Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Wettbewerb. Rein innerstaatlicher Sachverhalt. Anwendung einer entsprechenden nationalen Vorschrift. Zuständigkeit des Gerichtshofs. Abgestimmte Verhaltensweise. Haftung eines Unternehmens für das Fehlverhalten eines Dienstleisters. Voraussetzungen
Normenkette
AEUV Art. 101 Abs. 1
Beteiligte
Tenor
Art. 101 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass ein Unternehmen grundsätzlich nur dann aufgrund des Fehlverhaltens eines selbständigen Dienstleisters, der für das Unternehmen Leistungen erbringt, für eine abgestimmte Verhaltensweise verantwortlich gemacht werden kann, wenn eine der folgenden Voraussetzungen erfüllt ist:
- Der Dienstleister war in Wirklichkeit unter der Leitung oder der Kontrolle des beschuldigten Unternehmens tätig, oder
- das Unternehmen hatte von den wettbewerbswidrigen Zielen seiner Konkurrenten und des Dienstleisters Kenntnis und wollte durch sein eigenes Verhalten dazu beitragen, oder
- das Unternehmen konnte das wettbewerbswidrige Verhalten seiner Konkurrenten und des Dienstleisters vernünftigerweise vorhersehen und war bereit, die daraus erwachsende Gefahr auf sich zu nehmen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Augstākā tiesa (Oberster Gerichtshof, Lettland) mit Entscheidung vom 13. November 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 27. November 2014, in dem Verfahren
SIA „VM Remonts”, vormals SIA „DIV un Ko”,
SIA „Ausma grupa”
gegen
Konkurences padome
und
Konkurences padome
gegen
SIA „Pārtikas kompānija”
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz, der Richter C. Lycourgos, E. Juhász und C. Vajda sowie der Richterin K. Jürimäe (Berichterstatterin),
Generalanwalt: M. Wathelet,
Kanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 21. Oktober 2015,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der lettischen Regierung, vertreten durch I. Kalninš und J. Treijs-Gigulis als Bevollmächtigte,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von P. Gentili, avvocato dello Stato,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch N. Khan, C. Giolito und I. Rubene als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 3. Dezember 2015
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 101 Abs. 1 AEUV.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der SIA „VM Remonts”, vormals SIA „DIV un Ko”, und der SIA „Ausma grupa” auf der einen und der Konkurences padome (Wettbewerbsrat, Lettland) auf der anderen Seite sowie zwischen der Konkurences padome und der SIA „Pārtikas kompānija” über den Vorwurf einer Abstimmung dieser Unternehmen bei ihrer Beteiligung an einer Ausschreibung der Stadt Jūrmala (Lettland).
Rechtlicher Rahmen
Rz. 3
In Art. 11 Abs. 1 des Konkurences likums (Wettbewerbsgesetz) vom 4. Oktober 2001 (Latvijas Vestnesis, 2001, Nr. 151) heißt es:
„Vereinbarungen zwischen Marktteilnehmern, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb Lettlands bezwecken oder bewirken, sind verboten und von Anfang an nichtig; dazu gehören Vereinbarungen über
…
5) die Teilnahme oder Nichtteilnahme an Ausschreibungen oder Versteigerungen oder die Bedingungen eines solchen Handelns (Unterlassens), es sei denn, die Teilnehmer haben ihr gemeinsames Angebot öffentlich bekannt gemacht und dieses Angebot bezweckt keine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs.
…”
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage
Rz. 4
Der Gemeinderat der Stadt Jūrmala veröffentlichte eine Ausschreibung bezüglich der Belieferung von Ausbildungseinrichtungen mit Lebensmitteln. DIV un Ko, Ausma grupa und Pārtikas kompānija gaben Angebote auf die Ausschreibung ab.
Rz. 5
Als Rechtsbeistand für die Erstellung und Einreichung ihres Angebots beauftragte Pārtikas kompānija die SIA „Juridiskā sabiedrība ‚B & Š partneri’”, die wiederum einen Unterauftragnehmer hinzuzog, und zwar die SIA „MMD lietas”, die von Pārtikas kompānija den Entwurf eines Angebots erhielt.
Rz. 6
Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass Pārtikas kompānija diesen Entwurf unabhängig erstellt hatte, ohne sich mit DIV un Ko oder Ausma grupa über die Preise abgestimmt zu haben.
Rz. 7
Weiter lässt sich dieser Entscheidung entnehmen, dass MMD lietas sich, ohne Pārtikas kompānija darüber zu informieren, parallel verpflichtet hatte, die jeweiligen Angebote von DIV un Ko und Ausma grupa zu erstellen. In diesem Kontext nutzte ein Angestellter von MMD lietas das Angebot von Pārtikas kompānija als Referenz, um die Angebote der beiden anderen Bieter anzufertigen. Diese beiden Angebote passte er insbesondere dergestalt an die im Angebot von Pārtikas kompānija aufgeführten Preise an, dass das Angebot von Ausma g...