Leitsatz (amtlich)

a) Der Partei, welche den rechtzeitigen Eingang ihres Rechtsmittels beweisen muss, steht gegen den durch den Eingangsstempel als öffentliche Urkunde i.S.d. § 418 Abs. 1 ZPO erbrachten Beweis für einen Eingang des Schriftsatzes erst an dem im Stempel angegebenen Tag gem. § 418 Abs. 2 ZPO der im Wege des Freibeweises zu führende Gegenbeweis zu, welcher die volle Überzeugung des Gerichts (§ 286 Abs. 1 ZPO) von dem rechtzeitigen Eingang des Schriftsatzes erfordert (im Anschluss an BGH, Urt. v. 30.3.2000 - IX ZR 251/99 NJW 2000, 1872 unter II 1a; v. 2.11.2006 - BGH NJW 2007, 603 Rz. 5; v. 31.5.2017 - VIII ZR 224/16 NJW 2017, 2285 Rz. 18; jeweils m.w.N.).

b) Zur Pflicht des Rechtsmittelgerichts, insoweit auch Zeugenbeweis - vorliegend durch den die Rechtsmittelschrift in den Nachtbriefkasten einwerfenden Prozessbevollmächtigten der Partei - zu erheben.

 

Normenkette

ZPO §§ 517, 418, 233 Gd

 

Verfahrensgang

LG Bamberg (Beschluss vom 02.05.2019; Aktenzeichen 3 S 15/19)

AG Bamberg (Urteil vom 16.01.2019; Aktenzeichen 102 C 1109/18)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss des LG Bamberg - 3. Zivilkammer - vom 2.5.2019 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde: 2.808,84 EUR.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Herausgabe einer Mietwohnung in Anspruch. Die Klage hat vor dem AG Erfolg gehabt.

Rz. 2

Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 18.1.2019 zugestellte Urteil des AG hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 18.2.2019 Berufung eingelegt. Dieser Schriftsatz trägt den Eingangsstempel "Nachtbriefkasten" und das Datum "19. Feb. 2019".

Rz. 3

Nach Mitteilung des Eingangsdatums hat der Beklagtenvertreter vorgetragen, er habe die Rechtsmittelschrift am 18.2.2019 gegen 20.05 Uhr persönlich in den Nachtbriefkasten des LG eingeworfen, und um entsprechende Korrektur des Eingangsdatums gebeten.

Rz. 4

Das Berufungsgericht hat daraufhin eine Stellungnahme von zwei Mitarbeitern der Posteingangsstelle eingeholt. Diese haben angegeben, am Tag der Leerung des Nachtbriefkastens - 20.2.2019 - habe sich nur im Fach "Vortag" ein Briefeingang befunden, der dementsprechend mit dem Nachtbriefkastenstempel sowie dem Datumsstempel 19.2.2019 versehen worden sei. Sie haben weiter Angaben zur Funktionsfähigkeit des Nachtbriefkastens gemacht.

Rz. 5

Auf den Hinweis des Berufungsgerichts, wonach die Berufung mangels fristgerechten Eingangs unzulässig sei, hat der Beklagte unter Beifügung einer eidesstattlichen Versicherung seines Prozessbevollmächtigten beantragt, ihm für eine etwaige Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Rz. 6

Nach Einholung einer ergänzenden Stellungnahme der beiden Mitarbeiter der Posteingangsstelle zur Stempelung der Eingangspost sowie zu den Leerungen des Nachtbriefkastens am 19. und 20.2.2019 hat das Berufungsgericht mit Beschluss vom 2.5.2019 die Berufung des Beklagten sowie dessen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die Berufungsfrist verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Rz. 7

