Leitsatz (amtlich)

1. Der Form der Berufungsschrift des § 519 Abs. 2 ZPO ist nur entsprochen, wenn bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist angegeben wird, für wen und gegen wen das Rechtsmittel eingelegt werden soll, wobei strenge Anforderungen zu stellen sind, die - wie hier - nicht erfüllt sind, wenn ausdrücklich die Berufung nur im Namen der Klägerin und Widerbeklagten (Geschädigte und Schädigerin bei Verkehrsunfall), nicht jedoch im Namen der Drittwiderbeklagten (Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer der Klägerin) eingelegt wird (in Fortschreibung zu BGH Urt. v. 21.7.2017 - V ZR 72/16, NZM 2017, 853 Rn. 8 f.; BGH Beschl. v. 20.1.2004 - VI ZB 68/03, r+s 2005, 90 = juris Rn. 19; BGH Beschl. v. 16.7.1998 - VII ZB 7/98, NJW 1998, 3499 = juris Rn. 6 ff.).

2. Jedenfalls noch im Jahr 2018 war für Radfahrer das Tragen von Schutzhelmen nach allgemeinem Verkehrsbewusstsein zum eigenen Schutz im Sinne des § 254 Abs. 1 BGB nicht erforderlich (in Fortschreibung zu BGH Urt. v. 17.6.2014 - VI ZR 281/13, r+s 2014, 422 Rn. 15 für das Jahr 2011; OLG Nürnberg Urt. v. 20.8.2020 - 13 U 1187/20, NJW 2020, 3603 = juris Rn. 19 ff. für das Jahr 2017; OLG Hamm Urt. v. 22.11.2022 - 7 U 8/22 für das Jahr 2016).

 

Normenkette

BGB § 254 Abs. 1, § 823 Abs. 1; StVG § 7; ZPO § 519 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Essen (Aktenzeichen 6 O 125/19)

 

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Drittwiderbeklagten zu 1) und 2) gemäß § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise jedenfalls als unbegründet zurückzuweisen.

Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.

Es wird der Klägerin, der Widerbeklagten und den Drittwiderbeklagten Gelegenheit gegeben, binnen drei Wochen nach Zugang dieses Beschlusses Stellung zu nehmen.

 

Gründe

I. Die Klägerin (und Widerbeklagte) und der Beklagte als Widerkläger begehren wechselseitig die Zahlung von Schadensersatz (und der Beklagte von Schmerzensgeld) nach einem Verkehrsunfall vom 0.0.2018. Der von dem Drittwiderbeklagten zu 2) geführte, bei der Drittwiderbeklagten zu 1) haftpflichtversicherte, Pkw A kollidierte mit dem radfahrenden Beklagten.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und die (Dritt-)Widerbeklagten gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Beklagten 138,59 EUR nebst Zinsen, 88,71 EUR nebst Zinsen sowie ein Schmerzensgeld i. H. v. 2.000,00 EUR nebst Zinsen zu zahlen und den Beklagten von vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren i. H. v. 334,75 EUR freizustellen. Im Übrigen hat es die Widerklage abgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe gegen den Beklagten keinen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB, da sie einen Rotlichtverstoß des radfahrenden Beklagten nicht nachzuweisen vermocht habe. Eine Haftung der (Dritt-)Widerbeklagten folge aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG (i.V.m. § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG i.V.m. § 1 PflVG). Ein Mitverschulden des Widerklägers sei wiederum nicht erwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes, insbesondere wegen der erstinstanzlichen Anträge, und der Entscheidungsgründe wird auf das angefochtene Urteil (Bl. 530 ff. der erstinstanzlichen Papierakte (PA)) Bezug genommen.

Das Urteil ist am 04.07.2022 an den vormaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin, Widerbeklagten und Drittwiderbeklagten zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 27.07.2022 (Bl. 5 der zweitinstanzlichen elektronischen Akte (eGA)), der am selben Tag bei dem Oberlandesgericht eingegangen ist, hat dieser unter vollem erstinstanzlichem Rubrum ausgeführt, er lege "namens und in Vollmacht der Klägerin" Berufung ein.

Nach einem Anwaltswechsel und einer Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 31.10.2022 hat der neue Prozessbevollmächtigte der Klägerin, Widerbeklagten und Drittwiderbeklagten zu 1) und 2) die Berufung mit Schriftsatz vom 21.10.2022, der am 25.10.2022 bei dem Oberlandesgericht eingegangen ist, begründet. Zur Begründung der Berufung wird im Wesentlichen ausgeführt, die Beweiswürdigung des Landgerichts überzeuge nicht. Dieses habe sich nicht mit den abseits des Gutachtens für bzw. gegen einen Rotlichtverstoß des Beklagten sprechenden Gesichtspunkten auseinandergesetzt und habe zudem eine entscheidende Äußerung des Beklagten persönlich übersehen.

Die Berufungskläger(innen) vertreten die Ansicht, die Berufung sei am 27.07.2022 zulässig auch für die Drittwiderbeklagten zu 1) und 2) eingelegt worden. Die erforderliche Klarheit über die Person des Berufungsklägers sei nicht ausschließlich durch dessen ausdrückliche Bezeichnung zu erzielen ist, sondern könne auch im Wege der Auslegung der Berufungsschrift und der etwa sonst vorliegenden Unterlagen gewonnen werden. Bei der Auslegung von Prozesserklärungen sei der Grundsatz zu beachten, dass im Zweifel dasjenige gewollt sei, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig sei und der wohlverstandenen Interessenlage entspreche. Eine Berufung nur für die Aktivansprüche der Klägerin sei b...

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