Entscheidungsstichwort (Thema)
Fehlerhafte Dokumentation. Unvollständige Dokumentation. Mängelanzeige. Unverzüglichkeit. Mangelhafte Absperrarmaturen
Leitsatz (redaktionell)
Eine Mängelanzeige nach zehn Tagen kann nicht ohne weiteres als verspätet angesehen werden.
Normenkette
HGB § 377 Abs. 1
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 03.11.2000) |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das am 3. November 2000 verkündete Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Beklagte bestellte am 26. Juni 1996 bei der Klägerin Absperrarmaturen, nämlich vier Kugelabsperrhähne mit hydraulischem Antrieb, die die N. GmbH in W. (nachfolgend: N. ), der der Beklagte den Streit verkündet hat, für einen Kunden in den Vereinigten Staaten von Amerika nachgefragt hatte. Die Klägerin bestätigte den Auftrag am 23. Juli 1996. Sie bezog die Hähne bei Vorlieferanten. Die Klägerin übersandte am 17. September 1996 an den Beklagten eine Dokumentation und lieferte am gleichen Tag die Armaturen vereinbarungsgemäß an N. . Die Lieferung wich teilweise von der Bestellung ab und wies nach Auffassung des Beklagten Mängel auf, die der Beklagte am 27. September 1996 telefonisch rügte. Am gleichen Tag beanstandete er schriftlich Mängel der Dokumentation. Über den Inhalt von in der Folgezeit geführten Verhandlungen besteht Streit. Der Beklagte hat die Abnahme der Armaturen verweigert.
Die Klägerin hat Mängel der Armaturen in Abrede gestellt und sich im übrigen auf eine Verletzung der Untersuchungs- und Rügeobliegenheit nach §§ 377, 381 HGB durch den Beklagten berufen. Weiter hat sie geltend gemacht, die Dokumentation entspreche den getroffenen Vereinbarungen. Sie hat klageweise die vereinbarte Vergütung sowie die Bezahlung von Nebenkosten verlangt. Der Beklagte hat die Wandelungseinrede erhoben. Das Landgericht hat der Klage im wesentlichen stattgegeben. Es hat dabei darauf abgestellt, daß etwaige Gewährleistungsansprüche wegen nicht rechtzeitiger Rüge entfallen seien und die gelieferten Armaturen als genehmigt gälten. Dabei ist das Landgericht davon ausgegangen, daß die gelieferte Dokumentation sowohl der Bestellung als auch den Vorgaben im Schreiben vom 26. Juli 1996 entsprochen habe. Die Berufung des Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen Antrag auf Klageabweisung weiter. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.
Entscheidungsgründe
Das zulässige Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, dem auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens zu übertragen ist.
I. Das Berufungsgericht ist von einem Werklieferungsvertrag über nicht vertretbare Sachen und ersichtlich von einem beiderseitigen Handelsgeschäft ausgegangen. Das wird von der Revision nicht angegriffen und begegnet keinen durchgreifenden Bedenken. Bedenken bestehen auch nicht hinsichtlich der Annahme des Berufungsgerichts, der Vertrag sei durch Angebot vom 27. Juni 1996 und Annahme vom 23. Juli 1996 zustande gekommen.
II. 1. Das Berufungsgericht hat die Forderung der Klägerin als begründet angesehen. Es hat ausgeführt, die vom Beklagten erklärte Wandelung scheitere daran, daß die gelieferte Ware als genehmigt gelte, weil die Mängelanzeige vom 27. September 1996 nicht unverzüglich erfolgt sei. Die Berufung des Beklagten auf Mängel der Dokumentation hat es dabei als nicht durchgreifend angesehen. Der Beklagte habe sich mit der Feststellung des Landgerichts, zum Zeitpunkt der Ablieferung habe eine vertragsgemäße Dokumentation vorgelegen, nicht auseinandergesetzt. Seine Einlassung im Termin vor dem Berufungsgericht, die Dokumentation sei bis zu einer Besichtigung der Armaturen am 18. Oktober 1996 unvollständig gewesen, sei ohne Substanz und deshalb unerheblich. Sie lasse auch nicht den Schluß zu, daß die Dokumentation nicht den am 27. Juni/23. Juli 1996 getroffenen Vereinbarungen entsprochen habe. Etwaige weitere Anforderungen, wie sie das Schreiben vom 26. Juli 1996 enthalte, seien nicht Vertragsinhalt geworden.
