Leitsatz (amtlich)

1. Es liegt kein Anwendungsfall des § 1693 BGB vor, wenn sorgerechtsfähige Eltern ihrer Sorgerechtsverantwortung nicht nachkommen oder solche Maßnahmen treffen, die das Gericht für sachlich ungeeignet hält.

2. Bei einem Dissens der gemeinsam sorgeberechtigten Eltern über unterbringungsähnliche Maßnahmen kommt vorrangig eine gerichtliche Entscheidung nach § 1628 BGB in Betracht.

3. In Verfahren betreffend die Genehmigung der Entscheidung der sorgeberechtigten Eltern über unterbringungsähnliche Maßnahmen des minderjährigen Kindes sind die sorgeberechtigten Eltern persönlich anzuhören.

 

Normenkette

BGB §§ 1628, 1631b, 1693

 

Verfahrensgang

AG Osnabrück (Entscheidung vom 08.08.2018; Aktenzeichen 3 F 205/17 UB)

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde der Kindesmutter vom 28.09.2018 wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Osnabrück vom 08.08.2018 aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen, das auch über die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden hat.

II. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben.

III. Der Beschwerdewert wird auf 3.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Beschwerdeführerin ist die Kindesmutter des am 16.11.2005 geborenen Kindes J... A..... Ausweislich der Sorgeerklärung vom 02.10.2006 übt sie mit dem Kindesvater die gemeinsame elterliche Sorge aus. J... lebt in der Einrichtung .... Sie leidet unter anderem an schwerer Epilepsie, Trichotillomanie und einem Pica-Syndrom. Aufgrund dieser Erkrankungen kommt es zu Selbst- und Fremdgefährdungen. Ausweislich des Berichts des Jugendamtes vom 28.11.2017 versucht J... unbeaufsichtigt auch ungenießbares, wie beispielsweise ihre eigenen Ausscheidungen und ihre Windeln, zu essen. Sie neigt zu Aggressionen, die sich gegen sie selbst sowie gegen andere richten. In der Nacht steht J... ausweislich des Berichts des Jugendamtes immer wieder auf. Sie könne nur schwer Nachtruhe finden, wodurch es aufgrund fehlendem Schlaf vermehrt zu schweren epileptischen Anfällen komme. Bei epileptischen Anfällen müsse jeweils eine notärztliche Versorgung erfolgen. Die Einrichtung hat gegenüber dem Jugendamt freiheitsentziehende Maßnahmen für erforderlich erachtet, nämlich ein Overall, eine Art Schlafsack, der nachts zu tragen sei und verhindern solle, dass J... sich in der Nacht die Kleidung zerreißt und ihre Windel oder Ausscheidungen isst. Zudem hält die Einrichtung nach oben geschlossene Bettgitter für erforderlich, damit J... nachts im Bett bleibe und ihren notwendigen Schlaf bekomme. Da J... keine eigene Impulskontrolle habe, sei die Durchführung kurzfristiger Time-Out Maßnahmen erforderlich. Ein geschlossener Raum biete J... die erforderliche Ruhe in einer reizarmen Umgebung, so dass diese nach 20 Minuten wieder ausgeglichen sei.

Der Kindesvater stellte am 22.01.2018 schriftlich den Antrag, regelmäßige freiheitsentziehende Maßnahmen zum Schutz seiner Tochter J... in Form der Anbringung auch nach oben hin geschlossener Bettgitter sowie in Form des regelmäßigen Tragens eines Overalls zu genehmigen (Bl. 15 d. A.).

Die Kindesmutter stellte am 31.01.2018 schriftlich den Antrag, die regelmäßige Freiheitsentziehung von J... in Form des regelmäßigen Tragens eines Overalls (Schlafsackes) zu genehmigen (Bl. 17 d. A.)

Beide Eltern wiesen darauf hin, dass sie sich nicht auf einen gemeinsamen Antrag verständigen könnten.

Das Familiengericht hat J... am 14.02.2018 in der Einrichtung persönlich in Anwesenheit der Verfahrensbeiständin angehört. Auf den Anhörungsvermerk wird Bezug genommen.

Zur Klärung der erforderlichen freiheitsentziehenden Maßnahmen hat das Amtsgericht ein Sachverständigengutachten eingeholt. Auf das kinder- und jugendpsychiatrische Gutachten des Sachverständigen T... vom 22.06.2018 wird Bezug genommen (Bl. 43ff d. A.). Das Gutachten wurde unter dem 06.07.2018 zum Zwecke der Kenntnisnahme und Stellungnahme binnen einer Frist von zwei Wochen an die Kindeseltern und das Jugendamt formlos übersandt (Bl. 41R d. A.).

Am 16.07.2018 teilte der Lebensgefährte der Kindesmutter dem Amtsgericht mit, dass sich die Kindesmutter bis Ende August 2018 in der Reha-Klinik befinde und sich diese nach Auskunft ihrer behandelnden Ärzte derzeit nicht mit dem Gutachten auseinandersetzen solle (Bl. 60 d. A.). Der Lebensgefährte der Kindesmutter übersandte ein entsprechendes Schreiben an das Amtsgericht, welches dort am 19.07.2018 einging (Bl. 61 d. A.).

Mit Beschluss vom 08.08.2018 (Bl. 68ff d. A.) hat das Amtsgericht die zeitweise und regelmäßige Freiheitsentziehung des Kindes in Form der Anbringung eines auch nach oben geschlossenen Bettgitters, eines geschlossenen Overalls in der Nacht und am Abend, Durchführung kurzfristiger Time-out-Maßnahmen zur Reduktion aggressiver Impulsdurchbrüche und Beruhigung bei unzureichenden anderen Maßnahmen (maximal 20 Minuten), Kameraüberwachung in ihrem Zimmer ausschließlich in Situationen, in denen J... alleine in ihrem Zimmer ist, nach ausdrückl...

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