Leitsatz (amtlich)

a) Bei Insolvenzreife der Gesellschaft unterliegen auch sog. "kurzfristige Überbrückungskredite" den Eigenkapitalersatzregeln (vgl. BGH, Urt. v. 27.11.1989 - II ZR 310/88, GmbHR 1990, 125 = MDR 1990, 517 = ZIP 1990, 95, 97; BGH, Urt. v. 19.9.1996 - IX ZR 249/95, BGHZ 133, 298, 304 = GmbHR 1996, 844 = MDR 1996, 1252).

b) Maßstab für die Beurteilung, ob ein "kurzfristiger Überbrückungskredit" vorliegt und das Darlehen ausnahmsweise nicht als funktionales Eigenkapital zu behandeln ist, sind die in § 64 Abs. 1 GmbHG niedergelegten Wertungen; die Laufzeit darf danach die dort genannte Höchstfrist von drei Wochen nicht überschreiten.

 

Normenkette

GmbHG § 32a a.F., § 32b

 

Verfahrensgang

OLG Hamburg (Urteil vom 28.02.2005; Aktenzeichen 11 U 101/04)

LG Hamburg (Entscheidung vom 21.04.2004; Aktenzeichen 404 O 12/03)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des OLG Hamburg, 11. Zivilsenat, vom 28.2.2005 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

[1] Der Kläger, Verwalter in dem am 17.12.2002 über das Vermögen der K. GmbH (Insolvenzschuldnerin) eröffneten Insolvenzverfahren, nimmt den Beklagten unter dem Gesichtspunkt des Eigenkapitalersatzes auf Zahlung von 153.000 EUR in Anspruch. Der Beklagte ist Alleingesellschafter der D. -GmbH (D. -GmbH), die ihrerseits alleinige Gesellschafterin der Insolvenzschuldnerin ist. Zugleich ist die D. -GmbH Komplementärin der D. KG (D. -KG).

[2] Mit Schreiben vom 13.7.2001 erteilte die D. Bank AG (Bank) der Insolvenzschuldnerin eine Kreditzusage im Gesamtumfang von 1,3 Mio. DM, deren Durchführung davon abhängig sein sollte, dass der Insolvenzschuldnerin von ihrer Gesellschafterin Mittel i.H.v. 400.000 DM zufließen. Zur Erfüllung dieser Auszahlungsvoraussetzung stellte der Beklagte der Insolvenzschuldnerin alsbald ein Darlehen von 100.000 DM zur Verfügung, während die restlichen 300.000 DM (153.000 EUR) durch den Verkauf eines Grundstücks der D. -KG aufgebracht werden sollten. Da sich der Grundstücksverkauf verzögerte, erklärte sich die Bank am 7.11.2001 bereit, der Insolvenzschuldnerin bis zum 31.12.2001 eine Zusatzkreditlinie von 300.000 DM gegen Übernahme einer selbstschuldnerischen Bürgschaft durch den Beklagten einzuräumen. Am 8.11.2001 zahlte die Bank die gesamten von ihr versprochenen Kreditmittel i.H.v. 818.000 EUR an die Insolvenzschuldnerin aus. Da die Bank von der Insolvenzschuldnerin die Rückführung der zunächst bis zum 31.3.2002 und nachfolgend bis zum 31.5.2002 prolongierten Zusatzkreditlinie durch Schreiben vom 24.6.2002 unter einer Fristsetzung bis zum 15.7.2002 forderte, gewährte die D. -KG der Insolvenzschuldnerin einen Betriebsmittelkredit über 154.000 EUR. Am 28.6.2002 veranlasste der Beklagte die Überweisung von 153.400 EUR auf das bei der D. Bank für den Zusatzkredit geführte Sonderkonto der Insolvenzschuldnerin.

