Leitsatz (amtlich)
Fällt einem Versicherungsnehmer Trunkenheit im Verkehr vor einem Unfall und unerlaubtes Entfernen von der Unfallstelle zur Last, kann seine Versicherung wegen jeder dieser Obliegenheitsverletzungen Rückgriff nehmen.
Normenkette
AKB § 2b Nr. 1e, § 7 Abs. 1 Nr. 2 S. 3; KfzPflVV § 5 Abs. 1 Nr. 5, § 6 Abs. 3
Verfahrensgang
LG Kiel (Aktenzeichen 4 O 177/01) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der Einzelrichterin der 4. Zivilkammer des LG Kiel vom 30.11.2001 geändert.
Der Beklagte verurteilt, an die Klägerin 7.746,99 Euro (= 15.151,79 DM) nebst 4 % Zinsen hierauf seit dem 7.7.2001 zu zahlen.
Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung wegen eines über 5.112,92 Euro (= 10.000 DM) hinausgehenden Betrages durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils insoweit vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des insoweit jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien sind im Streit, inwieweit die Klägerin als Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherer wegen Obliegenheitsverletzungen des beklagten Unfallchirurgen vor und nach einem Verkehrsunfall Regress nehmen kann.
Der Beklagte führte am 13.8.1999 in Kiel seinen Pkw, obwohl er infolge des Genusses alkoholischer Getränke nicht in der Lage war, das Fahrzeug sicher zu führen. Dabei erfasste er gegen 19 Uhr 40 eine vorfahrtberechtigte ältere Fahrradfahrerin, sodass diese zu Boden stürzte und verletzt wurde. Nach Überreichen seiner Visitenkarte fuhr der Beklagte davon. Davon ließ er sich auch nicht durch einen Unfallzeugen abhalten, der sich vor seinen Pkw gestellt hatte und dann zur Seite springen musste. Die dem Beklagten um 20 Uhr 15 entnommenen Blutprobe enthielt eine Blutalkoholkonzentration von 1,46 Promille. Das AG Kiel verurteilte ihn aufgrund seines Verhaltens wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung und wegen fahrlässigen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort rechtskräftig zu einer Gesamtgeldstrafe.
Nach Zahlung eines Schmerzensgeldes von 20.000 DM verlangt die Klägerin unter Anrechnung von Ersatzleistungen der AOK Zahlung von 15.151,79 DM. Sie meint, die Obliegenheitsverletzungen vor und nach dem Unfall ermöglichten einen Regress von insgesamt 20.000 DM. Der Beklagte ist dem bei einem Anerkenntnis i.H.v. 10.000 DM unter Berufung auf das Urteil des OLG Nürnberg vom 27.7.2000 (OLG Nürnberg v. 27.7.2000 – 8 U 1411/00, OLGReport Nürnberg 2001, 1 = MDR 2000, 1244 = Blutalkohol 38, 470) entgegen getreten. Das LG hat sich diesem Urteil angeschlossen und die weiter gehende Klage abgewiesen. Die Klägerin verfolgt ihren Standpunkt mit der Berufung weiter. Der Beklagte bringt in der Berufungserwiderung zusätzlich vor, ein besonders schwerwiegender Fall i.S.d. § 6 Abs. 3 KfzPflVV sei nicht dargelegt, ein Schmerzensgeld von 20.000 DM nicht angemessen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das angefochtene Urteil, die Berufungsbegründung vom 20.3.2002, die Berufungserwiderung vom 23.8.2002, den Schriftsatz vom 26.8.2002 und das Protokoll müber die mündliche Verhandlung vom 23.10.2002 verwiesen. Die Akte 591 Js 34521/99 der Staatsanwaltschaft bei dem LG Kiel ist beigezogen und war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
II. Die Berufung ist begründet. Der Klägerin steht gegen den Beklagten nach §§ 7 Abs. 1 StVG, 823 Abs. 1, 847 Abs. 1 BGB a.F., 426 Abs. 2 BGB, 3 Nr. 9 PflVG, 2b Nr. 1e AKB, 5 Abs. 1 Nr. 5 KfzPflVV, 7 Abs. 1 Nr. 2 S. 3 AKB, 6 Abs. 3 KfzPflVV ein Anspruch auf Zahlung weiterer 5.151,79 DM zu.
1. Der Beklagte hat die Obliegenheit verletzt, sein Fahrzeug nicht zu führen, wenn er infolge des Genusses alkoholischer Getränke dazu nicht sicher in der Lage ist. Daneben fällt ihm mit dem unerlaubten Entfernen vom Unfallort eine besonders schwerwiegende vorsätzlich begangene Verletzung der Aufklärungspflichten zur Last (vgl. dazu das Urteil des AG Kiel vom 29.2.2000, BA Bl. 102). Die Fahrradfahrerin war gestürzt, verletzt und der Beklagte ließ es auch noch darauf ankommen, einen Zeugen zu überfahren.
Wegen des Leistungsfreiheitsbetrages für die Obliegenheitsverletzung vor dem Versicherungsfall entfällt der Leistungsfreiheitsbetrag für die Obliegenheitsverletzung nach dem Versicherungsfall nicht (so auch: OLG Hamm v. 2.8.1999 – 20 W 12/99, OLGReport Hamm 2000, 216 = VersR 2000, 843 [844]; OLG Bamberg Schaden-Praxis 2001, 212; und r + s 2002, 2; LG Gießen Blutalkohol 38, 472 mit zust. Anm. von Littbarski, a.a.O., 473; LG Aachen, r + s 1998, 226; Stiefel/Hofmann, Kraftfahrtversicherung, 17. Aufl., § 2b AKB Rz. 139 und § 5 KfzPflVV Rz. 19; Prölss/Knappmann, VVG, 26. Aufl., § 6 KfzPflVV § 5 Rz. 11; Römer/Landheid, VVG, § 5 KfzPflVV Rz. 11; Stamm, VersR 1995, 261 [266]; Knappmann, VersR 1996, 401 ...