Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Sozialpolitik. Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers. Unternehmen, das seinen Sitz in einem Mitgliedstaat hat und seine Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat anbietet. Arbeitnehmer mit Wohnsitz in diesem anderen Mitgliedstaat. Im Sitzmitgliedstaat des Arbeitgebers und jede zweite Woche im Wohnmitgliedstaat des Arbeitnehmers verrichtete Arbeit. Bestimmung des Mitgliedstaats, dessen Garantieeinrichtung für die Befriedigung nicht erfüllter Ansprüche auf Arbeitsentgelt zuständig ist

 

Normenkette

Richtlinie 2008/94/EG Art. 9 Abs. 1

 

Beteiligte

IEF Service

IEF Service GmbH

HB

 

Tenor

Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2008/94/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers

ist dahin auszulegen, dass

bei der Bestimmung des Mitgliedstaats, dessen Garantieeinrichtung für die Befriedigung nicht erfüllter Arbeitnehmeransprüche zuständig ist, davon auszugehen ist, dass der Arbeitgeber, der zahlungsunfähig ist, nicht im Sinne dieser Bestimmung im Hoheitsgebiet mindestens zweier Mitgliedstaaten tätig ist, wenn nach dem Arbeitsvertrag des betreffenden Arbeitnehmers dessen Arbeitsschwerpunkt und gewöhnlicher Arbeitsort im Sitzmitgliedstaat des Arbeitgebers liegen, der Arbeitnehmer aber seine Aufgaben zu einem ebenso großen Teil seiner Arbeitszeit aus der Ferne von einem anderen Mitgliedstaat aus verrichtet, in dem sich sein Hauptwohnsitz befindet.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Obersten Gerichtshof (Österreich) mit Beschluss vom 14. September 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 25. November 2021, in dem Verfahren

IEF Service GmbH

gegen

HB

erlässt

DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin M. L. Arastey Sahún (Berichterstatterin) sowie der Richter N. Wahl und J. Passer,

Generalanwalt: J. Richard de la Tour,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von HB, vertreten durch Rechtsanwalt C. Orgler,
  • der österreichischen Regierung, vertreten durch A. Posch, J. Schmoll und F. Werni als Bevollmächtigte,
  • der tschechischen Regierung, vertreten durch O. Serdula, M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und A. Hoesch als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch B.-R. Killmann und D. Recchia als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2008/94/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers (ABl. 2008, L 283, S. 36).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der IEF Service GmbH und HB über die Gewährung von Insolvenz-Entgelt an HB.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 2008/94

Rz. 3

Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2008/94 lautet:

„Diese Richtlinie gilt für Ansprüche von Arbeitnehmern aus Arbeitsverträgen oder Arbeitsverhältnissen gegen Arbeitgeber, die zahlungsunfähig im Sinne des Artikels 2 Absatz 1 sind.”

Rz. 4

Art. 2 Abs. 1 dieser Richtlinie bestimmt:

„Im Sinne dieser Richtlinie gilt ein Arbeitgeber als zahlungsunfähig, wenn die Eröffnung eines nach den Rechts- und Verwaltungsvorschriften eines Mitgliedstaats vorgeschriebenen Gesamtverfahrens beantragt worden ist, das die Insolvenz des Arbeitgebers voraussetzt und den teilweisen oder vollständigen Vermögensbeschlag gegen diesen Arbeitgeber sowie die Bestellung eines Verwalters oder einer Person, die eine ähnliche Funktion ausübt, zur Folge hat, und wenn die aufgrund der genannten Rechts- und Verwaltungsvorschriften zuständige Behörde

  1. die Eröffnung des Verfahrens beschlossen hat; oder
  2. festgestellt hat, dass das Unternehmen oder der Betrieb des Arbeitgebers endgültig stillgelegt worden ist und die Vermögensmasse nicht ausreicht, um die Eröffnung des Verfahrens zu rechtfertigen.”

Rz. 5

Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit vorbehaltlich des Artikels 4 Garantieeinrichtungen die Befriedigung der nicht erfüllten Ansprüche der Arbeitnehmer aus Arbeitsverträgen und Arbeitsverhältnissen sicherstellen, einschließlich, sofern dies nach ihrem innerstaatlichen Recht vorgesehen ist, einer Abfindung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses.”

Rz. 6

Art. 9 der Richtlinie 2008/94, der zu deren Kapitel IV („Vorschriften für grenzübergreifende Fälle”) gehört, bestimmt in Abs. 1:

„Ist ein Unternehmen, das im Hoheitsgebiet mindestens zweier Mitgliedstaaten tätig ist, zahlungsunfähig im Sinne von Artikel 2 Absatz 1, so ist für die Befriedigung der nicht erfüllten Arbeitnehmeransprüche die Einrichtung desjenigen Mitgliedsta...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt VerwalterPraxis Professional. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge