Leitsatz (amtlich)

1. Beitragszahlungen des späteren Insolvenzschuldners an einen Sozialversicherungsträger unterliegen der Insolvenzanfechtung nach den §§ 129 ff. InsO auch insoweit, als sie auf Arbeitnehmeranteile zu verrechnen sind. Die Erstattung hat an den Insolvenzverwalter und nicht an die versicherten Arbeitnehmer zu erfolgen.

2. Die Inanspruchnahme eines allgemein eingeräumten und nicht ausgeschöpften Kreditrahmens oder die geduldete Überziehung eines Bankkontos ist regelmäßig als Verringerung der Aktivmasse anzusehen und kann daher eine Gläubigerbenachteiligung darstellen, wenn diese Kreditmittel vom späteren Insolvenzschuldner für die Befriedigung eines einzelnen Gläubigers und nicht in anderer Weise zum Nutzen des Geschäftsbetriebes verwendet werden. Von einem unbeachtlichen bloßen „Passivtausch” kann dann nicht gesprochen werden.

3. Der Insolvenzverwalter muss nicht darlegen und beweisen, dass und wofür die Kreditmittel ohne die angefochtene Rechtshandlung in Anspruch genommen worden wären und inwiefern sich aus diesem Mitteleinsatz ein Nutzen für die Gesamtheit der Gläubiger ergeben hätte. Der Anfechtungsgegner kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass der Schuldner bis zur Beantragung und Eröffnung des Insolvenzverfahrens auch ohne die angefochtene Rechtshandlung sein ganzes Vermögen weggegeben und insbesondere seine Liquidität zwecks Befriedigung anderer einzelner Gläubiger ausgeschöpft hätte.

 

Normenkette

InsO § 17 Abs. 2 S. 1, §§ 129, 130 Abs. 1 Nr. 1, § 2; SGB IV § 26 Abs. 3 S. 1, § 28e Abs. 1, § 28h Abs. 1 S. 3, § 28r Abs. 1; StGB § 266a

 

Verfahrensgang

LG Hamburg (Aktenzeichen 303 O 247/00)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des LG Hamburg, Zivilkammer 3, vom 16.2.2001 (303 O 247/00) wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger, Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der K.-GmbH (im Folgenden: Schuldnerin), macht Ansprüche im Wege der Insolvenzanfechtung gegen die Beklagte geltend.

Die Schuldnerin geriet im Jahre 1999 in finanzielle Schwierigkeiten. Wegen der Entwicklung ihrer wirtschaftlichen Situation im Einzelnen wird auf die im Schriftsatz des Klägers vom 6.11.2000 (dort S. 3 f., Bl. 26 f. d.A.) enthaltene Aufstellung verwiesen. Ihr war seinerzeit auf ihrem Girokonto bei der Hamburger Sparkasse ein Kontokorrentkredit i.H.v. 500.000 DM eingeräumt worden, welchen sie in zwischen 400.000 DM und 500.000 DM wechselnder Höhe in Anspruch nahm. Andere Kredite standen ihr nicht zur Verfügung.

Am 3.11.1999 unterbreitete die Schuldnerin ihren Gläubigern, zu denen die Beklagte gehörte, einen Vorschlag für einen Sanierungsvergleich. In diesem Vorschlag ist – bezogen auf den September 1999 – von Verbindlichkeiten (ohne Bankschulden) i.H.v. 1.777.964,14 DM und von offenen Forderungen (einschließlich ablösbarer und nicht ablösbarer Gewährleistungseinbehalte) i.H.v. 1.091682,14 DM die Rede. Weiter heißt es dort, dass angestrebt sei, mit den Lieferanten einen Vergleich mit einer Quote von 35 % zu erreichen. Die Krankenkassen sowie das Finanzamt sollten eine Quote zwischen 35 und 100 %, die Berufsgenossenschaften und Lohnausgleichskassen eine Quote von 50 % ihrer Forderungen erhalten. Die Bankverbindlichkeiten sollten umgeschuldet werden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Anl. K 3 Bezug genommen.

Mit einem Scheck über 9.952,26 DM, der ihrem Girokonto bei der H. Sparkasse mit Wertstellung zum 15.11.1999 belastetet wurde (Anl. K 1), bezahlte die Schuldnerin die Sozialversicherungsbeiträge ihrer bei der Beklagten versicherten Arbeitnehmer für den Monat Oktober 1999. Zu diesem Zeitpunkt war der Kontokorrentkredit noch nicht ausgeschöpft.

Die Vergleichsbemühungen der Schuldnerin scheiterten. Am 20.12.1999 wurde der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen gestellt.

Nach seiner Bestellung zum Insolvenzverwalter im Zusammenhang mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß Beschluss des AG R. vom 28.2.2000 erklärte der Kläger u.a. die Anfechtung der erwähnten Scheckzahlung gem. § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO und forderte die Beklagte auf, den Betrag von 9.952,26 DM bis zum 24.7.2000 zu erstatten. Die Beklagte kam seiner Rückforderung nur zur Hälfte, nämlich hinsichtlich der in den Beiträgen enthaltenen Arbeitgeberanteile, nach.

Mit der vorliegenden Klage fordert der Kläger die zweite Hälfte der Scheckzahlung, also die Arbeitnehmeranteile, i.H.v. 4.976,13 DM im Wege der Insolvenzanfechtung zurück. Soweit die Parteien darüber hinaus über die Anfechtung einer weiteren Scheckzahlung mit Wertstellung zum 17.12.1999 gestritten haben, hat die Beklagte den mit der Klage g...

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