Entscheidungsstichwort (Thema)

Sittenwidrigkeit der Bürgschaftserklärungen von GmbH-Gesellschaftern

 

Leitsatz (amtlich)

1. Es ist zweifelhaft, ob mit einem bereits in der Schweiz anhängigen Betreibungsverfahren nach Art. 42, 82 f. SchKG sowie einer nachfolgend in Deutschland beabsichtigten negativen Feststellungsklage "derselbe Anspruch" i.S.v. Art. 21 LugÜ geltend gemacht wird und damit ein einheitlicher Verfahrensgegenstand vorliegt, der wegen des Prioritätsprinzips zur internationalen Unzuständigkeit des später angerufenen Gerichts führt. Das schweizerische "Betreibungs- und Rechtsöffnungsverfahren" stellt ein spezielles Vollstreckungsverfahren dar. Erst die vom Schuldner nach der "provisorischen Rechtsöffnung" zur Vermeidung einer schweizerischen Zwangsvollstreckung zu erhebende Aberkennungsklage nach Art. 83 SchKG dürfte mit einem Erkenntnisverfahren im Sinne der ZPO vergleichbar sein.

2. Die Rechtsprechungsgrundsätze zur Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB auf von Kreditinstituten mit privaten, dem Hauptschuldner persönlich nahe stehenden Bürgen oder Mitverpflichteten geschlossenen Bürgschafts- oder Mithaftungsverträge gelten grundsätzlich nicht für Bürgschaftserklärungen von GmbH-Gesellschaftern für Verbindlichkeiten der Gesellschaft.

3. Behauptet der Bürge, er sei Strohmann und habe die Haftung für Gesellschaftsschulden allein aus enger persönlicher Verbundenheit zu einem Mitgesellschafter übernommen, so hat er sowohl diese Tatsache als auch die entsprechende Kenntnis des Gläubigers davon zu beweisen. Weder aus einer krassen finanziellen Überforderung des Bürgen noch aus dessen emotionaler Verbundenheit mit einer die Gesellschaft wirtschaftlich beherrschenden Person folgt eine tatsächliche Vermutung zu Lasten des Kreditgebers. Strohmanngeschäfte sind ernst gemeint und in Folge dessen grundsätzlich rechtlich wirksam. Nur wenn die Bank - ausnahmsweise - tatsächlich die wirtschaftlichen Hintergründe des behaupteten Strohmanngeschäfts kannte, wäre der Anwendungsbereich des § 138 BGB eröffnet.

 

Normenkette

VollstrZustÜbk 1988 Art. 21 Abs. 2; BGB § 138 Abs. 1, § 765; SchKG CHE Art. 42; SchKG CHE Art. 82; SchKG CHE Art. 83

 

Verfahrensgang

LG Flensburg (Beschluss vom 12.03.2010; Aktenzeichen 5 W 6/10)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 12.3.2010 gegen den Prozesskostenhilfe versagenden Beschluss der 2. Zivilkammer des LG Flensburg vom 22.2.2010 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die gerichtlichen Kosten der sofortigen Beschwerde; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

 

Gründe

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers ist unbegründet.

Das LG hat dem Antragsteller zu Recht die nachgesuchte Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Rechtsverfolgung versagt, weil die Klage auf Feststellung der Nichtigkeit der drei streitgegenständlichen Bürgschaften über insgesamt 7.845.981,- EUR i.S.v. § 114 ZPO keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:

1. Die Frage, ob - wie die Kammer in dem Nichtabhilfebeschluss vom 8.7.2010 ausgeführt hat - wegen vorrangiger Rechtshängigkeit des seit März 2008 in der Schweiz anhängigen Betreibungsverfahrens das LG Flensburg sachlich unzuständig ist, muss hier nicht abschließend entschieden werden.

Insoweit ist das zwischen der Schweiz und Deutschland bestehende Lugano- Übereinkommen (LugÜ; BGBl. II 1994, 2660) maßgeblich, das im Wesentlichen die Regeln des EUGVÜ übernommen hat (Zöller/Geimer, ZPO, 28. Aufl., Anhang I Art. 1 EUGVVO, Rz. 16 m.w.N.). Wenn bei Gerichten verschiedener Vertragsstaaten des Lugano-Übereinkommens Klagen wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien anhängig gemacht werden, erklärt sich das später angerufene Gericht gem. Art. 21 Abs. 2 LugÜ zugunsten des zuerst angerufenen Gerichts für unzuständig (Prioritätsprinzip).

Zwischen den Parteien ist jedoch streitig, ob mit dem in der Schweiz bereits seit 2008 anhängige Betreibungsverfahren sowie mit dem hier beabsichtigten Verfahren einer negativen Feststellungsklage "derselbe Anspruch" i.S.v. Art. 21 LugÜ geltend gemacht wird, mithin ein einheitlicher Verfahrensgegenstand vorliegt. Aus der Entscheidung des Obergerichts Luzern vom 24.11.2009 (Kanton Obergericht Luzern, Az. SK 09 76) folgt, dass auf Grundlage der streitgegenständlichen drei Bürgschaften im Rahmen des von der Antragsgegnerin in der Schweiz erhobenen Betreibungsverfahrens nach Art. 42, 82 f. SchKG (Schweizerisches Bundesgesetze über Schuldbetreibung und Konkurs) die "provisorische Rechtsöffnung" für einen Betrag von 12.167.449,40 Schweizer Franken nebst Zinsen erteilt worden ist. Die Rechtsöffnung nach SchKG ist ein juristisches Kurzverfahren, welches nur überprüft, ob der Gläubiger eine schriftliche Schuldanerkennung (Schuldschein, Vertrag, Bürgschaftsurkunde) oder ein rechtskräftiges Urteil vorliegen kann. Wenn - wie hier - noch kein Gerichtsurteil über die Forderung vorliegt, kann der Gläubiger in der Schweiz nur die "provisorische Rechtsöffnung" verlangen. Wird dem Gläubiger - wie...

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