Die Berufung sei unzulässig. Der Nachweis fristgerechten Eingangs der Berufungsschrift bis zum 18.2.2019 sei nicht erbracht, was sich zum Nachteil des beweisbelasteten Beklagten auswirke. Eine Glaubhaftmachung fristgerechten Eingangs genüge nicht. Wäre der Berufungsschriftsatz, wie der Beklagtenvertreter angegeben habe, bereits am 18.2.2019 eingegangen, wäre er bereits bei der Posteingangskontrolle am Morgen des 19.2.2019 erfasst worden. Erfassungsfehler könnten ausgeschlossen werden. Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit der Stellungnahme beider Wachtmeister bestünden nicht. Andererseits habe die Kammer auch keine durchgreifenden Anhaltspunkte an der anwaltlich versicherten Darstellung des Beklagtenvertreters, er habe die Berufungsschrift bereits am Abend des 18.2.2019 in den Nachtbriefkasten eingeworfen, zu zweifeln. Nach freibeweislicher Aufklärung bleibe daher offen, ob die Berufungsfrist gewahrt worden sei, was sich zum Nachteil der Beklagtenseite auswirke.

Rz. 8

Der Wiedereinsetzungsantrag sei unzulässig, jedenfalls aber unbegründet. Der Beklagte habe schon keinen Wiedereinsetzungsgrund dargetan, da er auch zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags an seiner Darstellung festhalte, die Berufungsschrift sei vor Fristablauf in den Nachtbriefkasten eingeworfen worden. Der Antrag sei auch unbegründet, da durchgreifende Gründe für ein schuldloses Versäumen der Berufungsfrist weder dargelegt noch glaubhaft gemacht seien.

Rz. 9

Dagegen wendet sich der Beklagte mit seiner Rechtsbeschwerde.

II.

Rz. 10

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

Rz. 11

1. Die nach §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte sowie den Form- und Fristerfordernissen genügende Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Die angefochtene Entscheidung verletzt das Verfahrensgrundrecht des Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Dieses verbietet es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (st.Rspr.; vgl. nur BVerfGE 74, 228, 234; BVerfG, NJW 2012, 2869 Rz. 8; NZA 2016, 122 Rz. 10; BGH v. 12.7.2016 - VIII ZB 55/15, WuM 2016, 632 Rz. 1; v. 9.5.2017 - VIII ZB 69/16 NJW 2017, 2041 Rz. 9; v. 4.9.2018 - VIII ZB 70/17 NJW-RR 2018, 1325 Rz. 9). Indem das Berufungsgericht die Berufung ohne eine ausreichende Prüfung der Rechtzeitigkeit des Eingangs der Rechtsmittelschrift verworfen hat, hat es dem Beklagten den Zugang zur Berufungsinstanz unzulässig verwehrt.

Rz. 12

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Mit der gegebenen Begründung hätte das Berufungsgericht nicht von einer Versäumung der Berufungsfrist (§ 517 ZPO) ausgehen dürfen. Es hat fehlerhaft den Nachweis des rechtzeitigen Eingangs der Berufung als nicht geführt angesehen, ohne zuvor die gebotenen weiteren Maßnahmen zur Aufklärung ergriffen zu haben.

Rz. 13

a) Im Rahmen der von Amts wegen vorzunehmenden Prüfung der Zulässigkeit der Berufung (§ 522 Abs. 1 ZPO) hat das Berufungsgericht im Ausgangspunkt zutreffend angenommen, dass der Beklagte als Berufungsführer den rechtzeitigen Eingang der Berufungsschrift zu beweisen hat (vgl. BGH, Urt. v. 7.12.1994 - VIII ZR 153/93 NJW 1995, 665 unter II 3; BGH, Beschl. v. 8.10.2013 - VIII ZB 13/13, NJW-RR 2014, 179 Rz. 10; jeweils m.w.N.). Dabei erbringt gem. § 418 Abs. 1 ZPO der gerichtliche Eingangsstempel den vollen Beweis für einen erst an diesem Tag erfolgten - und damit vorliegend verspäteten - Eingang der Berufungsschrift.

