung wegen Verstoßes gegen das Grundgesetz und gegen Art. 5 Abs. 1, Art. 7 Abs. 1 EMRK - rechtswidrige Freiheitsentziehung i.S.v. Art. 5 Abs. 5 EMRK dar. Der hieraus resultierende Anspruch auf Schadensersatz richte sich auch gegen das beklagte Land. Zweifel an dessen Passivlegitimation seien nicht deshalb begründet, weil die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung in Anwendung bundesrechtlicher Vorschriften erfolgt sei. Zwar hätten diese Normen den Freiheitsentzug nach Ablauf der früheren Höchstfrist erst ermöglicht. Der unmittelbare Eingriff in das Freiheitsrecht des Klägers habe sich jedoch aus der gerichtlichen Anordnung der Verlängerung sowie dem Vollzug der Sicherungsverwahrung ergeben, die durch die Vollstreckungsbehörden des Beklagten erfolgt seien.

Rz. 10

Die vom LG zugebilligte immaterielle Entschädigung i.H.v. 73.000 EUR und damit ca. 500 EUR pro Monat sei unter Heranziehung der Bemessungspraxis des EGMR in vergleichbaren Fällen sowie unter Berücksichtigung des Umstands nicht zu beanstanden, dass ein Verschulden der handelnden Organe nicht festgestellt werden könne. Dass der Kläger erst gegen den Beschluss des LG F. vom 7.12.2009 ein Rechtsmittel eingelegt habe, begründe kein Mitverschulden nach §§ 839 Abs. 3, 254 Abs. 2 BGB. Ihm sei nicht vorzuwerfen, die Widerrechtlichkeit des Freiheitsentzugs nicht bereits zuvor gerügt zu haben, da ihm vormals nicht zeitnah ein erfolgversprechendes Rechtsmittel zur Verfügung gestanden habe.

II.

Rz. 11

Die zulässige Revision ist unbegründet. Nach Maßgabe der Rechtsprechung des EGMR und des BVerfG mussten die Vorinstanzen davon ausgehen, dass dem Kläger ein Schadensersatz nach Art. 5 Abs. 5 EMRK zusteht.

Rz. 12

1. Nach Art. 5 Abs. 5 EMRK hat jede Person einen Anspruch auf Schadensersatz, die unter Verletzung dieses Artikels von Festnahme und Freiheitsentziehung betroffen ist. In den vorstehenden Absätzen werden die Voraussetzungen näher beschrieben, unter denen die Freiheit entzogen werden darf.

Rz. 13

a) Art. 5 Abs. 5 EMRK gewährt dem Betroffenen einen unmittelbaren Schadensersatzanspruch wegen rechtswidriger Freiheitsbeschränkungen durch die öffentliche Hand (vgl. nur BGH, Urt. v. 10.1.1966 - III ZR 70/64, BGHZ 45, 46, 49 ff.; v. 4.7.2013 - III ZR 342/12, juris Rz. 28, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen), der vom Verschulden der handelnden Amtsträger unabhängig ist (vgl. nur BGH, Urt. v. 31.1.1966 - III ZR 118/64, BGHZ 45, 58, 65 ff. und vom 4.7.2013, a.a.O.) und auch den Ersatz immateriellen Schadens umfasst (vgl. nur BGH, Urteile vom 29.4.1993 - III ZR 3/92, BGHZ 122, 268, 279 ff. und vom 4.7.2013, a.a.O.).

Rz. 14

b) Die Vorinstanzen haben festgestellt, dass die nachträgliche Anordnung der Fortdauer der Sicherungsverwahrung des Klägers und deren Vollzug vom 3.6.1998 bis zum 15.7.2010 eine rechtswidrige Freiheitsentziehung i.S.v. Art. 5 Abs. 5 EMRK dargestellt haben. Diese auch von der Revision nicht beanstandete Annahme ist rechtsfehlerfrei.