[3] Die Klage blieb in den Tatsacheninstanzen ohne Erfolg. Mit der - von dem Senat zugelassenen - Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

[4] Die Revision hat Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

[5] I. Das OLG hat gemeint, das durch die Bürgschaft des Beklagten gesicherte Darlehen habe lediglich eine vorübergehende Überbrückungshilfe bis zur Einzahlung der von der Bank geforderten Gesellschaftermittel dargestellt. Auf die Frage einer Überschuldung der Insolvenzschuldnerin komme es nicht an, weil die Gesellschaft aufgrund des versprochenen Gesellschaftereinschusses realistische Aussichten und nicht nur vage Erwartungen zur Deckung ihres Kapitalbedarfs gehabt habe.

[6] II. Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand. Für das Revisionsverfahren ist, da das Berufungsgericht entsprechende Feststellungen zu dem Vorbringen des Klägers nicht getroffen hat, zu unterstellen, dass die Insolvenzschuldnerin jedenfalls in dem Zeitpunkt überschuldet war, in welchem die Bank die Rückführung des Zusatzkredits forderte und der Beklagte mit Hilfe des der Insolvenzschuldnerin seitens der D. -KG gewährten Darlehens die Tilgung des von ihm verbürgten Zusatzkredits veranlasste.

[7] 1. Lediglich im Ausgangspunkt hat das Berufungsgericht zutreffend erkannt, dass der Beklagte als "Gesellschafter-Gesellschafter" der Insolvenzschuldnerin den Eigenkapitalersatzregeln unterliegt (BGH, Urt. v. 13.12.2004 - II ZR 206/02, BGHReport 2005, 436 m. Anm. Mellert = GmbHR 2005, 225 = MDR 2005, 343 = ZIP 2005, 117, 118 li. Sp.) und bei Rückführung eines durch seine kapitalersetzende Bürgschaft gesicherten Fremddarlehens durch die Gesellschaft zur Erstattung der von ihr aufgewendeten Beträge verpflichtet ist (BGH, Urt. v. 14.3.2005 - II ZR 129/03, BGHReport 2005, 979 = GmbHR 2005, 540 = MDR 2005, 879 = ZIP 2005, 659 f.).

[8] 2. Dem OLG kann in seiner Würdigung nicht gefolgt werden, dass die Bürgschaft des Beklagten lediglich die Sicherung eines kurzfristigen Überbrückungskredits bezweckte.

[9] a) Zwar hat der Senat für denkbar erachtet, dass kurzfristig rückzahlbare "Überbrückungskredite" eines Gesellschafters - Entsprechendes gilt für die Besicherung eines solchen seitens der Gesellschaft aufgenommenen Kredits durch den Gesellschafter - den Eigenkapitalersatzregeln nicht uneingeschränkt unterliegen. Dies kommt freilich nur für besonders gelagerte Ausnahmefälle in Betracht, in denen die Gesellschaft zwar für kurze Zeit dringend auf die Zufuhr von Geldmitteln angewiesen ist, aufgrund ihrer wirtschaftlichen Lage aber mit der fristgerechten Rückzahlung objektiv gerechnet werden kann (BGH, Urt. v. 26.3.1984 - II ZR 171/83, BGHZ 90, 381, 394 = AG 1984, 181 = GmbHR 1984, 343 (LS) = MDR 1984, 736; BGH, Urt. v. 26.11.1979 - II ZR 104/77, BGHZ 75, 334, 337 = GmbHR 1980, 28; Urt. v. 2.6.1997 - II ZR 211/95, GmbHR 1997, 890 = ZIP 1997, 1648, 1650; Urt. v. 28.11.1994 - II ZR 77/93, GmbHR 1995, 35 = MDR 1995, 273 = ZIP 1995, 23, 24). Die zeitliche Grenze für einen solchen "Überbrückungskredit" wird durch die in § 64 Abs. 1 GmbHG enthaltene Frist gesetzt und beträgt - was das Berufungsgericht verkannt hat - längstens drei Wochen (vgl. Lutter/Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, GmbHG §§ 32a/b Rz. 35; Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG § 32a Rz. 72).

