Entscheidungsstichwort (Thema)

Erschließung. Vertrauensgrundlage. Nutzungsmöglichkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Das Vorliegen einer "Vertrauensgrundlage" für Vorbereitungen des Eigentümers zur Verwirklichung von im Bebauungsplan vorgesehenen Nutzungsmöglichkeiten setzt nicht voraus, dass für das beabsichtigte Vorhaben die Erschließung bereits vorhanden bzw. i.S.d. § 30 Abs. 1 BauGB "gesichert" ist. Es reicht aus, wenn mit der Erschließung in absehbarer Zeit - etwa auch durch den Eigentümer selbst in Verwirklichung seines Vorhabens - gerechnet werden kann.

 

Normenkette

BauGB § 39

 

Verfahrensgang

OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 15.12.2003; Aktenzeichen 100 U 1/03 (BauI), LG Kassel)

 

Tenor

Die Beschwerde der Beteiligten zu 1) gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Senats für Baulandsachen des OLG Frankfurt v. 15.12.2003 (OLG Frankfurt, Urt. v. 15.12.2003 - 100 U 1/03 (Baul)) wird zurückgewiesen.

Die Beteiligte zu 1) hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Streitwert: 394.930,69 EUR.

 

Gründe

I.

Die Beteiligte zu 2) erwarb Grundstücke im Bereich des Bebauungsplans Nr. 12v. 2.6.1975 der Beteiligten zu 1) ("Gewerbegebiet Haischwiese") und beantragte 1993 eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Errichtung eines Gefahrstofflagers. Daraufhin verhängte die Beteiligte zu 1) am 11.9.1994 eine - zur Aussetzung der Entscheidung über den Genehmigungsantrag der Beteiligten zu 2) führende - Veränderungssperre und änderte anschließend den Bebauungsplans Nr. 12 dahin, dass eine Nutzung der Grundstücke der Beteiligten zu 2) als Lager für wassergefährdende und bodenverunreinigende Stoffe ausgeschlossen ist.

Auf das Entschädigungsbegehren der Beteiligten zu 2) gem. § 39 BauGB hat die Beteiligte zu 3) (höhere Verwaltungsbehörde) eine von der Beteiligten zu 1) an die Beteiligten zu 2) zu zahlende Entschädigung i.H.v. 772.417,30 DM (richtig umgerechnet: 94.930,69 EUR) festgesetzt. Im gerichtlichen Verfahren hat zwar das LG (Kammer für Baulandsachen) den Bescheid der Beteiligten zu 3) aufgehoben, das OLG (Senat für Baulandsachen) hat ihn jedoch auf die Berufung der Beteiligten zu 2) wiederhergestellt.

II.

Die gegen die Nichtzulassung der Revision gerichtete Beschwerde der Beteiligten zu 1) hat keinen Erfolg. Weder ergibt sich aus ihrem Vorbringen, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 ZPO).

1. Was die Frage der Rechtsverbindlichkeit des Bebauungsplans Nr. 12 vor dessen - den Entschädigungsanspruch der Beteiligten zu 2) auslösenden - Änderung angeht, hat das Berufungsgericht in nicht revisibler Anwendung des § 5 Abs. 4 HGO angenommen, dass ein etwaiger landesrechtlicher Verfahrensmangel bei der Aufstellung (Nichtanhörung des Ortsbeirats, § 82 Abs. 3 HGO) mangels fristgerechter Geltendmachung für die Rechtswirksamkeit der Satzung unbeachtlich wäre. Diese landesrechtliche Möglichkeit der "Heilung" einer Satzung wird beim Bebauungsplan nicht durch § 215a BauGB verdrängt. Für das durch letztere Vorschrift eröffnete Verfahren ist Raum, wenn - noch - ein beachtlicher Mangel der Satzung vorliegt; ist der Fehler nach Landesrecht bereits unbeachtlich geworden, besteht nach dem eindeutigen Regelungszusammenhang für ein solches Verfahren kein Anlass.

2. Aus dem Beschwerdevorbringen ergeben sich auch keine Revisionszulassungsgründe, soweit das Berufungsgericht der Beteiligten zu 2) zugesteht, "im berechtigten Vertrauen" auf den Bestand des Bebauungsplans Nr. 12 Vorbereitungen für ihr Bauvorhaben getroffen zu haben.

a) Mit dem Hinweis auf ihr Vorbringen, die Aufwendungen der Beteiligten zu 2) seien von vornherein wertlos gewesen, weil die von ihr geplante und beantragte Anlage keine Genehmigung nach § 4 BImSchG erhalten hätte, wirft die Beschwerde der Sache nach keine rechtsgrundsätzliche Frage auf, sondern sie beanstandet nur die - wie sie meint, unzureichenden - tatrichterlichen Feststellungen zur Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens der Beteiligten zu 2). Indessen ergibt sich aus dem Zusammenhang der Ausführungen des Berufungsgerichts, insb. auch i.V.m. der Begründung des Entschädigungsfeststellungsbescheids der Beteiligten zu 3) v. 19.12.2001, dass nach dem damaligen Kenntnisstand von der Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens auszugehen war, zumal auch sämtliche im Genehmigungsverfahren eingeholten Stellungnahmen der anzuhörenden anderen behördlichen Stellen positiv waren bzw. keine Einschränkungen erhoben wurden.