Rz. 15

Nach Art. 5 Abs. 1 EMRK hat jede Person das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf nur in den nachfolgend im Satz 2 Buchst. a bis f aufgeführten Fällen - von denen für den hier streitgegenständlichen Freiheitsentzug von vorneherein nur die Buchstaben a, c und e in Betracht kommen - und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden.

Rz. 16

Art. 5 Abs. 1 EMRK zählt damit die Gründe, aus denen eine Freiheitsentziehung zulässig ist, erschöpfend auf (EGMR, BGH vom 17.12.2009 - Beschwerde-Nr. 19359/04, NJW 2010, 2495 = EuGRZ 2010, 25 Rz. 86 m.w.N.). Der Entzug der Freiheit muss darüber hinaus "rechtmäßig" sein, wobei sich die Rechtswidrigkeit nicht nur aus der Konvention selbst, sondern auch aus dem nationalen Recht ergeben kann (EGMR, a.a.O., Rz. 90 m.w.N.; vgl. auch Senat, Urteil vom 4.7.2013, a.a.O., m.w.N.).

Rz. 17

Das Berufungsgericht ist insoweit in Übereinstimmung mit dem LG zutreffend davon ausgegangen, dass die nachträgliche Verlängerung der Sicherungsverwahrung des Klägers durch das LG F. nicht mit Art. 5 Abs. 1 EMRK vereinbar war.

Rz. 18

aa) Eine rechtmäßige Freiheitsentziehung "nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht" (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchst. a EMRK) liegt nicht vor. Die Beschlüsse der Strafvollstreckungskammer stellen keine "Verurteilung" im Sinne der EMRK dar (vgl. EGMR, a.a.O., Rz. 87, 96). Zwischen der Verurteilung durch das LG H. vom 12.2.1981 und der Fortdauer der Sicherungsverwahrung fehlt es an dem notwendigen (spezifischen) Kausalzusammenhang, da die Verlängerung allein auf der Gesetzesänderung im Jahr 1998 beruht (vgl. EGMR, a.a.O., Rz. 88, 100). Nach Maßgabe dieser Rechtsprechung ist in den sog. Altfällen, in denen der Betroffene wegen seiner Anlasstat bereits vor Inkrafttreten der Neuregelung verurteilt wurde, eine Rechtfertigung des Freiheitsentzugs nach dieser Bestimmung als generell ausgeschlossen anzusehen (vgl. BVerfGE 128, 326, 395).

Rz. 19

bb) Der Haftgrund des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchst. c EMRK ("wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, sie [= die betreffende Person] an der Begehung einer Straftat ... zu hindern") erlaubt kein präventives Vorgehen gegen einen Einzelnen oder eine Gruppe von Personen, die wegen ihres fortbestehenden Hangs zu Straftaten eine Gefahr darstellen. Er bietet den Vertragsstaaten - zudem nur "zur Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde" - lediglich ein Mittel zur Verhütung einer konkreten und spezifischen Straftat und eignet sich deshalb zur Rechtfertigung der Sicherungsverwahrung nicht (vgl. EGMR, a.a.O., Rz. 89 und - insoweit in NJW 2010, 2495 nicht abgedruckt - Rz. 102; s. auch BVerfG, a.a.O., S. 396).

Rz. 20

cc) Soweit es der EGMR (a.a.O. Rz. 103, insoweit in NJW 2010, 2495 nicht abgedruckt) nicht ausgeschlossen hat, dass in Ausnahmefällen die Sicherungsverwahrung bestimmter Straftäter die Bedingungen einer rechtmäßigen Freiheitsentziehung "bei psychisch Kranken" (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchst. e EMRK) erfüllen kann, liegen die hierfür notwendigen Voraussetzungen (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 396 ff.) nicht vor, wie die Vorinstanzen zutreffend festgestellt haben. Dies wird auch von der Revision nicht in Zweifel gezogen.