2. Das greift die Revision mit Erfolg an.
a) Sie verweist darauf, aus dem Vorbringen der Parteien ergebe sich, daß am 17. September 1996 eine vollständige Dokumentation noch nicht vorgelegen habe. Dies sei im Berufungsverfahren auch ohne Rüge zu beachten gewesen. Wegen des Fehlens einer ordnungsgemäßen Dokumentation sei die Auffassung des Berufungsgerichts unzutreffend, daß der Beklagte mit seiner Mängelrüge vom 27. September 1996 seiner Untersuchungs- und Rügeobliegenheit nicht rechtzeitig nachgekommen sei.
b) Im Berufungsverfahren war nach dem für das vorliegende Verfahren noch maßgebenden Recht über alle einen zuerkannten oder aberkannten Anspruch betreffenden Streitpunkte neu zu verhandeln (§ 537 ZPO in der vor dem 1.1.2002 geltenden Fassung – a.F.). Im Fall zulässig begründeter Berufung war demnach die Berufungsinstanz für eine unbeschränkte erneute sachliche und rechtliche Prüfung eröffnet. Dabei waren in erster Instanz erhobene Einreden auch dann im Berufungsverfahren beachtlich, wenn sie in der Berufungsbegründung nicht wieder aufgegriffen worden waren (BGH, Urt. v. 29.4.1986 – IX ZR 145/85, NJW-RR 1986, 991; Urt. v.15.12.1988 – IX ZR 33/88, NJW 1990, 326). Gleiches galt für tatsächliche und rechtliche Begründungen eines Streitpunkts, die – wie hier – im Berufungsrechtszug nur im Weg einer pauschalen Bezugnahme aufgegriffen worden waren (BGH, Urt. v. 7.5.1992 – IX ZR 151/91, NJW-RR 1992, 1110). Eine ausreichend begründete, zulässige Berufung eröffnete deshalb eine erneute sachliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstands im Rahmen der gestellten Anträge; deshalb war die Verhandlung und Entscheidung des Berufungsgerichts nicht nur auf die in der Berufungsbegründung angeführten oder auf die in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Berufungsgründe zu erstrecken, sondern es war gemäß § 537 ZPO a.F. der gesamte Streitstoff im Rahmen der gestellten Anträge vom Berufungsgericht selbständig und nach allen Richtungen hin zu würdigen (BGH, Urt. v. 10.7.1985 – IVa ZR 151/83, NJW 1985, 2828, insoweit nicht in BGHZ 99, 222, unter Bezugnahme auf Stein/Jonas/Grunsky, ZPO 20. Aufl. § 519 Rdn. 2). In diesem Rahmen hatte sich das Berufungsgericht deshalb auch mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die von der Klägerin gestellte Dokumentation den vertraglichen Anforderungen entsprach. Das Berufungsgericht hat indessen lediglich die Feststellungen des Erstrichters im wesentlichen ohne eigene Überprüfung übernommen. Damit hat es den zweitinstanzlichen Prozeßstoff nicht ausgeschöpft.
c) Das Berufungsgericht ist dabei von der Revision unbeanstandet davon ausgegangen, daß eine Dokumentation geschuldet war. Welchen Umfang die Dokumentationsverpflichtung im einzelnen hatte, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Es hat sich bei seiner Feststellung, daß der Dokumentationspflicht genügt sei, lediglich auf die entsprechende Feststellung des Landgerichts gestützt, die es als nicht substantiiert angegriffen bezeichnet hat. Das Landgericht hatte sich wiederum auf ein Gutachten des Sachverständigen S. gestützt. Allerdings hatte schon das Landgericht, wie die Revision mit Recht rügt, nicht geprüft, ob die vom Sachverständigen begutachtete Dokumentation diejenige war, die dem Beklagten vor dem 27. September 1996 vorgelegen hat, oder ob es sich um eine erst zu einem späteren Zeitpunkt vervollständigte Version der Dokumentation handelte, wofür der in der Revisionsbegründung als unberücksichtigt geblieben gerügte Vortrag Anhaltspunkte zu bieten geeignet sein konnte. Tragfähige Feststellungen, daß vor dem 27. September 1996 von der Klägerin eine ausreichende Dokumentation übergeben worden ist, sind mithin nicht getroffen. Damit ist für das Revisionsverfahren zugunsten des Beklagten davon auszugehen, daß eine mangelfreie Dokumentation bis zu diesem Zeitpunkt nicht vorlag.
d) Ob die gelieferten Armaturen mangelhaft waren, hat das Berufungsgericht – aus seiner Sicht folgerichtig – offen gelassen, weil es diese als genehmigt angesehen hat (§§ 377, 381 HGB). Das ist im rechtlichen Ansatz nicht zu beanstanden. Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, daß das Unterlassen einer unverzüglichen Mängelanzeige einer Berufung auf die Mangelhaftigkeit entgegenstehen mußte. Jedoch wird die Annahme des Berufungsgerichts, daß die Mängelanzeige nicht unverzüglich erfolgt sei, von seinen tatsächlichen Feststellungen nicht getragen.