b) Zur Zulassung der Revision nötigt auch nicht die Rüge der Beschwerde, dass das Berufungsgericht sich nicht mit dem Vorbringen der Beteiligten zu 1) auseinander gesetzt habe, für das Vorhaben der Beteiligten zu 2) sei die für eine Baugenehmigung nach § 30 BauGB erforderliche Erschließung nicht gegeben bzw. gesichert gewesen. Wie die Beschwerdeerwiderung zutreffend hervorhebt, kommt es für den Entschädigungsanspruch nach § 39 BauGB nicht darauf an, ob für das von der Planänderung betroffene Bauvorhaben bereits eine Erschließung vorhanden bzw. diese i.S.d. § 30 BauGB "gesichert" ist (zu letzterem Erfordernis vgl. Gaentzsch in Berliner Kommentar, BauGB, 3. Aufl., August 2002, § 30 Rz. 12 ff., 14). Unter dem für § 39 BauGB ausschlaggebenden Gesichtspunkt, ob sich aus der planungsrechtlichen Situation und den sonstigen rechtlichen und örtlichen Gegebenheiten eine "Vertrauensgrundlage" für Vorbereitungen des Eigentümers zur Verwirklichung von im Bebauungsplan vorgesehenen Nutzungsmöglichkeiten ergeben hat, muss es ausreichen, wenn mit der Erschließung in absehbarer Zeit - etwa auch durch den Eigentümer selbst in Verwirklichung seines Vorhabens - gerechnet werden kann (Breuer in Schrödter, BauGB, 6. Aufl., § 39 Rz. 30; Gaenzsch in Berliner Kommentar, BauGB, 2. Aufl., § 39 Rz. 9; vgl. auch Paetow in Berliner Kommentar, BauGB, 3. Aufl., Juli 2004, § 39 Rz. 18; Vogel in Brügelmann, BauGB, April 1997, § 30 Rz. 14; enger allerdings Battis in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 8. Aufl., § 39 Rz. 9; Bielenberg/Runkel in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, § 39 Rz. 14 f.). Vorliegend hatte die Beteiligte zu 2) in den Tatsacheninstanzen unwidersprochen vorgetragen, es sei davon auszugehen gewesen, dass die Erschließungsanlage spätestens bis zur Fertigstellung der anzuschließenden baulichen Anlage benutzbar sein werde.

3. Keine durch eine revisionsgerichtliche Entscheidung klärungsbedürftige Frage wirft die Beschwerde auf, soweit sie meint, auf den Anspruch aus § 39 BauGB müsse der das Planungsschadensrecht (§§ 40-42 BauGB) beherrschende Rechtsgedanke des § 42 Abs. 3 BauGB übertragen werden, wonach dann, wenn die zulässige Nutzung eines Grundstücks erst nach einer Frist von sieben Jahren aufgehoben oder geändert wird, der Eigentümer grundsätzlich nur eine Entschädigung für Eingriffe in die ausgeübte Nutzung verlangen kann (zur Reichweite dieser Reduktion vgl. BGH, Urt. v. 6.5.1999 - III ZR 174/98, BGHZ 141, 319 [322]). Diese Rechtsauffassung, die in der Fachliteratur, soweit ersichtlich, nirgends vertreten wird trifft - eindeutig - nicht zu (ausdrücklich abl. Battis in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 8. Aufl., § 39 Rz. 4; Paetow in Berliner Kommentar, BauGB, 3. Aufl., Juli 2004, § 39 Rz. 12; Doerfert in Gronemeyer, BauGB, Praxiskommentar, § 39 Rz. 4). Im Rahmen des § 39 BauGB geht es um den Ersatz konkreter Aufwendungen, die im Vertrauen auf eine bestimmte Planungslage getätigt wurden. Solche Aufwendungen sind auch noch nach Ablauf der besagten Sieben-Jahres-Frist grundsätzlich schutzwürdig.

4. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 544 Abs. 4 S. 2 ZPO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 1261651

BGHR 2005, 228

BauR 2005, 146

BauR 2005, 686

NVwZ 2005, 239

ZAP 2005, 322

ZfIR 2005, 327

DÖV 2005, 484

MDR 2005, 334

NuR 2005, 808

ZfBR 2005, 268

DVBl. 2005, 392

GV/RP 2005, 438

NZBau 2005, 152

UPR 2005, 262

FuBW 2005, 423

FuHe 2005, 373

FuNds 2005, 501

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