Entscheidungsstichwort (Thema)
Altforderungen. Rückzahlung. Verfahrenseröffnung
Leitsatz (redaktionell)
1. Für die Beurteilung, ob eine unmittelbare Gläubigerbenachteiligung vorliegt, ist im Rahmen des § 132 Abs. 1 InsO ausschließlich das Werteverhältnis der konkret ausgetauschten Leistungen entscheidend.
2. Hat der spätere Insolvenzverwalter durch seine Tätigkeit einen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand beim Empfänger begründet und durfte dieser deshalb nach Treu und Glauben damit rechnen, über eine verfestigte Rechtsposition zu verfügen, scheidet eine Anfechtung ausnahmsweise aus.
Normenkette
InsO § 132 Abs. 1, § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2, § 22
Verfahrensgang
LG Karlsruhe (Urteil vom 06.02.2002) |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Karlsruhe vom 6. Februar 2002 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Durch Beschluß des Amtsgerichts Gifhorn vom 19. August 1999 wurde gemäß § 21 Abs. 2 Ziffer 1 InsO die vorläufige Verwaltung des Vermögens der S. GmbH (im folgenden: Schuldnerin) angeordnet und der Kläger zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 InsO wurde angeordnet, daß Verfügungen der Schuldnerin nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind.
Im folgenden machte die Beklagte die ihr von dem Kläger angetragene betriebsnotwendige Reparatur einer der Schuldnerin gehörenden Waage von der Begleichung noch offenstehender Rechnungen in Höhe von 6.409,40 DM über Reparaturen aus der Zeit vor Stellung des Insolvenzantrags abhängig. Der Kläger versprach die Bezahlung unter dem 28. September 1999 mit der Begründung, „da Ihre Mandantschaft eine Reparatur der Waage … vom Ausgleich der vor dem Insolvenzereignis liegenden Forderung zur Bedingung gemacht hat”. Er überwies den fraglichen Betrag und bezahlte zugleich die neue Reparatur.
Durch Beschluß des Amtsgerichts Gifhorn vom 1. November 1999 wurde über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestimmt. Anschließend verlangte dieser erfolglos von der Beklagten unter Berufung auf die Vorschriften der Insolvenzanfechtung die Rückzahlung des auf die Altforderungen bezahlten Betrages. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landgericht – dessen Urteil in ZIP 2002, 362 veröffentlicht ist (dazu Marotzke EWiR 2002, 351) – die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer zugelassenen Revision begehrt diese weiterhin die Klageabweisung.
Entscheidungsgründe
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
I.
Das Landgericht hat die Klage gemäß § 130 Abs. 1 Nr. 2, § 143 Abs. 1 InsO für begründet gehalten. Es hat ausgeführt, Rechtshandlungen des vorläufigen Insolvenzverwalters, auf den die Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners nicht übergegangen sei, seien durch den endgültigen Verwalter anfechtbar, und zwar selbst dann, wenn dieser mit dem vorläufigen Verwalter identisch und die Rechtshandlung notwendig gewesen sei, um den Betrieb des Schuldners fortzuführen. Bei der Bezahlung der Altforderungen habe der Kläger als „schwacher” vorläufiger Insolvenzverwalter ohne Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis gehandelt. Ob er wie ein „starker” vorläufiger Insolvenzverwalter aufgetreten sei, habe keine Bedeutung. Durch die Zahlung sei die Gläubigergesamtheit benachteiligt worden. Die Anfechtung sei nicht treuwidrig. Ein – hilfsweise geltend gemachtes – Zurückbehaltungsrecht stehe der Beklagten nicht zu, weil ein etwa vereinbarter verlängerter und erweiterter Eigentumsvorbehalt an für die Reparaturen verwendeten Einzelteilen erst mit Begleichung der Klageforderung wiederauflebe.
II.
Ob – wie das Landgericht gemeint hat – die Tilgung der Altforderungen nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO anfechtbar ist, mag dahinstehen (vgl. hierzu das Senatsurteil vom heutigen Tage IX ZR 64/02, z.V.b. in BGHZ, dort II 1 b der Entscheidungsgründe). Jedenfalls hat der Kläger die von ihm mit der Beklagten getroffene Abrede, wonach er, falls die Beklagte die ausstehende Leistung erbringe, neben der dafür geschuldeten Vergütung auch die Altforderungen bezahle, wirksam nach § 132 Abs. 1 Nr. 2 InsO angefochten.
1. Die Abrede war ein „Rechtsgeschäft des Schuldners”, weil in Ermangelung der Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis beim Schuldner verblieben war (§ 22 InsO). Das Rechtsgeschäft wurde nach dem Eröffnungsantrag abgeschlossen, und die Beklagte hatte davon auch Kenntnis, weil der Kläger sich ihr gegenüber als vorläufiger Insolvenzverwalter bezeichnete.
