Entscheidungsstichwort (Thema)

Ablehnung einer Arrestanordnung im Zusammenhang mit dem Wirecard-Skandal mangels Schlüssigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zu den Schlüssigkeitsvoraussetzungen für die Höhe des Anspruchs bei einer Saldoklage über zahlreiche Kauf- und Verkaufsvorgänge gehört eine tatsächlich und rechnerisch nachvollziehbare Darstellung, aus der sich die einzelnen Käufe und -verkäufe sowie der Saldo - auch hinsichtlich der gehaltenen Wertpapiere - ergeben. Denn soweit der Antragsteller diese Wertpapiere noch halten sollte, käme wohl allenfalls eine Zug-um-Zug-Anordnung in Betracht.

2. Jedenfalls beim Kauf von Aktien spricht grundsätzlich ein sich aus der allgemeinen Lebenserfahrung ergebender Erfahrungssatz mit überwiegenden Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Anleger die Aktien in Kenntnis der verschwiegenen Machenschaften nicht gekauft hätten (vgl. dazu Urteil des Senats vom 11.11.2021, Gz. 8 U 5670/21). Bei Investments mit rein spekulativem Charakter kann die entsprechende Vermutung jedoch eingeschränkt oder aufgehoben sein. Deshalb wäre in solchen Fällen neben einer näheren schriftsätzlichen Erläuterung der streitgegenständlichen Geschäfte wohl auch im Arrestverfahren eine konkrete Darlegung und Glaubhaftmachung der Kausalität erforderlich.

3. Wenn in einem Parallelverfahren vor einem anderen Senat mit denselben Antragstellervertretern bereits Bedenken gegen die Art der Schadensdarstellung erhoben wurden, ist ein erneuter Hinweis gem. § 139 ZPO nicht mehr erforderlich. Denn die entsprechende Kenntnis seiner Prozessbevollmächtigten als Wissensvertreter muss sich der hiesige Antragsteller gem. § 166 BGB zurechnen lassen.

 

Normenkette

BGB §§ 249, 826; ZPO § 916 ff.

 

Verfahrensgang

LG München I (Beschluss vom 30.09.2021; Aktenzeichen 22 O 13034/21)

 

Tenor

I. Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 30.09.2021 wird zurückgewiesen.

II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. Der Beschwerdewert wird auf bis zu 65.000.- EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Den Feststellungen des Landgerichts zufolge ist Herr Dr. B. alleiniger Geschäftsführer und Gesellschafter der Antragsgegnerin. Außerdem war er von Januar 2002 bis Juni 2020 Vorstandsvorsitzender der W. AG. Die Antragsgegnerin war größter Einzelaktionär der W. AG mit Anteilen im Wert von über 1.0 Mrd. Euro.

Mit Schriftsatz vom 29.09.2021 beantragte der Antragsteller wegen einer angeblichen Schadensersatzforderung in Höhe von 166.549,58 EUR die Anordnung des dinglichen Arrestes in das gesamte Vermögen der Antragsgegnerin. Zur Begründung des Anspruches wurde dort ausgeführt, der Antragsteller habe im Zeitraum vom 15.05.20 bis 22.06.20 166.549,58 EUR in die Aktie der Wirecard investiert; dabei seien Käufe in diesem Zeitraum abzüglich Verkäufe bereits berücksichtigt. Zur Glaubhaftmachung wurde auf Orderbelege in einem Anlagenkonvolut verwiesen.

Das Landgericht hat den Arrestantrag mit dem angefochtenen Beschluss abgelehnt, u.a. weil der behauptete Schaden nicht schlüssig dargelegt worden sei; der Antragsteller habe auch keine Aktien erworben, sondern Put-Optionen.

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers, mit der dieser seine erstinstanzlichen Anträge wiederholt. Er meint, es spiele keine Rolle, in was für ein Produkt er investiert habe, auch die erworbenen Wertpapiere hingen unmittelbar mit dem Aktienkurs der Wirecard zusammen. Die vom Landgericht beteiligte Antragsgegnerin hat u.a. darauf hingewiesen, dass der 13. Zivilsenat des OLG München in einigen Parallelverfahren vergleichbaren Vortrag zum Schaden nicht habe ausreichen lassen.

II. Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 10.08.2021 ist zwar zulässig erhoben, bleibt in der Sache aber im Ergebnis ohne Erfolg.

1. Das Rechtsmittel ist zulässig.

Die Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde gegen die Zurückweisung des Antrags auf Anordnung des dinglichen Arrestes ergibt sich aus § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO (vgl. Zöller/G. Vollkommer, ZPO, 33. Aufl., § 922 Rn. 19). Die zweiwöchige Notfrist des § 569 Abs. 1 ZPO und die Formvorschriften des § 569 Abs. 2 ZPO sind gewahrt.

2. Die sofortige Beschwerde ist jedoch zumindest im Ergebnis unbegründet.

a) Der Antragsteller hat schon nicht hinreichend dargelegt, dass ihm ein Arrestanspruch gegen die Antragsgegnerin zusteht (§§ 916 Abs. 1, 920 Abs. 2 ZPO). Insbesondere fehlt es an schlüssigem Vortrag, aus welchen An- und Verkaufsgeschäften sich der geltend gemachte Schaden ergeben soll.

Wie dem erkennenden Senat erst jetzt aus der Stellungnahme der Antragsgegnerin bekannt geworden ist, hat der 13. Zivilsenat des OLG München bereits in seinem Beschluss vom 11.08.2021, Gz. 13 W 1134/21, (ebenso im Beschluss vom 20.09.2021, Az. 13 W 1347/21, jeweils mit Beteiligung der hiesigen Antragstellervertreter) zutreffend ausgeführt, dass die bloße Vorlage von Wertpapierabrechnungen hierfür nicht genügt, zumal es sich vorliegend offenbar nicht um den Direkter...

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