Rz. 14

Dieser Beweis kann jedoch gem. § 418 Abs. 2 ZPO durch Gegenbeweis entkräftet werden. Dabei genügt die bloße Glaubhaftmachung i.S.d. § 294 Abs. 1 ZPO nicht. Obgleich wegen der Beweisnot des Beklagten hinsichtlich gerichtsinterner Vorgänge die Anforderungen an diesen Gegenbeweis nicht überspannt werden dürfen, erfordert er die volle Überzeugung des Gerichts (§ 286 Abs. 1 ZPO) vom rechtzeitigen Eingang (vgl. BGH, Urt. v. 30.3.2000 - IX ZR 251/99 NJW 2000, 1872 unter II 1a). Da der Außenstehende in der Regel keinen Einblick in die Funktionsweise des gerichtlichen Nachtbriefkastens sowie in das Verfahren bei dessen Leerung und damit keinen Anhaltspunkt für etwaige Fehlerquellen hat, ist es zunächst Sache des Gerichts, die insoweit zur Aufklärung nötigen Maßnahmen zu ergreifen (vgl. BGH, Urt. v. 30.3.2000 - IX ZR 251/99, a.a.O., unter II 1b; v. 2.11.2006 - BGH NJW 2007, 603 Rz. 5; v. 31.5.2017 - VIII ZR 224/16 NJW 2017, 2285 Rz. 20; Beschl. v. 27.11.1996 - XII ZB 177/96 NJW 1997, 1312 unter II 1).

Rz. 15

b) Dieser Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung ist das Berufungsgericht zwar insofern nachgekommen, als es zwei Stellungnahmen der mit der Bearbeitung des Posteingangs bei Gericht betrauten Bediensteten eingeholt hat, welche - was vorliegend angesichts des konkreten Beklagtenvortrags geboten war - detailliert (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 31.5.2017 - VIII ZR 224/16, a.a.O., Rz. 21 ff.) die Bearbeitung geschildert haben.

Rz. 16

c) Es hat jedoch verfahrensfehlerhaft unterlassen, den Sachverhalt durch Vernehmung des Prozessbevollmächtigten des Beklagten als Zeugen weiter aufzuklären.

Rz. 17

Das Berufungsgericht hat zwar auch die eidesstattlich versicherte Darstellung des Beklagtenvertreters, wonach er die Berufungsschrift bereits am Abend des 18.2.2019 in den Nachtbriefkasten eingeworfen habe, berücksichtigt und an deren Richtigkeit nicht gezweifelt. Es hätte jedoch die Wahrung der Berufungsfrist nicht als "offen" ansehen und sich damit zum Nachteil des (beweisbelasteten) Beklagten auswirkend behandeln dürfen, ohne den (angebotenen) Zeugenbeweis zu erheben.

Rz. 18

aa) Kommt das Berufungsgericht - wie vorliegend - zu dem Ergebnis, dass die vorgelegte eidesstattliche Versicherung als bloßes Mittel der Glaubhaftmachung einen vollen Beweis für die fristgerechte Einreichung der Berufungsbegründung nicht erbringt, muss es die Parteien darauf hinweisen und ihnen Gelegenheit geben, Zeugenbeweis anzutreten oder auf andere Beweismittel zurückzugreifen. Sodann hat es - auf Antrag der Partei oder von Amts wegen - über die behaupteten Umstände Beweis zu erheben (vgl. BGH, Beschl. v. 16.1.2007 - VIII ZB 75/06 NJW 2007, 1457 Rz. 11; v. 14.6.2005 - VI ZB 10/05 - III ZB 43/16, juris Rz. 13; v. 24.2.2010 - v. 24.11.2009 - XII ZB 129/09, FamRZ 2010, 726 Rz. 10 f.).