Rz. 21

dd) Darüber hinaus handelt es sich auch nicht um eine "rechtmäßige" Freiheitsentziehung i.S.v. Art. 5 Abs. 1 EMRK. Denn die nachträgliche Anordnung der Fortdauer der Sicherungsverwahrung verstößt gegen das Rückwirkungsverbot des Art. 7 Abs. 1 EMRK (EGMR, a.a.O., Rz. 117 ff., 135, 137). Der Freiheitsentzug ist zudem nicht mit Art. 2 Abs. 2 Satz 2 (auch i.V.m. Art. 20 Abs. 3), 104 Abs. 1 Satz 1 GG vereinbar (BVerfG, a.a.O., S. 372 ff. und S. 388 ff.).

Rz. 22

c) Entgegen der Auffassung der Revision ist das beklagte Land auch passivlegitimiert.

Rz. 23

Zwar ist im Verfahren der Individualbeschwerde nach Art. 34 EMRK die Bundesrepublik Deutschland als Vertragspartei Beschwerdegegner; dementsprechend trifft sie eine etwaige vom EGMR nach Art. 41 EMRK dem jeweiligen Beschwerdeführer zugesprochene Entschädigung.

Rz. 24

Im Rahmen der innerstaatlichen Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs nach Art. 5 Abs. 5 EMRK ist jedoch, wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 31.1.1966 (a.a.O. S. 74) angedeutet hat, die Frage der Person des Verpflichteten - wie bei der Amtshaftung - durch Anwendung des Art. 34 GG zu klären. Danach ist der Hoheitsträger (Bund, Land oder sonstige Gebietskörperschaft) verantwortlich, dessen Hoheitsgewalt bei der rechtswidrigen Freiheitsentziehung ausgeübt wurde (vgl. in diesem Sinne auch OLG Hamm, InfAuslR 2003, 156, 157 = NVwZ Beilage I 5/2003, 40; Dörr in Grote/Marauhn, EMRK/GG, Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz, Kap. 13, Rz. 106; Elberling in Karpenstein/Mayer, EMRK, Art. 5 Rz. 136; Esser in Löwe-Rosenberg, Die Strafprozessordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, 26. Aufl., Elfter Bd., EMRK; IPBPR; Art. 5 EMRK, Art. 9, 10, 11 IPBPR Rz. 379; Gollwitzer, Menschenrechte im Strafverfahren, MRK und IPBPR, Art. 5 MRK, Art. 9, 11 IPBPR Rz. 134; Guradze, Die Europäische Menschenrechtskonvention [1968], Art. 5 Erl. 43; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 56. Aufl., Anh. 4 MRK, Art. 5 Rz. 14; Paeffgen in SK-StPO, 4. Aufl., Art. 5 Rz. 71a; Renzikowski in Pabel/Schmahl, Internationaler Kommentar zur EMRK, Art. 5 Rz. 322).

Rz. 25

Der unmittelbare Eingriff in das Freiheitsrecht des Klägers ist - wie die Vorinstanzen zutreffend ausgeführt haben - hier durch die Beschlüsse der Strafvollstreckungskammer des LG F. und deren anschließenden Vollzug in der Justizvollzugsanstalt F. erfolgt. Dass die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung auf der Anwendung bundesrechtlicher Vorschriften beruhte und es im vorliegenden Fall auch nicht darum geht, dass den zuständigen Amtsträgern bei der Anwendung dieser Normen Fehler im Einzelfall unterlaufen sind, ändert im Verhältnis der Parteien zueinander nichts an der Passivlegitimation des Beklagten. Es geht entgegen der Auffassung der Revision nicht ausschließlich um legislatives Unrecht, für das der Beklagte nicht einzustehen habe. Vielmehr knüpft Art. 5 Abs. 5 EMRK an eine rechtswidrige (konventionswidrige) Freiheitsentziehung an. Diese ist hier aber durch ein Gericht des Beklagten (und in Umsetzung der Gerichtsentscheidungen durch die Vollzugsbehörden des Beklagten) erfolgt, wobei es im Verhältnis der Parteien zueinander nicht darauf ankommt, dass - so die Revision - das Gericht gar keine andere Wahl gehabt habe, als die erst später für rechtswidrig erkannte Vorschrift des § 67d Abs. 3 StGB anzuwenden.

