Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Sozialpolitik. Verbot der Altersdiskriminierung. Ausschluss der vor Vollendung des 18. Lebensjahrs erworbenen Berufserfahrung. Neues Besoldungs- und Vorrückungssystem. Beibehaltung der Ungleichbehandlung. Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Nationale Regelung, die eine teilweise Anrechnung von Vordienstzeiten vorsieht

 

Normenkette

Richtlinie 2000/78/EG; Verordnung (EU) Nr. 492/2011 Art. 7 Abs. 1; AEUV Art. 45

 

Beteiligte

Österreichischer Gewerkschaftsbund

Österreichischer Gewerkschaftsbund, Gewerkschaft Öffentlicher Dienst

Republik Österreich

 

Tenor

1. Die Art. 1, 2 und 6 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf sind in Verbindung mit Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass sie einer rückwirkend in Kraft gesetzten nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, wonach zur Beseitigung einer Diskriminierung wegen des Alters die Überleitung von Bestandsvertragsbediensteten in ein neues Besoldungs- und Vorrückungssystem vorgesehen ist, in dem sich die erste Einstufung dieser Vertragsbediensteten nach ihrem letzten gemäß dem alten System bezogenen Gehalt richtet.

2. Das nationale Gericht ist, wenn nationale Rechtsvorschriften nicht im Einklang mit der Richtlinie 2000/78 ausgelegt werden können, verpflichtet, im Rahmen seiner Befugnisse den Rechtsschutz, der dem Einzelnen aus dieser Richtlinie erwächst, zu gewährleisten und für ihre volle Wirkung zu sorgen, indem es erforderlichenfalls jede entgegenstehende nationale Vorschrift unangewendet lässt. Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass die Wiederherstellung der Gleichbehandlung in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens, wenn eine unionsrechtswidrige Diskriminierung festgestellt wurde und solange keine Maßnahmen zur Wiederherstellung der Gleichbehandlung erlassen wurden, voraussetzt, dass den durch das alte Besoldungs- und Vorrückungssystem benachteiligten Vertragsbediensteten die gleichen Vorteile gewährt werden wie den von diesem System begünstigten Vertragsbediensteten, sowohl in Bezug auf die Berücksichtigung vor Vollendung des 18. Lebensjahrs zurückgelegter Vordienstzeiten als auch bei der Vorrückung in der Gehaltstabelle, und dass den diskriminierten Vertragsbediensteten infolgedessen ein finanzieller Ausgleich in Höhe der Differenz zwischen dem Gehalt, das der betreffende Vertragsbedienstete hätte beziehen müssen, wenn er nicht diskriminiert worden wäre, und dem tatsächlich von ihm bezogenen Gehalt gewährt wird.

3. Art. 45 AEUV und Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach für die Bestimmung des Besoldungsdienstalters eines Vertragsbediensteten die Vordienstzeiten, die in einem Dienstverhältnis zu einer Gebietskörperschaft oder zu einem Gemeindeverband eines Mitgliedstaats des Europäischen Wirtschaftsraums, der Türkischen Republik oder der Schweizerischen Eidgenossenschaft, zu einer Einrichtung der Europäischen Union, zu einer zwischenstaatlichen Einrichtung, der Österreich angehört, oder zu ähnlichen Stellen zurückgelegt wurden, zur Gänze angerechnet werden, während alle anderen Vordienstzeiten nur im Ausmaß von bis zu zehn Jahren angerechnet werden und nur sofern sie einschlägig sind.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Obersten Gerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 19. Dezember 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 18. Januar 2017, in dem Verfahren

Österreichischer Gewerkschaftsbund, Gewerkschaft Öffentlicher Dienst

gegen

Republik Österreich

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung der Vizepräsidentin des Gerichtshofs R. Silva de Lapuerta in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Ersten Kammer sowie der Richter A. Arabadjiev (Berichterstatter), E. Regan, C. G. Fernlund und S. Rodin,

Generalanwalt: H. Saugmandsgaard Øe,

Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 12. September 2018,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • des Österreichischen Gewerkschaftsbunds, Gewerkschaft Öffentlicher Dienst, vertreten durch die Rechtsanwälte M. Riedl und V. Treber-Müller,
  • der österreichischen Regierung, vertreten durch G. Hesse und J. Schmoll als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch B.-R. Killmann und D. Martin als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 6. Dezember 2018

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 45 AEUV, der Art. 21 und 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta), von Art. 7 Abs. 1 der ...

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