Rz. 19

bb) Der Beklagte hat vorliegend zum Beweis seiner detaillierten Behauptung, die Berufungsschrift sei durch seinen Prozessbevollmächtigten bereits am 18.2.2019 und somit fristwahrend in den Nachtbriefkasten des Gerichts eingeworfen worden, neben der Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung - in welcher ohnehin regelmäßig der Antrag zu sehen ist, denjenigen, der die eidesstattliche Versicherung abgegeben hat, als Zeugen zu vernehmen (vgl. BGH, Beschl. v. 18.1.2011 - VIII ZB 45/10, WuM 2011, 176 Rz. 9; v. 22.11.2017 - VII ZB 67/15, FamRZ 2018, 281 Rz. 18) - ausdrücklich die Vernehmung seines Prozessbevollmächtigten als Zeugen beantragt. Diesen Beweis musste das Berufungsgericht erheben, da die Annahme, der Nachweis des rechtzeitigen Eingangs der Berufung sei nicht geführt, ohne vorherige Vernehmung des Zeugen auf eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung hinausläuft (vgl. BGH, Beschl. v. 22.11.2017 - VII ZB 67/15, a.a.O., m.w.N.).

III.

Rz. 20

Die Entscheidung des Berufungsgerichts kann nach alledem keinen Bestand haben; sie ist daher aufzuheben. Da es noch weiterer tatsächlicher Aufklärung bedarf, ist die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).

Rz. 21

Falls das Berufungsgericht nach Durchführung der Beweisaufnahme nach wie vor nicht die volle richterliche Überzeugung zu gewinnen vermag, dass die Berufung entgegen dem Eingangsstempel rechtzeitig beim Berufungsgericht eingegangen ist, wird es den (hilfsweise gestellten) Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten zu prüfen haben.

Rz. 22

1. Dieser ist - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts - zulässig. Insbesondere hat der Beklagte einen Wiedereinsetzungsgrund dargetan (§ 236 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 ZPO).

Rz. 23

Es ist dabei, worauf die Rechtsbeschwerde zutreffend verweist, unschädlich, dass der Beklagte in erster Linie die Einhaltung der Berufungsfrist behauptet und zur Begründung seines Wiedereinsetzungsgesuchs folgerichtig an seiner Darstellung festhält, die Berufungsschrift rechtzeitig in den Nachtbriefkasten eingeworfen und damit die Frist gewahrt zu haben. Denn es entspricht ständiger Rechtsprechung des BGH, dass eine Partei die Rechtzeitigkeit ihrer Prozesshandlung behaupten und zugleich für den Fall, dass sie zur Beweisführung nicht in der Lage ist, Wiedereinsetzung beantragen kann (vgl. BGH, Urt. v. 2.11.2006 - - III ZR 10/06, a.a.O., Rz. 6; Beschlüsse v. 27.11.1996 - XII ZB 177/96, a.a.O., unter II 2a; v. 16.3.2000 - VII ZB 36/99 NJW 2000, 2280 unter II 2).

Rz. 24

2. Das Berufungsgericht wird daher - wenn es den Gegenbeweis nach § 418 Abs. 2 ZPO nicht als geführt ansieht - im Rahmen der Begründetheit des Wiedereinsetzungsantrags zu beurteilen haben, ob nicht wenigstens eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der Prozessbevollmächtigte des Beklagten die Berufung noch am 18.2.2019 in den Nachtbriefkasten eingeworfen hat und damit ein fehlendes Verschulden an der Fristversäumnis glaubhaft gemacht worden ist (vgl. BGH, Urt. v. 31.5.2017 - VIII ZR 224/16, a.a.O., Rz. 32 m.w.N.). Hierbei wird es die insoweit eingeschränkten Möglichkeiten der Partei zur Glaubhaftmachung in Fällen wie dem vorliegenden, bei welchem der Einwurf in den Nachtbriefkasten den letzten, noch ihrer Wahrnehmung zugänglichen Übermittlungsakt darstellt, zu beachten haben (vgl. BGH, Urt. v. 14.10.2004 - VII ZR 33/04 NJW-RR 2005, 75 unter II 4; Senat, Beschl. v. 11.7.2017 - VIII ZB 20/17, juris Rz. 11 m.w.N. [zum Postversand]).

 

Fundstellen

Haufe-Index 13702862

FamRZ 2020, 767

NJW-RR 2020, 499

JurBüro 2020, 558

JZ 2020, 217

MDR 2020, 431

MDR 2020, 660

ErbR 2020, 440

FF 2020, 175

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