[10] b) Die Merkmale eines derartigen Überbrückungskredits sind im Streitfall ersichtlich nicht gegeben; deswegen kann auch der Beklagte nicht geltend machen, seine Bürgschaft sei wegen des genannten Überbrückungscharakters von der Geltung der Eigenkapitalersatzregeln freigestellt.

[11] Dies folgt bereits - was das OLG verkannt hat - aus der anfänglich vorgesehenen, den Zeitraum von drei Wochen überschreitenden Kreditlaufzeit vom 7.11. bis 31.12.2001 und der wiederholten Prolongation bis zum 31.5.2002. Davon abgesehen hatte die Bank ihr Kreditengagement ausdrücklich davon abhängig gemacht, dass die D. -GmbH ihrerseits der Insolvenzschuldnerin auf Dauer und nicht nur vorübergehend - geschweige für einen Zeitraum von längstens drei Wochen - einen Betrag i.H.v. 400.000 DM zur Verfügung stellte. Da die D. -GmbH bzw. die D. -KG wegen der Verzögerung eines Hausverkaufs zu der versprochenen (vollen) Darlehensgewährung zunächst nicht in der Lage war, diente die Eröffnung der durch die Bürgschaft des Beklagten besicherten Zusatzkreditlinie der (vorläufigen) Verwirklichung der von der D. -GmbH der Insolvenzschuldnerin zugesagten dauerhaften zusätzlichen Kapitalausstattung. Mit Hilfe der Zusatzkreditlinie sollte der Sache nach ein Finanzengpass der D. -GmbH und nicht der - längerfristig einer Kreditgewährung bedürftigen und ohnehin zu einer alsbaldigen Rückzahlung nicht fähigen (BGH, Urt. v. 28.11.1994 - II ZR 77/93, GmbHR 1995, 35 = MDR 1995, 273 = ZIP 1995, 23, 24) - Insolvenzschuldnerin überbrückt werden.

[12] 3. Ebenso verfehlt ist die Auffassung des Berufungsgerichts, der auf § 32b GmbHG gestützte Zahlungsanspruch sei unbegründet, weil einem Überbrückungskredit auch im Falle einer Überschuldung der Gesellschaft keine Eigenkapitalersatzfunktion zukomme.

[13] Eine Gesellschafterhilfe hat stets eigenkapitalersetzenden Charakter, wenn ohne diese Leistung die Insolvenz der Gesellschaft unvermeidbar gewesen wäre. Diente die Gewährung der von dem Beklagten durch seine Bürgschaft gesicherten Zusatzkreditlinie der Abwendung der Insolvenz, so steht die Anwendbarkeit der Eigenkapitalersatzregeln außer Zweifel (BGH, Urt. v. 19.9.1996 - IX ZR 249/95, BGHZ 133, 298, 304 = GmbHR 1996, 844 = MDR 1996, 1252; Urt. v. 27.11.1989 - II ZR 310/88, GmbHR 1990, 125 = MDR 1990, 517 = ZIP 1990, 95, 97 re.Sp.).

[14] Daher wird das Berufungsgericht nach Zurückverweisung der Sache der streitigen Frage nachzugehen haben, ob bei der Insolvenzschuldnerin im fraglichen Zeitpunkt ein Insolvenzgrund bestanden hat.

 

Fundstellen

BB 2006, 2547

DB 2006, 17

DB 2006, 2569

DStR 2006, 2140

WPg 2006, 1507

Inf 2006, 891

NWB 2006, 3966

BGHR 2007, 19

EWiR 2007, 107

NZG 2007, 30

StuB 2007, 84

WM 2006, 2171

WuB 2007, 343

ZAP 2007, 384

ZIP 2006, 2130

MDR 2007, 362

NZI 2007, 42

NZI 2007, 63

ZInsO 2007, 38

BKR 2007, 113

GmbHR 2006, 1326

KSI 2007, 39

NJW-Spezial 2006, 556

NotBZ 2006, 433

ZBB 2006, 475

ZNotP 2007, 152

SJ 2007, 39

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