Entscheidungsstichwort (Thema)

Unwirksame Entscheidung durch funktionell unzuständigen Rechtspfleger. Aufhebung im Rechtsbehelfsverfahren

 

Leitsatz (amtlich)

Das Beschwerdegericht muss eine Entscheidung der ersten Instanz aufheben und die Sache zur erneuten Behandlung durch diese zurückverweisen, wenn statt des funktionell zuständigen Richters der Rechtspfleger entschieden hat. Unterlässt es dies, hat das Rechtsbeschwerdegericht die Aufhebung und Zurückverweisung in die erste Instanz nachzuholen.

 

Normenkette

ZPO § 572; RPflG § 8 Abs. 4, § 20 Nr. 17

 

Verfahrensgang

LG Chemnitz (Beschluss vom 09.12.2003; Aktenzeichen 3 T 4523/03)

AG Chemnitz (Beschluss vom 13.11.2003)

 

Tenor

Auf die Rechtsmittel des weiteren Beteiligten zu 1) werden die Beschlüsse der 3. Zivilkammer des LG Chemnitz v. 9.12.2003 und des AG Chemnitz v. 13.11.2003 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittelverfahren, an das AG - Insolvenzgericht - zurückverwiesen.

Die in diesem Verfahren bisher angefallenen Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 1.890 EUR.

 

Gründe

I.

Die Schuldnerin ist Eigentümerin eines Grundstücks. Hieran bestellte sie am 21.1.1997 zu Gunsten der (weiteren) Beteiligten zu 2) eine Grundschuld und unterwarf sich wegen des Grundschuldkapitals sowie der Zinsen der sofortigen Zwangsvollstreckung in das Grundstück. Mit Beschluss v. 8.1.2003 eröffnete das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren über ihr Vermögen.

Am 20.6.2003 hat die Beteiligte zu 2) den Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses wegen eines Teilanspruchs aus ihrer Grundschuld in die Ansprüche der Schuldnerin gegen ihre Mieter, die Beteiligten zu 3) bis 8), auf Zahlung der gegenwärtigen und zukünftigen Nettokaltmiete beantragt. Das AG hat den Antrag abgelehnt. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 2) hat das LG diese Entscheidung mit Beschluss v. 25.9.2003 aufgehoben und das Verfahren an das AG zurückverwiesen; zur Begründung hat es ausgeführt, dass § 89 Abs. 1 InsO - anders als das AG gemeint hat - der beantragten Mobiliarvollstreckung nicht entgegenstehe. Daraufhin hat das AG den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erlassen. Hiergegen hat der Beteiligte zu 1) Erinnerung gem. § 766 ZPO eingelegt, die das AG - Rechtspflegerin - zurückgewiesen hat. Die sofortige Beschwerde des Beteiligten zu 1) ist erfolglos geblieben. Hiergegen richtet sich die - zugelassene - Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 1).

II.

Die gem. § 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 2 ZPO statthafte und nach § 575 Abs. 1 bis 3 ZPO auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen.

Das LG hätte die Entscheidung des AG nicht bestätigen dürfen, da sie von der funktionell unzuständigen Rechtspflegerin erlassen worden ist.

Der auf die Erinnerung des Beteiligten zu 1) gem. § 766 ZPO ergangene Beschluss des AG - Insolvenzgerichts - v. 13.11.2003 beruht - wie das Gericht zutreffend erkannt hat - auf § 89 Abs. 3 InsO. Diese Entscheidung ist nach § 20 Nr. 17 S. 2 RpflG dem Richter vorbehalten (BGH, Beschl. v. 5.2.2004 - IX ZB 97/03, BGHReport 2004, 910 = MDR 2004, 766 = WM 2004, 834 [835]; Ganter in MünchKomm/InsO, § 6 Rz. 64).

