Entscheidungsstichwort (Thema)

Restitutionsgrund. Urteil des EGMR. Urteil in Urkundsform nach Rechtskraft der angefochtenen Entscheidung. Erweiterte Auslegung. Bindung der beteiligten Vertragspartei. Zugrundelegung von Entscheidungen des EGMR in methodisch vertretbarem Rahmen. Wahlrecht. Völkerrechtskonforme Auslegung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein Restitutionsgrund ist nicht gegeben, wenn der Wiederaufnahmeanspruch auf ein Urteil des EGMR gestützt wird, das erst weit nach Rechtskraft der angefochtenen Entscheidung in seiner Urkundsform errichtet und inhaltlich festgelegt wurde.

2. Deutsche Gerichte müssen Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), die einen von ihnen bereits entschiedenen Fall betreffen, jedenfalls dann berücksichtigen, wenn sie erneut über den Gegenstand entscheiden und den Urteilen ohne Gesetzesverstoß Rechnung tragen können. Für eine Korrektur einer gerichtlichen Entscheidung ist also nur Raum, wenn das Gericht nach innrdeutschem Verfahrensrecht die Möglichkeit hat, in der Sache erneut tätig zu werden.

 

Normenkette

ZPO § 580 Nrn. 6, 7b; EGBGB Art. 233 § 11 Abs. 3; EMRK Art. 46 Abs. 1

 

Tenor

1. Die Restitutionsklage wird als unzulässig verworfen.

2. Die Kläger tragen die Kosten des Rechtsstreits als Gesamtschuldner.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages wegen der Kosten für die Beklagte vorläufig vollstreckbar.

 

Tatbestand

Die Kläger begehren im Wege der Durchführung des Wiederaufnahmeverfahrens die Aufhebung eines Anerkenntnisurteils im schriftlichen Vorverfahren.

Die Restitutionskläger zu 1–5 sind im zugrundeliegenden Vorprozess vom damals klagenden Land Mecklenburg-Vorpommern mit Klagschrift vom 29.05.2000 dahingehend in Anspruch genommen worden, die bislang in ihrem Eigentum stehenden Grundstücke der Gemarkung Rakow-Teßmannsdorf, Flur 1, Flurstück 103 und 122, eingetragen im Grundbuch von Rakow Bl. 1015, unentgeltlich an das Land Mecklenburg-Vorpommern aufzulassen.

Die jetzigen Kläger hatten die vorbezeichneten Grundstücke in der früheren DDR von ihrem Vater, Herrn …, geerbt. Dieser hatte sie aus der Bodenreform zu Eigentum erworben. Das Land hatte geltend gemacht, dass die Kläger nicht zuteilungsfähig im Sinne des Art. 233, § 12 Abs. 3 EGBGB seien, da sie bei Ablauf des 15.03.1990 nicht in der Land-, Nahrungs- oder Forstwirtschaft tätig waren. Es hat eine vorrangige Berechtigung für die hier streitgegenständlichen vorwiegend landwirtschaftlich genutzten Grundstücke in Anspruch genommen und sich dabei auf Art. 233 § 11 Abs. 3 EGBGB gestützt.

Im Rahmen des hier anhängigen Wiederaufnahmeverfahrens machen die Restitutionskläger geltend, sie hätten wegen der Aussichtslosigkeit ihrer Rechtsverteidigung den geltend gemachten Anspruch des nun beklagten Landes anerkannt, da sowohl der Bundesgerichtshof mit Urteilen vom 17.12.1998 (BGHZ 140, 223) und vom 20.10.2000 (VIZ 2001, 103) und das Bundesverfassungsgericht mit Nichtannahmebeschluss vom 06.10.2000 (VIZ 2001, 111) die in vorzitierter Norm vorgesehene entschädigungslose Verpflichtung zur Eigentumsübertragung für rechts- und verfassungsmäßig erklärt hatten. Entsprechend erging das nun angefochtene Anerkenntnisurteil.

Zwischenzeitlich hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg in anderweitigen Verfahren mit Urteil vom 22.01.2004 entschieden, dass die Verpflichtung zur unentgeltlichen Auflassung aus Art. 233 § 11 Abs. 3 EGBGB gegen das in Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verankerte Menschenrecht auf Achtung des Eigentums verstößt.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung in dieser Sache vom 11.11.2004 hat die Prozessbevollmächtigte der Kläger für diese das Anerkenntnis aus dem Vorprozess widerrufen.

Die Kläger sind der Ansicht, dass ihre Verurteilung zu Unrecht erfolgt sei. Sie machen geltend, sie hätten nach rechtskräftiger Verurteilung eine Urkunde aufgefunden, die die Urteilsgrundlagen im Vorprozess erschüttere und die, hätte sie bereits im Vorprozess vorgelegen, zu einer vollständigen Klagabweisung und damit zu einer den Restitutionsklägern günstigeren Entscheidung geführt hätte, weshalb die Kläger in Kenntnis dieser Urkunde ihr Anerkenntnis auch nicht abgegeben hätten. Bei dieser Urkunde handele es sich um das Urteil des EGMR in Straßburg vom 16.12.2003 (Beschwerdenummer: 46720/99, 72203/01, 72552/01). Dieses hat der EGMR am 22.01.2004 verkündet.

Durch die Entscheidung des EGMR stehe fest, dass das angegriffene rechtskräftige Urteil des LG Rostock materiell unrichtig sei, weil die darin ausgeurteilte Verpflichtung der Kläger menschenrechtswidrig erfolgt sei und ihr Recht auf Achtung des Eigentums im Sinne der Europäischen Menschenrechtskonvention verletzt werde. Die Europäische Menschenrechtskonvention sei unmittelbar in der BRD geltendes Recht, da diese die Konvention durch deren Ratifizierung in innerstaatliches deutsches Recht umgesetzt habe. Hierneben sei die BRD mit all ihren Organen gem. Art. 46 der E...

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