Rz. 26

2. Ohne Erfolg bleiben auch die Rügen der Revision zur Höhe der zuerkannten Entschädigung.

Rz. 27

a) Die Bemessung eines immateriellen Schadens ist grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters, der hier durch § 287 ZPO besonders freigestellt ist. Sie kann vom Revisionsgericht nur darauf überprüft werden, ob die Festsetzung Rechtsfehler enthält, insb. ob das Gericht sich mit allen für die Bemessung der Entschädigung maßgeblichen Umständen ausreichend auseinandergesetzt und um eine angemessene Beziehung der Entschädigung zu Art und Dauer der Beeinträchtigungen bemüht hat (vgl. nur BGH, Urt. v. 12.5.1998 - VI ZR 182/97, BGHZ 138, 388, 391; v. 23.4.2012 - II ZR 163/10, BGHZ 193, 110 Rz. 68).

Rz. 28

b) Auf der Grundlage dieser eingeschränkten Prüfungsmöglichkeit lässt das Berufungsurteil keinen Rechtsfehler zum Nachteil des beklagten Landes erkennen. Insbesondere ist es nicht zu beanstanden, dass sich die Instanzgerichte an der Bemessungspraxis des EGMR in vergleichbaren Fällen (Urt. v. 17.12.2009 - Beschwerde-Nr. 19359/04, EuGRZ 2010, 25 Rz. 139, 141, insoweit in NJW 2010, 2495 nicht abgedruckt; vom 13.1.2011 - Beschwerde-Nr. 17792/07, EuGRZ 2011, 255 Rz. 88, Beschwerde-Nr. 20008/07, juris Rz. 71, Beschwerde-Nr. 27360/04 und 42225/07, juris Rz. 92; vom 24.11.2011 - Beschwerde-Nr. 48038/06, juris Rz. 115, 116; v. 19.4.2012 - Beschwerde-Nr. 61272/09, juris Rz. 105) orientiert haben.

Rz. 29

Die Auffassung des beklagten Landes, es hätte berücksichtigt werden müssen, dass der Kläger erst gegen den Beschluss des LG F. vom 7.12.2009 Beschwerde eingelegt und somit durch sein "passives" Verhalten selbst zur Fortdauer der Sicherungsverwahrung beigetragen habe, geht fehl. Insoweit bedarf es keiner Entscheidung der Frage, ob § 839 Abs. 3 BGB oder § 254 BGB - der ebenfalls gebieten kann, einen belastenden hoheitlichen Akt durch geeignete Rechtsbehelfe abzuwehren (vgl. nur BGH, Urt. v. 26.1.1984 - III ZR 216/82, BGHZ 90, 17, 31 ff.) - auf einen Anspruch aus Art. 5 Abs. 5 EMRK anwendbar sind (offen gelassen auch in den Senatsurteilen v. 29.4.1993 - III ZR 3/92, BGHZ 122, 268, 278 f; v. 4.7.2013 - III ZR 342/12, juris Rz. 33 m.w.N. zum Meinungsstand). Denn dem Kläger kann eine schuldhafte Versäumung von Rechtsbehelfen nicht angelastet werden, da auch das BVerfG die Anwendung der streitgegenständlichen Regelungen mit Urteil vom 5.2.2004 (BVerfGE 109, 133) in Übereinstimmung mit der fachgerichtlichen Rechtsprechung zunächst als rechtmäßig beurteilt hat. Die von der Revision gerügte "Passivität" des Klägers kann deshalb nicht zu seinem Nachteil berücksichtigt werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 5564426

NJW 2014, 67

EuGRZ 2013, 639

NVwZ 2013, 6

JZ 2013, 1161

JZ 2013, 710

MDR 2013, 1398

StV 2014, 491

StraFo 2013, 477

ZfStrVo 2013, 267

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