Die Entscheidung der Rechtspflegerin ist daher gem. § 8 Abs. 4 S. 1 RpflG unwirksam. Etwas anderes ergibt sich nicht aus § 8 Abs. 4 S. 2 RpflG. Denn das Geschäft war der Rechtspflegerin nicht durch eine Entscheidung nach § 7 RpflG zugewiesen worden. Nach dieser Vorschrift entscheidet der Richter über die Zuständigkeit durch Beschluss, wenn Streit oder Ungewissheit darüber besteht, ob ein Geschäft von dem Richter oder dem Rechtspfleger zu bearbeiten ist. Im vorliegenden Fall hat eine Richterin lediglich - nach zutreffender Vorlage durch die Geschäftsstelle - der Rechtspflegerin die Sache im Wege einer innerdienstlichen, den Beteiligten nicht bekannt gemachten Verfügung "zuständigkeitshalber" zugeschrieben. Dies genügt nicht (OLG Köln v. 27.1.1986 - 17 W 534/85, MDR 1986, 768 = Rpfleger 1986, 268 [269]; Herrmann in Arnold/Meyer-Stolte, RpflG, 6. Aufl., § 7 Rz. 4; Bassenge/Herbst/Roth, FGG/RpflG, 10. Aufl., § 7 Rz. 3; Dallmeyer/Eickmann, RpflG, § 7 Rz. 3).

Die unwirksame Entscheidung des funktionell unzuständigen Rechtspflegers ist im Rechtsbehelfsverfahren aufzuheben. Auf die Frage, ob diese Entscheidung sachlich richtig war, kommt es nicht an. Sie wird auch nicht dadurch wirksam, dass sie vom Erstbeschwerdegericht in der Sache gebilligt wird (BayObLG v. 25.5.1982 - BReg.1 Z 108/81, MDR 1982, 857 = Rpfleger 1982, 292 [293]; v. 20.7.1982 - BReg.3 Z 80/82, Rpfleger 1982, 422 [423]; v. 25.8.1983 - BReg.3 Z 124/83, Rpfleger 1983, 443 [444]; v. 7.7.1988 - BReg.3 Z 76/88, Rpfleger 1988, 472 [473]; OLG München Rpfleger 1979, 346; OLG Frankfurt v. 27.2.1996 - 20 W 227/95, OLGReport Frankfurt 1996, 68 = MDR 1996, 608 = NJW-RR 1996, 1288; OLG Brandenburg v. 2.4.1996 - 8 W 54/96, DZWir 1996, 472 [473]; OLG Zweibrücken v. 26.9.2002 - 3 W 178/02, OLGReport Zweibrücken 2003, 94 = Rpfleger 2003, 117; LG Berlin ZVI 2005, 98 [99]). Zwar hat der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 538 ZPO die Zurückverweisungsbefugnis des Berufungsgerichts eingeschränkt (BT-Drucks. 14/4722, 102). Ob und inwieweit der Grundgedanke dieser Regelung auf § 572 ZPO übertragen werden kann, kann jedoch hier offen bleiben. Denn der Fall einer unwirksamen Erstentscheidung wird von § 538 ZPO nicht erfasst. Insoweit fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage für ein Rechtsmittelverfahren.

Die danach bereits durch das LG gebotene Zurückverweisung der Sache an das AG zur Entscheidung durch den zuständigen Richter (LG Berlin ZVI 2005, 98 [99]) hat der Senat nachzuholen. Es kann dahinstehen, ob möglicherweise eine andere Verfahrensweise erwogen werden könnte, wenn der Senat an die tragenden Erwägungen des (aufhebenden) Beschlusses des LG v. 25.9.2003 gebunden und an einer hiervon abweichenden sachlichen Entscheidung gehindert wäre. Eine sog. Rückbindung besteht jedoch nicht. Denn weder das AG noch das LG haben den Beteiligten zu 1) vor ihrer Entscheidung über den Antrag und die Beschwerde der Beteiligten zu 2) angehört.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1384100

BB 2005, 1594

BGHR 2005, 1274

NJW-RR 2005, 1299

FA 2005, 243

JurBüro 2005, 667

ZAP 2005, 1001

ZIP 2005, 1616

MDR 2005, 1305

NZI 2005, 520

Rpfleger 2005, 520

ZVI 2006, 29

ZVI 2006, 66

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