Entscheidungsstichwort (Thema)

Assoziierungsabkommen EWG-Türkei. Familienzusammenführung. Art. 7 Abs. 1 erster Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats. Kind eines türkischen Arbeitnehmers, das länger als drei Jahre bei diesem gewohnt hat, jedoch vor Ablauf der in der genannten Vorschrift festgelegten dreijährigen Frist geheiratet hat. Nationales Recht, das aus diesem Grund die Aufenthaltserlaubnis des Betroffenen in Frage stellt

 

Beteiligte

Pehlivan

Fatma Pehlivan

Staatssecretaris van Justitie

 

Tenor

Art. 7 Abs. 1 erster Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 des durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichteten Assoziationsrats vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation ist dahin auszulegen, dass

  • diese Vorschrift einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der ein Familienangehöriger eines bereits dem regulären Arbeitsmarkt dieses Staates angehörenden türkischen Wanderarbeitnehmers, dem ordnungsgemäß die Genehmigung erteilt worden war, zu Letzterem zu ziehen, die nach dieser Vorschrift im Rahmen der Familienzusammenführung vorgesehenen Rechte allein deshalb, weil er nach Eintritt der Volljährigkeit geheiratet hat, verliert, obwohl er während der ersten drei Jahre seines Aufenthalts im Aufnahmemitgliedstaat bei diesem Arbeitnehmer wohnen bleibt;
  • ein türkischer Staatsangehöriger, der wie die Klägerin des Ausgangsverfahrens unter die genannte Vorschrift fällt, ein Aufenthaltsrecht im Aufnahmemitgliedstaat auf der Grundlage dieser Vorschrift geltend machen kann, auch wenn er vor Ablauf der in dem genannten Abs. 1 erster Gedankenstrich vorgesehenen dreijährigen Frist geheiratet hat, sofern er während dieser gesamten Zeit tatsächlich mit dem türkischen Wanderarbeitnehmer zusammenwohnt, durch den er im Rahmen der Familienzusammenführung in diesen Mitgliedstaat einreisen durfte.
 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht von der Rechtbank 's-Gravenhage (Niederlande) mit Entscheidung vom 22. Oktober 2007, beim Gerichtshof eingegangen am 31. Oktober 2007, in dem Verfahren

Fatma Pehlivan

gegen

Staatssecretaris van Justitie

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano, der Richter J.-J. Kasel (Berichterstatter), A. Borg Barthet und E. Levits sowie der Richterin M. Berger,

Generalanwältin: E. Sharpston,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 15. April 2010,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von Frau Pehlivan, vertreten durch P. H. Hillen, advocaat,
  • der niederländischen Regierung, vertreten durch C. Wissels, M. de Mol und B. Koopman als Bevollmächtigte,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und J. Möller als Bevollmächtigte,
  • der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von W. Ferrante, avvocato dello Stato,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Rozet und M. van Beek als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 8. Juli 2010

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 7 Abs. 1 erster Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (im Folgenden: Beschluss Nr. 1/80). Der Assoziationsrat wurde durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichtet, das am 12. September 1963 in Ankara von der Republik Türkei einerseits und den Mitgliedstaaten der EWG und der Gemeinschaft andererseits unterzeichnet und durch den Beschluss 64/732/EWG des Rates vom 23. Dezember 1963 (ABl. 1964, Nr. 217, S. 3685) im Namen der Gemeinschaft geschlossen, gebilligt und bestätigt wurde.

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Pehlivan, einer türkischen Staatsangehörigen, und dem Staatssecretaris van Justitie (Staatssekretär für Justiz, im Folgenden: Staatssecretaris) wegen Entzugs ihrer Aufenthaltserlaubnis und wegen ihrer Ausweisung aus den Niederlanden.

Rechtlicher Rahmen

Assoziation zwischen der EWG und der Türkei

Rz. 3

Art. 59 des am 23. November 1970 in Brüssel unterzeichneten und durch die Verordnung (EWG) Nr. 2760/72 des Rates vom 19. Dezember 1972 (ABl. L 293, S. 1) im Namen der Gemeinschaft geschlossenen, gebilligten und bestätigten Zusatzprotokolls lautet:

„In den von diesem Protokoll erfassten Bereichen darf der Türkei keine günstigere Behandlung gewährt werden als diejenige, die sich die Mitgliedstaaten untereinander aufgrund des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft einräumen.”

Rz. 4

Abschnitt 1 des Kapitels II („Soziale Bestimmungen”) des Beschlusses Nr. 1/80 regelt „Fragen betreffend die Beschäftigung und die Freizügigkeit der Arbeitnehmer”. Er umfasst die Art. 6 bis 16 des Beschlusses.

Rz. 5

Art. 6 Abs. ...

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