Verfahrensgang
Brandenburgisches OLG (Beschluss vom 31.03.2004; Aktenzeichen 9 UF 53/04) |
Tenor
- Der Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 31. März 2004 – 9 UF 53/04 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes; er wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
- Das Land Brandenburg hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu ersetzen.
Tatbestand
I.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen den Ausschluss des persönlichen Umgangs mit seinen Kindern.
Der Beschwerdeführer ist Vater des am 24. März 1992 geborenen P…. und der am 9. April 1989 geborenen B.…, die aus der mittlerweile geschiedenen Ehe des Beschwerdeführers mit der Kindesmutter hervorgegangen sind und bei dieser leben. Der Beschwerdeführer wurde wegen mehrfachen sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Das Amtsgericht Oranienburg schloss mit Beschluss vom 27. Januar 2004 den persönlichen Umgang des Beschwerdeführers mit seinem Sohn für die Dauer von drei Jahren, mit seiner Tochter für die Dauer von zwei Jahren aus. Er habe seine Kinder selbst zwar nicht missbraucht, gleichwohl sei das Kindeswohl durch jegliche Kontaktaufnahme der Kinder mit dem Beschwerdeführer gefährdet. Die hiergegen gerichtete befristete Beschwerde verwarf das Brandenburgische Oberlandesgericht mit dem angegriffenen Beschluss, wertete einen als Einspruch bezeichneten Antrag des Beschwerdeführers als Wiedereinsetzungsantrag und wies diesen zurück. Die Beschwerde sei unzulässig, da sie zwei Tage nach Ablauf der Beschwerdefrist beim Beschwerdegericht eingegangen sei. Dem Beschwerdeführer sei auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil er nicht unverschuldet an der Einhaltung der Beschwerdefrist gehindert gewesen sei. Der Rechtsuchende dürfe nur darauf vertrauen, dass das mit der Sache befasst gewesene Gericht den bei ihm eingereichten, aber für das Rechtsmittelgericht bestimmten Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang dorthin weiterleite, sodass sich sein eigenes Verschulden nicht mehr auswirke. Auf eine fristgemäße Weiterleitung habe der Beschwerdeführer deshalb nicht vertrauen dürfen. Weiterleitungsfehler, wie sie der Annahme eines ordentlichen Geschäftsganges entgegenstünden, seien nicht erkennbar.
Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz. Er habe gegen den Beschluss des Amtsgerichts “sofort” Beschwerde eingelegt. Durch tagelanges Zurückhalten seiner Beschwerde beim Amtsgericht sei diese verspätet beim Oberlandesgericht eingegangen.
Die Verfassungsbeschwerde ist der Regierung des Landes Brandenburg und der Verfahrensbeteiligten zugestellt worden, ohne dass eine Stellungnahme in der Sache erfolgt ist.
Entscheidungsgründe
II.
1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, insbesondere ist sie substantiiert begründet worden (vgl. § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG).
2. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung (§ 93c BVerfGG) sind erfüllt.
a) Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche Bedeutung. Die maßgebliche Frage, ob der Rechtsuchende im zivilprozessualen Rechtsmittelverfahren darauf vertrauen kann, dass das mit der Sache befasst gewesene Gericht den bei ihm eingereichten, aber für das Rechtsmittelgericht bestimmten Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang dorthin weiterleiten werde, ist von dem Bundesverfassungsgericht bereits beantwortet worden (vgl. BVerfGE 93, 99 ≪115≫).
b) Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers angezeigt, § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG. Dem Beschwerdeführer würde durch die Versagung der Annahme die Möglichkeit genommen, im Beschwerdeverfahren eine inhaltliche Überprüfung der amtsgerichtlichen Entscheidung herbeizuführen.