2. Das Rechtsgeschäft hat die Insolvenzgläubiger, wie im Rahmen des § 132 InsO vorausgesetzt, unmittelbar benachteiligt.
a) Daß der objektive Wert der ausstehenden Leistung höher war als die Vergütung, die der Kläger zu zahlen bereit war, ist weder festgestellt noch von der Beklagten geltend gemacht worden. Die Auffassung der Revision, die Beklagte habe für die Reparatur einen einheitlichen Preis verlangt – und erhalten –, der den offenen Betrag der Altforderungen miteingeschlossen habe, findet in den tatrichterlichen Feststellungen keine Stütze. Vielmehr ist davon auszugehen, daß die Beklagte für die Reparatur einen angemessenen Preis und daneben die Befriedigung ihrer Altforderungen verlangt hat. Ob der Sachverhalt, den die Revision im Auge hat, eine andere rechtliche Wertung rechtfertigen würde, kann deshalb offenbleiben.
b) Das Vorliegen einer unmittelbaren Gläubigerbenachteiligung im Rahmen des § 132 Abs. 1 InsO ist ausschließlich mit Bezug auf das Wertverhältnis zwischen den konkret ausgetauschten Leistungen zu beurteilen. Dies hat der Senat in seinem Urteil in der Sache IX ZR 64/02 im einzelnen ausgeführt (vgl. dort II 2 c bb, cc der Entscheidungsgründe). Es ist deshalb unerheblich, daß erst die – von der Bezahlung der Altforderungen abhängig gemachte – Bereitschaft der Beklagten, den neuen Reparaturauftrag auszuführen, es der Schuldnerin ermöglicht hat, ihren Betrieb fortzuführen. Ebensowenig stichhaltig ist das – für sich genommen zutreffende – Argument der Revision, die Beklagte sei nicht verpflichtet gewesen, den neuen Reparaturauftrag des Klägers zu übernehmen. Wenn die Beklagte diesen Auftrag, ungeachtet der ihr dafür angebotenen Bezahlung, hätte ablehnen dürfen, folgt daraus nicht, daß sie die Übernahme in gläubigerbenachteiligender Weise von weiteren Gegenleistungen abhängig machen durfte.
c) Eine Anfechtung scheidet allerdings ausnahmsweise aus, wenn der spätere Insolvenzverwalter durch sein Handeln einen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand beim Empfänger begründet hat und dieser infolgedessen nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) damit rechnen durfte, ein nicht mehr entziehbares Recht errungen zu haben (BGHZ 118, 374, 381 f).
Im vorliegenden Fall ist ein schutzwürdiges Vertrauen der Beklagten in die Unanfechtbarkeit der mit dem Kläger getroffenen Abrede nicht erkennbar. Ob die Beklagte den Kläger für einen „starken” – nämlich mit der Rechtsstellung des § 22 InsO ausgestatteten – vorläufigen Insolvenzverwalter gehalten hat, ist unerheblich. Eine schutzwürdige Vertrauenslage scheidet hier bereits nach dem eigenen Vortrag der Beklagten aus. Danach hat der Kläger ihren damaligen anwaltlichen Vertreter telefonisch „angefleht”, die Beklagte möge die Waage reparieren, und dabei darauf hingewiesen, die Reparatur sei dringend erforderlich, um den Betrieb aufrechtzuerhalten. Daraufhin hat der Rechtsanwalt der Beklagten verlangt, daß zusätzlich zu den Kosten der neuen Reparatur auch die noch offenen Altforderungen beglichen werden. Dem Vorbringen des Klägers, er habe den Anwalt der Beklagten darauf aufmerksam gemacht, daß dieses Begehren der Insolvenzordnung zuwiderlaufe, daß jener sich dadurch aber nicht habe beeindrucken lassen, hat sie nicht widersprochen.
3. Nicht zu beanstanden ist schließlich die Versagung eines Zurückbehaltungsrechts durch das Berufungsgericht.
Die Beklagte hat dieses Zurückbehaltungsrecht auf einen Aussonderungsanspruch wegen zweier Gleichrichter, dreier Spannungsregler und eines Akkus gestützt. Nach ihrem eigenen Vortrag liegt es nahe, daß sie diese Einzelteile bei den früheren Reparaturen unter Eigentumsvorbehalt geliefert und eingebaut hat. Dann scheitert ein Herausgabeanspruch bereits daran, daß diese Einzelteile seit ihrem Einbau nicht mehr als selbständige Sachen existieren. Gleichzeitig ist das von der Beklagten vorbehaltene Eigentum untergegangen (§ 947 Abs. 2 BGB). Durch die Vereinbarung einer Verbindungsklausel hätte sich die Beklagte möglicherweise einen Miteigentumsanteil an der reparierten Sache sichern können (vgl. MünchKomm-InsO/Ganter, § 47 Rn. 118). Die von der Beklagten vorgelegten Liefer- und Zahlungsbedingungen enthalten jedoch keine derartige Klausel.
Unterschriften
Kirchhof, Ganter, Raebel, Kayser, Bergmann
Fundstellen
Haufe-Index 928728 |
BGHR 2003, 836 |
ZIP 2003, 855 |
ZInsO 2003, 420 |