Entscheidungsstichwort (Thema)
Hinweis- und Beratungspflichten bei Abschluss einer Wohngebäudeversicherung
Leitsatz (amtlich)
1. Bei einer Wohngebäudeversicherung zum gleitenden Neuwert auf der Basis des Jahres 1914 treffen den Versicherer Hinweis- und Beratungspflichten bezüglich der richtigen Versicherungssumme.
2. Zu diesen gehört nach allgemeiner Meinung in Rechtsprechung und Literatur der Hinweis, dass ein im Bauwesen nicht sachverständiger Versicherungsnehmer in der Regel mit der Bestimmung des richtigen Versicherungswerts überfordert sei und es sich deshalb empfehlen könnte, einen Sachverständigen zu konsultieren, alternativ das Angebot eigener fachkundiger Beratung.
3. Diese Pflicht des Versicherers kann entfallen, wenn ausnahmsweise kein Beratungsbedarf besteht. Das ist aber nicht schon dann der Fall, wenn der Versicherungsnehmer irgendwann einmal - gleichgültig durch wen und wann - sachkundig beraten worden ist. Liegt z.B. die Schätzung durch einen Vorversicherer mehr als 20 Jahre zurück und handelt es sich um ein von einem normalen Wohngebäude stark abweichendes Gebäude (hier: ein Schloss), entfällt der Beratungsbedarf nicht. Auf eine Unterversicherung darf der Versicherer sich dann nicht berufen.
Normenkette
VVG § 50
Verfahrensgang
LG Düsseldorf (Urteil vom 22.09.2004; Aktenzeichen 11 O 485/02) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 22.9.2004 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des LG Düsseldorf - Einzelrichter - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abzuwenden, sofern nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 150 % des jeweils beizutreibenden Betrags leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Kläger unterhalten bei der Beklagten seit dem 1.1.1987 für das Schloss M. in L. eine Wohngebäudeversicherung zum gleitenden Neuwert auf der Basis des Jahres 1914 (Vers.-Schein: GA 12, SGIN 79a: 34). Zuvor war das Schloss seit Oktober 1969 bei der P. versichert (Vers.-schein: GA 51, Vers.-antrag: GA 45, Gebäudebeschreibung: GA 53, Berechnung des Versicherungswertes 1914: GA 55).
Der Versicherungsvertrag mit der Beklagten kam durch die Vermittlung ihres (inzwischen verstorbenen) Agenten, F. v. S. (im Folgenden: Agent), zustande. Die Versicherungssumme betrug zunächst 556.000 Mark 1914. In den folgenden Jahren führten der Kläger zu 2) und die Rechtsvorgänger der Kläger zu 1) und 3) Renovierungsarbeiten durch. Deshalb regte der Agent die Erhöhung der Versicherungssumme um den - mit 500.000 DM angesetzten - Wert der Arbeiten an. Beginnend ab dem 16.4.1991 wurde daher eine Versicherungssumme von 586.700 Mark 1914 vereinbart (Nachtrag: GA 8).
Am 19.6.2000 wurde das Schloss durch ein Feuer stark beschädigt (GA 2). Der Neuwertschaden belief sich auf 8.639.932 DM. Da das Schloss nach den Berechnungen der Beklagten unterversichert war, leistete sie nur eine Entschädigung i.H.v. 6.525.400 DM. Den Differenzbetrag (2.114.532 DM = 1.081.140,04 EUR) machen die Kläger mit der Klage geltend. Sie haben behauptet: Der Agent der Beklagten habe ihnen angeboten, das Schloss unter gleichzeitiger Anhebung der Versicherungssumme um den von der P. vorgeschlagenen Betrag zu günstigeren Prämien zu versichern (GA 3). Dabei habe er ausdrücklich erklärt, die von der P. vorgeschlagene Versicherungssumme (556.000 Mark 1914) reiche aus (GA 41). Entsprechend habe er sich geäußert, als vor einigen Jahren das Nachbarschloss abgebrannt sei (GA 5). Auf die mit der Übernahme der bisherigen Versicherungssumme verbundenen Risiken habe er nicht hingewiesen.
Die Kläger haben beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 1.081.140,04 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.5.2002 zu verurteilen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat behauptet: Ihrem Agenten sei nicht offenbart worden, dass die P. die Erhöhung der Versicherungssumme empfohlen habe. Er habe von dem von P. ursprünglich akribisch ermittelten Wert ausgehen können. Es habe für ihren Agenten keine Veranlassung bestanden, die Beauftragung eines Sachverständigen anzuregen.
Das LG hat durch Vernehmung von Zeugen (N., GA 97, und Prinzessin C. von M., GA 99) Beweis erhoben und der Klage i.H.v. 1.049.564,47 EUR nebst Zinsen stattgegeben, weil aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme feststehe, dass der Agent eine umfassende Absicherung des Schlosses zugesichert habe. Selbst wenn man das jedoch anders sehe, ergebe sich die Haftung der Beklagten daraus, dass ihr Agent bei der Ermittlung des Versicherungswertes nicht zur Einschaltung eines Gebäudesachverständigen geraten habe, weil mit der ungeprüften Übernahme des vom Vorversicherer ermittelten Versicherungswertes das Risiko einer Unterversicherung einhergehe. Unbegründet sei die Klage nur i.H.v. 31.575,57 EUR, da die Kläger sich unter dem Gesichtsp...