c) Die Verfassungsbeschwerde ist auch offensichtlich begründet (§ 93 Abs. 1 BVerfGG). Die Nichtgewährung der Wiedereinsetzung verletzt den Anspruch des Beschwerdeführers auf ein rechtsstaatliches, faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG). Die gegenständliche Beschwerdeschrift ist unter anderem verspätet bei dem Oberlandesgericht eingegangen, weil sie an das Amtsgericht und deshalb nicht an das richtige Gericht adressiert war (vgl. § 621e Abs. 3 Satz 1 ZPO, § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a GVG). Eine solche Verzögerung des Eingangs einer Rechtsmittelschrift, die auf eine falsche Adressierung zurückzuführen ist, hat der Beschwerdeführer grundsätzlich auch selbst zu vertreten. Aufgrund der einem Verfahren nachwirkenden Fürsorgepflicht ist das vorbefasste Amtsgericht allerdings gehalten gewesen, den weit vor Fristablauf bei ihm eingehenden, aber für das Rechtsmittelgericht bestimmten Schriftsatz des Beschwerdeführers an dieses Rechtsmittelgericht weiterzuleiten. Wird eine solche Rechtsmittelfrist versäumt, obwohl der Schriftsatz so zeitig bei dem vorbefassten unzuständigen Gericht eingegangen ist, dass die rechtzeitige Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang noch ohne weiteres erwartet werden konnte, hat das Rechtsmittelgericht auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (vgl. BVerfGE 93, 99 ≪115≫).
Diese verfassungsrechtlichen Anforderungen eines rechtsstaatlichen, fairen Verfahrens hat das Oberlandesgericht zwar benannt, sie aber der Sache nach nicht erfüllt. Insbesondere mit seinen Überlegungen, eine zögerliche Weiterleitung der Rechtsmittelschrift sei erst ab etwa drei Wochen anzunehmen, hat das Gericht die Anforderungen an die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu streng gefasst. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in Konkretisierung der vorgenannten Maßstäbe die Nichtgewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verfassungsrechtlich nicht beanstandet, bei der das Rechtsmittel erst fünf Tage vor Ablauf der Rechtsmittelfrist bei dem vorbefassten, nicht zuständigen Gericht eingegangen war (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. Januar 2001, FamRZ 2001, S. 827-828). Seinem vom Oberlandesgericht nicht in Frage gestellten Vortrag nach hat jedoch der Beschwerdeführer seinen Schriftsatz an das Amtsgericht am 27. Februar 2004, also weit vor Ablauf der Beschwerdefrist, zur Versendung an die Poststelle der Justizvollzugsanstalt gegeben. Beim Amtsgericht ist der Beschwerdeschriftsatz am 2. März, also neun Tage vor dem Ablauf der Beschwerdefrist (10. März 2004) eingegangen. Soweit das Oberlandesgericht zur Begründung seiner Auffassung auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Urteil vom 1. Dezember 1997, NJW 1998, S. 908 f.) verweist, legt es die dem dortigen Sachverhalt zu entnehmende Zeitspanne zwischen dem Eingang beim vorbefassten, unzuständigen Gericht und dem Eingang beim Rechtsmittelgericht zugrunde. Hierauf kommt es jedoch nicht an. Maßgeblich hat auch der Bundesgerichtshof in dieser Entscheidung vielmehr auf die Zeitspanne zwischen Eingang beim vorbefassten, unzuständigen Gericht und dem Termin des Beschwerdefristablaufs abgestellt, die nur elf Tage umfasst hatte, und darauf den Anspruch auf Wiedereinsetzung gestützt. Soweit das Oberlandesgericht lediglich eine einwöchige Bearbeitungsdauer des Amtsgerichts annimmt, rechnet es überdies unzulässigerweise die Zeit für die Erstellung der richterlichen Verfügung heraus, die erst zwei Tage nach Eingang beim vorbefassten Amtsgericht erfolgt ist. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Beschwerdeführer schon am 27. Februar 2004 seinen Schriftsatz bei der Poststelle der Justizvollzugsanstalt abgegeben hat und auf die Zügigkeit der von dort aus erfolgenden Weiterleitung keinen Einfluss hat nehmen können, und unter Berücksichtigung einer dennoch bestehenden Zeitspanne von noch neun Tagen, in denen das Amtsgericht den Schriftsatz unter Fristwahrung hätte weiterleiten können, hat der Beschwerdeführer auf eine rechtzeitige Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht vertrauen können. Die Nichtgewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stellt insofern eine Verletzung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf ein rechtsstaatliches, faires Verfahren dar.
3. Die angegriffene Entscheidung beruht auf der festgestellten Verletzung des Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 20 Abs. 3 GG. Es ist nahe liegend, dass das Oberlandesgericht bei Beachtung der sich aus Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 20 Abs. 3 GG ergebenden Anforderungen zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.
4. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen der Verfassungsbeschwerde beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Hohmann-Dennhardt, Hoffmann-Riem
Fundstellen
NJW 2005, 2137 |
FamRZ 2005, 1231 |