Die für das Revisionsverfahren zugunsten des Beklagten zu unterstellende Mangelhaftigkeit der Dokumentation konnte nämlich dazu führen, daß die Rüge vom 27. September 1996 wegen der behaupteten Mängel der Armaturen selbst noch als rechtzeitig anzusehen ist. Die Mängelanzeige ist dann im Sinn des § 377 Abs. 1 HGB unverzüglich, wenn sie ohne schuldhaftes Zögern erfolgt ist (§ 121 Abs. 1 BGB). Hierfür kommt es auf die konkreten Fallumstände an (vgl. BGHZ 93, 338, 348 ff.; BGHZ 110, 130, 139, 143 f.; vgl. auch Sen.Urt. v. 25.6.2002 – X ZR 150/00, Umdruck S. 9); eine Mängelanzeige wie hier nach 10 Tagen kann noch nicht ohne weiteres als verspätet angesehen werden. Es liegt auf der Hand, daß eine fehlerhafte oder unvollständige Dokumentation die Überprüfung der Ordnungsmäßigkeit der Lieferung erschweren kann; dies kann selbst dann der Fall sein, wenn, wie es das Berufungsgericht annimmt, die Untersuchung an sich nicht schwierig war. Dabei muß auch berücksichtigt werden, daß die Armaturen an N. in W. , die Dokumentation aber an den Beklagten in A. geliefert worden waren. Dabei bedarf es für die Entscheidung über die Revision keiner abschließenden Klärung, ob – wie dies die Revision geltend macht – bereits eine Unvollständigkeit oder Mangelhaftigkeit der Dokumentation dazu führt, daß die Rügefrist nach § 377 HGB überhaupt nicht in Lauf gesetzt wird. Auch wenn das der Fall sein sollte, muß jedenfalls bei der Beurteilung, ob die Rüge unverzüglich erfolgt ist, nämlich auf Erschwerungen der Untersuchung, die auf Mängeln der Dokumentation beruhen, Rücksicht genommen werden. Wieweit Mängel der dem Beklagten bis zum 27. September 1996 vorliegenden Dokumentation die Untersuchung erschwerten, hat das Berufungsgericht nicht überprüft, wenn die Begutachtung des gerichtlichen Sachverständigen nicht diese, sondern eine später vervollständigte Version der Dokumentation betraf.
III. Nach alledem kann das angegriffene Urteil keinen Bestand haben. Das Berufungsgericht wird bei seiner erneuten Befassung mit der Sache zunächst zu klären haben, ob die vom Sachverständigen überprüfte Dokumentation diejenige war, die die Klägerin dem Beklagten vor dem 27. September 1996 übergeben hat. Die Parteien werden dabei Gelegenheit haben, ihren bisherigen Sachvortrag zu überprüfen und erforderlichenfalls zu konkretisieren. Sofern sich dabei ergeben sollte, daß der Sachverständige nicht die vor der Rüge dem Beklagten vorliegende Dokumentation begutachtet hat, wird zu klären sein, welche Dokumentation tatsächlich übergeben wurde und wieweit diese den getroffenen Vereinbarungen entsprach, weiter, ob sich aus etwaigen inhaltlichen Mängeln der Dokumentation eine Erschwerung der Untersuchung der gelieferten Armaturen ergab. Auf der Grundlage der hierzu zu treffenden Feststellungen wird das Berufungsgericht erneut in eigener tatrichterlicher Verantwortung zu beurteilen haben, ob die am 27. September 1996 erhobenen Rügen wegen der behaupteten Mängel an den Armaturen unverzüglich erfolgt sind. Sofern dies auf
Grund der neu zu treffenden Feststellungen zu bejahen sein sollte, wird die Verneinung des Durchgreifens der Wandelungseinrede mit der bisher dafür gegebenen Begründung keinen Bestand haben können.
Unterschriften
Melullis, Jestaedt, Scharen, Keukenschrijver, Asendorf
Fundstellen
BGHR 2003, 908 |
NJOZ 2003, 867 |